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Ruth Begall, 1939 Landsberg an der Warthe, am Bollwerk.
Landsberg a. W., den 3.1.40
Mein lieber Emil!
Gestern abend um 10 Uhr bin ich wieder glücklich in Landsberg gelandet. Einen Arbeitstag habe ich nun hinter mir, der ja eine ganz große Menge Arbeiten zu bewältigen hatte, es wurde aber nicht viel geschafft, denn ich war noch zu sehr mit meinen Gedanken bei Dir und dem Erlebten. Warum bist Du von dem Schlesischen Bahnhof so schnell verschwunden? Der Zug hielt noch eine ganze Weile und ich ging noch ein paarmal zur Tür und sah raus, aber Du warst schon weg. Lieber Emil Du darfst nicht weinen, wenn ich nicht beiDir bin. Ich habe mir gedacht, wenn Du nicht mehr in den Krieg mußt, dann bleibe ich bald immer bei Dir, aber wenn Du doch wieder an die Front mußt, was ich nicht wünsche und auch nicht glaube, dann werde ich wohl noch ein bißchen warten und Du wohl auch, ja? Mein Liebster, heute ist mir eine neue Stelle angeboten worden, ich will aber erst noch einmal mit der Buchhalterin sprechen, die diesen Posten bekleidet, was von mir evtl. verlangt wird. Ich weiß auch gar nicht, ob ich von meiner jetzigen Stelle loskomme, denn der Betrieb gehört zu den lebenswichtigen und ist ein Wehrwirtschaftsbetrieb. Ich habe mich noch nicht genau erkundigt, aber ich glaube, es wird sehr schwer halten.
Liebster, wann mußt Du von Berlin nach Swinemünde fahren? Was würdest Du sagen, wenn ich am Sonnabend noch einmal in Berlin erscheine? Aber ich habe noch gar nicht den richtigen Mut, denn ich glaube, der Abschied wird dann noch schwerer. Fährst Du schon am Sonntag früh oder Sonntag abend, oder wann? Mit dem Zug um 13:52 kann ich nicht mehr kommen. Ich kann mich noch nicht endgültig entschließen, aber wenn ich komme, dann schreibe ich Dir noch so, daß Du am Sonnabend früh Bescheid von mir hast, aber wenn Du schon Sonntag früh nach Sw. [Swinemünde] fahren mußt, dann komme ich lieber ein anderes Mal nach Berlin, Swinemünde, Stettin oder gar nach Küstrin.
Der Zug 13:52 fährt wohl nur bis 4.1.39 [04.01.1940] und ich glaube, ich kann nur gegen 5 oder 1/2 6 von hier wegfahren und bin dann um 7 Uhr in Bln. Schl. Bahnhof [Berlin Schlesischer Bahnhof].
Lieber Emil, ehe Du von Berlin wegfährst, hörst Du noch von mir und sei nicht so traurig, daß ich nicht bei Dir bin.
An Deine Eltern habe ich keinen Gruß mehr bestellt, ich habe das vollkommen vergessen. Hast Du das vielleicht getan, ohne daß ich es Dir sagte?
Sei recht herzlich gegrüßt von Deiner Ruth und ich wünsche Dir alles Gute, und hoffentlich hast Du dich nicht sehr sehr beim Herumlaufen angestrengt, daß es Deinem Bein schaden konnte. Nochmals herzliche Grüße, auch an Deine Eltern von Deinem Mädel.
Eben habe ich einen Apfel auseinandergebrochen, und wenn er sich genau zur Hälfte teilt, dann bist Du mir treu, aber ich muß feststellen, daß der Apfel einen kleinen Seitensprung gemacht hat. War der nun schon, oder soll er noch kommen??? ??? ??? ???
Ruth Begall, 1940 vor dem Haus Berlin-Lankwitz, Wasunger Weg 12.
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