Aufzählung der "Hausmacht" von 1928
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50 Jahre christlich-soziale Politik

von Emil Hartwig

(aus Evangelisch-soziale Stimmen -Verbandszeitung evangelischer Arbeitervereine im Gesamtverband E. A. V. Deutschlands - Organ der Evangelisch-sozialen Schule e.V. und der Vereinigung Evangelischer Arbeiter- und Gewerkschafts-Sekretäre)

In dem Büchlein: "Erinnerungen an D. Adolf Stöcker" schreibt D. W. Philipps: "Die Geschichtsschreiber werden es später erst mit voller Klarheit herausarbeiten können, daß Adolf Stöcker der Prophet der neuen Zeit gewesen ist, der es verstanden hat, seine sozialen Ideen seinen Zeitgenossen so tief einzuprägen, daß sie 'Gemeingut' des ganzen Volkes geworden sind." Das Wort schrieb der Nachfolger Stöckers in der Leitung der Berliner Stadtmission im Jahre 1909. Heute kann gesagt werden, daß eine Rückschau über 50 Jahre deutscher Politik seit dem 3.1.1878, als Stöcker mit der Gründung der christlich-sozialen Arbeiterpartei in die deutsche Politik eingriff, diese Feststellung nur bestätigt hat. Man hat sogar das Recht zu sagen, die christlich-sozialen Gedanken Adolf Stöckers, wie er sie besonders in seiner Rede am 25. Januar 1878 im Saale des Handwerkervereins zu Berlin "Über den Programmentwurf für die christlich-soziale Arbeiterpartei" zum Ausdruck brachte, haben die Programme aller bürgerlichen Parteien rechts von den Demokraten, besonders aber das der deutsch-nationalen Volkspartei, erobert. Nicht im gleichen Grade gilt dies von seinen Forderungen für eine christliche Staatsführung und für ein soziales Kirchenregiment.

Seine Forderungen zu Versorgung der Arbeiterschaft in kranken Tagen, für die Zeit der Arbeitslosigkeit und des Alters sind nicht nur von allen politischen Gegnern einschließlich der Konservativen übernommen worden, sondern auch in erfreulichem, wenn auch nicht vollem Maße, Wirklichkeit geworden. Seine Forderungen nach wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Gleichberechtigung des Arbeiterstandes sind, allerdings unterstützt durch die traurige Lehre des Weltkrieges und der Revolution, auf dem Wege der Erfüllung. Das berufsständische Vereinigungsrecht war eines seiner vornehmsten Ziele und ist heute in seinem Sinne Wirklichkeit. Wie ein Fanfarenklang wirkte es seiner Zeit, als er im Reichstag den Unternehmern zurief: "So gut die Könige sich dem konstitutionellen Regiment beugten, müssen auch die Unternehmer die Arbeitnehmerschaft als gleichberechtigte wirtschaftliche Faktoren anerkennen."

In fester Treue stand er zum Hohenzollernhaus. In seiner deutsch-völkischen Überzeugung lag diese Treue verankert. Aber mit einem Freimut stand er dem Thron gegenüber, der unter den Umsturzrepublikanern unserer Zeit Angstschweiß verursacht haben würde. Wo es das christlich-soziale Recht zu verteidigen und durchzusetzen galt, da fürchtete er sich weder vor dem Kaiser noch vor Bismarck. Da gab er lieber sein Hofpredigeramt auf, da beugte er sich nicht vor dem Oberkirchenrat, sondern ging auf die eigene Kanzel. Auch mit den Fürsten der Schwerindustrie kämpfte er um Gerechtigkeit, bis vor die Schranken der ordentlichen Gerichte. Den Führern der Marxisten und Anarchisten und des proletarischen und wissenschaftlichen Freidenkertums trat er mit Einsetzung seiner ganzen Persönlichkeit entgegen. Die Ärmsten und Bedrücktesten hatten sich seiner Hilfe zumeist zu erfreuen. Im Rahmen der Stadtmissionsarbeit nahm er sich der Heimat- und Obdachlosen, der Alten und Gebrechlichen an. Und fragt Margarete Behm, was Adolf Stöcker den Heimarbeiterinnen war! Es sollte keinen deutschen Postunterbeamten geben, in dessen Wohnung nicht das Bild Stöckers dankbar bewahrt würde. Wie kämpfte er für den Kaufmannsgehilfenstand! Sein Wort "Von diesem übermüdeten Geschlecht" bleibt jedem deutschen Handlungsgehilfen, jeder kaufmännischen Angestellten unvergeßlich. Vor ihm und nach ihm hat es keinen stärkeren und erfolgreicheren Streiter gegen überlange Arbeitszeit und für völlige Sonntagsruhe gegeben. Wie hell glänzt sein Name, wenn man sich die Kämpfe um den Schutz der Kinder und Jugendlichen, die Einschränkung der Frauenarbeit vergegenwärtigt. Die deutsche Frau sieht in Adolf Stöcker nicht nur den Wächter christlicher Familien- und Frauenehre, sondern auch den Bahnbrecher für zeitgemäße Reformen des Frauenrechts im öffentlichen Leben.

