Aus den Anfängen kirchlich-sozialer Arbeit.

Erster sozialer Ausbildungskurs für Arbeitersekretäre 1904

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In der "Monatsschrift für Stadt und Land" (herausgeg. Von Prof. D. M. v. Nathusius und Oberstleutnant a. D. U. v. Hassel) finden wir im Augustheft 1904 folgende Ausführungen über den ersten sozialen Ausbildungskursus, der vom 29. Mai bis 9. Juli 1904 in Berlin abgehalten wurde:

"Der Gesamtverband evangelischer Arbeitervereine, das Büro für Sozialpolitik, die Soziale Geschäftsstelle für das evangelische Deutschland, der Kirchlich-soziale Bund und der Evangelisch-soziale Kongreß hatten durch Gewährung von Mitteln und durch Stellung von Dozenten den Kursus ermöglicht und vorbereitet. Die Leitung lag in den Händen des auf diesem Gebiete erfahrenen und unermüdlichen Herrn Lic. Mumm. Von den 68 Kursus-Teilnehmern waren entsandt: 20 von evangelischen Arbeitervereinen, 5 von christlichen Gewerkschaften, 7 von der Freien kirchlich-sozialen Konferenz, 1 von einem Verein für innere Mission; 9 hatten sich selbst gemeldet. Die Mehrzahl gehörte dem Arbeiterstande an; bei ihrer Auswahl war auf Befähigung und bewährten Charakter besonders Gewicht gelegt worden.

Als Ziel galt es, ihnen Sachkenntnis und Klarheit zu geben, die sie befähigen, in ihren Kreisen tüchtige Führer zu werden, welche in den Arbeitervertretungen der Fabriken, in Krankenkassen, Gewerbegericht und Schiedsgericht ihren Mann stehen und ihren Kameraden mit Rat und Tat dienen können, und die als Arbeitersekretäre und in der Arbeiterorganisation ihre christlich-nationale Gesinnung dem Volksganzen zum Segen werden zu lassen vermögen. Demgemäß umfaßten die Vorlesungen zunächst die Geschichte des Sozialismus und die Besprechung der Kaiserlichen Botschaft vom 17. November 1881 und der Kaiserlichen Erlasse vom 4. Februar 1890; sodann die drei großen Arbeiter-Versicherungsgesetze nebst den Bestimmungen über Arbeiterschutz und Gewerbegerichte; ferner die Gewerkschaftsbewegung, Vereins-, Versammlungs-, Genossenschafts- und Tarifrecht sowie Gemeindepolitik und zuletzt die soziale Gesetzgebung des Alten Testamentes und den sozialen Geist des Neuen Testamentes.

Wesentlich unterstützt wurden die theoretischen Erörterungen durch Anschauungsunterricht, indem das Museum für Arbeiterwohlfahrt, das Reichsversicherungsamt, das Gewerbegericht, eine Krankenkasse, der Verein Dienst an Arbeitslosen, die Werkstatt des Verein s für Unfallverletzte, der Zentral-Arbeitsnachweis, die Bauten des Vaterländischen Bauvereins und des Spar- und Bauvereins, das Gewerkschaftshaus, die Elektrizitätswerke usw. Besucht wurden, wobei meistens ein kurzer Vortrag die Besichtigung einleitete und überreichte Drucksachen den Eindruck festhielten. Des weiteren war durch freundliches Entgegenkommen der betreffenden Instanzen den Teilnehmern der unentgeltliche Besuch der Königlichen Museen, des Palais des alten Kaisers, der Schlösser in Babelsberg und Sanssouci, des Postmuseums unter besonderer Führung, sowie der Besuch einer Vorstellung des "Evangelimann" im königlichen Theater gewährt worden. Eine besondere Freude wurde den Kursisten dadurch bewiesen, daß Graf von Posadowsky-Wehner dieselben nebst den Dozenten auf einen Abend zu sich einlud. Es war wohl das erstemal, daß so viele Arbeiter in einem Ministerhotel zu Gast waren; aber es war eine Freude, zu sehen, wie der Hausherr, seine Angehörigen und die Geheimen Räte eine Fülle von Berührungspunkten mit den Gästen fanden und die Stunden bei reicher Bewirtung, trefflicher Musik und ebenso zwangloser wie eingehender Unterhaltung an den kleinen Tischen nur allzuschnell verflogen.

Unvergeßlich wie dieser Abend, bleiben auch die Stunden der Eröffnungsfeier. Dieselbe fand statt im Saale I des Reichstagsgebäudes. Vertreter fast aller Ministerien und vieler evangelischer Körperschaften waren zugegen. Lic. Weber, Geh. Ob.-Reg.-Rat Spielhagen, als Vertreter Posadowskys, Prof. Dr. Franke, Prof. Harnack, Abgeordneter Hennig, Pastor Fritsch, Lic. Mumm und zwei Arbeitervertreter begrüßten uns. An Se. Majestät den Kaiser wurde ein Telegramm gesandt. Aus den Ansprachen seien nur einige Gedanken angeführt aus Harnacks Rede:

"Mögen bald statt derer, die für unsere Ideale und für unser Volk so blutwenig übrig haben, Etliche von Ihnen als Vertreter der deutschen Arbeiter hier im Reichstage sitzen!" und "Das stillschweigende Thema aller Themata für Sie aber möge sein: zu wachsen und kräftig zu werden als sittlich-christlicher Mann!"

Erquickend war endlich die einfache Schlußfeier, die noch einmal Lehrer und Schüler vereinigte. In schlichten aber herzlichen Worten sprachen zwei aus unseren Reihen ihren, unseren Dank aus. Und der Dank reichte weiter als zu den Dozenten. Ja, die Dozenten haben uns ihr Bestes gegeben. Es war nichts Geringes, Dutzende von Aufsätzen bis zu 35 Seiten durchzusehen und zu besprechen, und ohn' Ermüden auf immer neue Fragen zu antworten; ja den ganzen Vortrag zuzuschneiden für unser Verständnis. Aber groß ist uns auch aufs neue geworden, was wir an unserem deutschen Vaterlande haben! ....."


Quelle: Archiv, Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland e.V.
(aus Kirchlich-Soziale Blätter Heft 1./2. ,1933)

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Erstellt am 03.11.97 - Letzte Änderung am 31.01.1998.
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