E. K. Hartwig

(Artikel aus „Christlicher Volksdienst“, Evangelisches Wochenblatt vom 30.9.1933)


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Emil Hartwig 60 Jahre alt.

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Wo von dem kleinen Flüßchen Enneper die Hammerwerke und Schleifkotten der Enneperstraße betrieben wurden, welche die westfälische Kleineisen-Industrie zwischen Hagen und Barmen beleben, da wurde am 30. September 1873 dem Schneidermeister Hartwig ein Sohn geboren. Dem Kinde wurden von keiner gütigen Fee allerlei Gaben in die Wiege gelegt, die ihm einen sonnigen Lebensweg zwischen Rosen und Lilien zusicherten; es zeigte sich bald, daß der kleine Erdenbürger ein schwächliches und verwachsenes Kind war. Auch im Elternhaus herrschte viel Krankheit. Bald starben beide Eltern und nach einem dornenvollen Weg, landete schließlich der kleine Emil beim Vater Bodelschwingh, im Waisenhaus in Bethel.

Hier findet er eine wirkliche Heimat, hier lernt er nach seiner Schulentlassung das Schneiderhandwerk und von hier aus begibt er sich - ein richtiger Handwerksbursche - auf die Walze, landet aber nach nicht langer Zeit wieder in seinem Geburtsort an der Enneperstraße. Bald machte er sich selbständig als Schneidermeister, er kann aber die Schneiderei nicht dauernd durchführen, sein Gesundheitszustand läßt das nicht zu, er muß in die Fabrik und wird Vernickler in einer großen Herdfabrik. In dieser Zeit, Mitte und Ende der neunziger Jahre kommt der Jünglingsvereinler mit Stöcker und Mumm, mit den Evangelischen Arbeitervereinen und den Anfängen der christlichen Gewerkschaften in Berührung. Nicht vom ersten Tag an ist er flammend begeistert, das geht in Westfalen nicht so schnell; aber als dann der Funke einmal gezündet hatte, da gab es auch kein Halten mehr. Waren es zuerst nur ungewandte Versuche, bald war Hartwig in die Kämpfe mit den Freidenkern und Sozialdemokraten ebenso stark verwickelt, wie in die nach der anderen Seite zu führenden mit den freisinnigen und nationalliberalen Fabrikanten seiner Heimat, die erst die Vorbedingungen für den Klassenkampf der Linken schufen.

An dem ersten von Stöcker, Weber und Mumm vorbereiteten sozialen Ausbildungskurs für evangelische Arbeiter in Berlin nahm Hartwig teil, kurz darauf wurde er als einer der ersten evangelischen Arbeitersekretäre nach Hagen berufen, wo er mit Otto Rippel zusammen den Evangelischen Volksverein ins Leben rief und leitete. Kurz darauf flog auch schon die erste Kampfbroschüre ins Land. Von herzerfrischender Deutlichkeit ist die Auseinandersetzung mit Dr. Fliederstrauß (Anton Erkelenz) und den Hirschen. Seit der Zeit ist eigentlich in der gesamten christlichen und nationalen Arbeiterbewegung nicht viel grundsätzlich Bedeutungsvolles geschehen, ohne daß der Kenner der Verhältnisse die Spuren der - nicht selten entscheidenden - Mitwirkung Emil Hartwigs feststellen konnte; für sehr weite Kreise war sein Wirken allerdings unsichtbar. 1907 ging er als Redakteur ans "Reich" nach Berlin, später leitete er die "Goslarer Nachrichten", den "Ravensberger" und die "Westfälisch-Lippische Volkszeitung", die beiden Vorläufer des "Aufwärts", dessen erster Redakteur gleichfalls Hartwig war.

Nach Begründung der Evangelisch-sozialen Schule fiel ihm eine bedeutungsvolle Aufgabe zu. Er war und blieb bis zuletzt der Mittelpunkt der evangelischen Arbeiter- und Gewerkschaftssekretäre, ihrer Vereinigung und ihres Ausbildungsinstitutes, trotz aller Versuche, ihn kaltzustellen und trotz aller Zurückhaltung die er sich seit Jahren auferlegte. Der geistige, materielle und politische Emanzipationskampf der Arbeiter, ihre gleichberechtigte Eingliederung in Gesellschaft, Staat und Kirche, das war seine Haupt - und Lebensarbeit und ein Ziel, um das er unermüdlich 35 Jahre lang gerungen hat.

Er tat es in drei politischen Bewegungen, der alten Christlich-sozialen Partei, der Deutschnationalen Volkspartei und dem Volksdienst; in allen drei Gruppen, deren Vorstand und Leitung er nacheinander seit 30 Jahren angehörte, tat er es als bewußt Christlich-sozialer, der seine Stellung zum politischen und sozialen Problem aus seiner christlichen Weltanschauung heraus suchte und fand. Zwölf Jahre lang gehörte er dem Reichstag an, zuletzt war er der Geschäftsführer der Volksdienstfraktion, wie er zurzeit der Liquidator der Volksdienstbewegung ist. Geredet hat er im Plenum des Reichstags sehr wenig, umso fleißiger war er in den Ausschüssen tätig; zahllose Gesetze tragen deutliche Spuren seiner Mitarbeit, so groß war die Zahl der Anregungen und Anträge, die auf ihn zurückgingen und ihre Verwirklichung fanden.

In der Evangelischen Kirche hatte er zahlreiche Ehrenämter inne, er war Mitglied der Brandenburgischen Provinzialsynode, des Provinzialkirchenrates, der Generalsynode und des Kirchensenats. In all diesen Körperschaften hat er seinen Mann gestanden, nicht selten in der Vertretung seiner Idee ganz allein. Er konnte in der Minderheit kämpfen und durfte doch erleben, daß manche der von ihm gegebenen Anregungen dann nach Jahr und Tag sich doch durchsetzten. Eine Aufzählung auch nur der wichtigsten Ehrenämter, die er im Vereins- und Verbandsleben, im kirchlichen, politischen und sozialen Leben innehatte, ist eine Unmöglichkeit. Jeder Kreis zog ihn heran, jeder will noch heute seinen Rat und zahllose Stellen hat er klugen und guten Rat zu geben gewußt.

Im vergangenen Jahre ließ er sich aus Gesundheitsrücksichten nicht wieder in den Reichstag wählen, in den letzten Wochen hat er sich zahlreicher anderer Ämter entledigt. Seine Arbeit im öffentlichen Leben ist an vielen Stellen, an denen man ihn kämpfend zu sehen gewohnt war, beendet. In den letzten Tagen ist er nach dem schönen Berliner Vorort Eichwalde gezogen, wo er in einem kleinen bescheidenen Häuschen seinen Lebensabend verbringen will. Seine zahllosen, in ganz Deutschland verstreut wohnenden Freunde, alle, die auf irgend einem Kampfplatz Schulter an Schulter mit dieser in unscheinbarer Gestalt, aber mit zähem Führerwillen ausgerüsteten Persönlichkeit zusammengestanden haben, wünschen Emil Hartwig, dem unermüdlichen Vorkämpfer für christlich-soziale Ideale, einen noch recht langen, gesegneten Lebensabend.


(Quelle: privat)


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Erstellt am 09.11.1997 - Letzte Änderung am 15.02.2019.
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