In der Außenpolitik setzte sich Stöcker besonders für eine gesunde Kolonialpolitik ein und vertrat hierbei besonders die Forderungen der äußeren Mission, z. B. das Verbot der Alkoholeinfuhr in unsere Kolonien.

Fünfzig Jahre haben seine Lehren im öffentlichen Leben gewirkt. Als er auftrat, stand auf christlich-nationaler Seite in ganz Deutschland nicht ein einziger Arbeiterführer auf dem Boden seiner Ideen. Heute stehen allein auf evangelischer Seite - die katholischen nicht mitgerechnet - etwa 600 hauptberufliche evangelische Arbeiterstandsführer und Führerinnen auf dem Boden des christlich-sozialen Bekenntnisses. Er stand niemals einsam und allein als Christlich-sozialer auf der politischen bezw. parlamentarischen Tribüne Die Zahl wuchs vor dem Krieg auf drei, vier Abgeordnete. Heute zählt die "Christlich-soziale Gesellschaft", eine Vereinigung von Abgeordneten des Reichstags und des preußischen Landtags, die Stöckers Politik vertreten und fortsetzen, vierundzwanzig Mitglieder, davon 13 Arbeitnehmerabgeordnete. Die Wahlkreise, in denen er die christlich-soziale Partei einführte, sind nicht nur auch heute noch von christlich-sozialen Abgeordneten vertreten, sondern christlich-soziale Abgeordnete haben seitdem Mandat um Mandat erobert. Die Organisationen, die sich zur Durchführung seiner Ideale gründeten, sind z. T. machtvoll und einflußreich geworden: Wie der Evangelisch-soziale Kongreß, der Kirchlich-soziale Bund, die Positive Union, der Gesamtverband evangelischer Arbeitervereine, die Evangelische Sekretärsvereinigung, die Evangelisch-soziale Schule, der Deutsch-evangelische Frauenbund, die Christlichen Gewerkschaften, der Deutschnationale Handlungsgehilfenverband, der Deutschnationale Arbeiterbund. Eine Wirkung seiner Gedanken ist auch die Deutschnationale Volkspartei. Gewiß sind in unserer Zeit auch die Gegenkräfte von links und rechts stärker geworden, auch fehlt uns der Führer von der zwingenden Kraft Adolf Stöckers. Aber zwei seiner Worte glänzen in ihrer Wahrheit als Gewähr für den Sieg in unsere Zeit: "Ein Mann mit Gott ist immer die Majorität" und das andere, das jedem von uns gilt "Ein Tropfen Mitarbeit ist mir lieber als ein Meer von Sympathien".

Und nun, Ihr Christlich-sozialen in Berlin und im Reich! Adolf Stöckers Sache und Arbeit gilt es zu gedenken und Freudigkeit und Zusammenschluß zu gewinnen für die Weiterarbeit, für die kommenden Kämpfe. Mögen alle, die sich zu uns zählen, am 29. Januar sich im Stadtmissionssaal zu Berlin einfinden, zu einer eindrucksvollen Kundgebung für christlich-soziale Gerechtigkeit.

Quelle: privat


(In den "Kirchlich-sozialen Blättern" erschien anschließend folgender Artikel:

50 Jahre christlich-soziale Bewegung. Zum 50jährigen Gedächtnis der berühmten Eiskellerversammlung 1878, in der Stöcker zum ersten Male unter die Arbeiterschaft Berlins trat, fanden im Januar in Berlin und Breslau große Feiern statt, in Siegen steht eine solche bevor. In Berlin reichte der Saal der Stadtmission bei weitem nicht; auch die nahe Stadtmissionskirche wurde voll besetzt. Wohl 4000 Menschen waren erschienen. Es sprachen: Reichsverkehrsminister Dr. Koch, Graf Westarp, Otto Rippel, D. Mumm, Lambach, Behrens, sämtlich M. d. R., Heinrich-Krombach (Kreis Siegen) und D. Philipps. ...

Eine Schrift: "50 Jahre Christlich-sozial" erschien beim Kirchlich-sozialen Bund und ist zu beziehen durch die Hauptgeschäftsstelle, Berlin-Spandau, Johannesstift (32 Seiten, 30 PF.); sie bringt Beiträge aus der Feder der Abgeordneten Hartwig, Lambach, D. Mumm, Rüffer und Sauer, sowie der Herren Alfred Grunz und D. Philipps und von Frl. Kundt. Das billige Heft sei warm empfohlen.)

(Quelle: Bibliothek des Diakonischen Werkes der EKD - Allensteinstr 53, Berlin-Dahlem)


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Aufzählung der "Hausmacht" von 1928

Erstellt am 12.11.97 - Letzte Änderung am 14.05.2017.
Winfried Hartwig
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