(Aus "Evangelisch-soziale Stimmen" 1918, Nr. 8, S. 32)
Wer die Entwicklung der katholischen Arbeitervereinsbewegung der letzten zehn Jahre verfolgte, mußte sowohl vom vaterländischen Standpunkte aus, wie als Freund einer gesunden ständischen Entwicklung und völliger staatlicher und kultureller Gleichberechtigung des Arbeiterstandes mit den übrigen Ständen anerkennen, daß die katholische Arbeiterschaft sich einer Führung erfreute, die, unbeirrt von Rechts und Links, Oben und Unten, kraftvoll diesen Zielen zusteuerte. Immer glanzvoller gestaltete sich die zahlenmäßige Entwicklung der Bewegung, besonders im Westen. Intensiv und mit öffentlich wahrnehmbarem Erfolge arbeitete die Bewegung an der Hebung des Bildungsstandes ihrer Mitglieder.
Die Begeisterung, mit der die katholischen Arbeiter zu ihrer Bewegung standen, hatte außer anderen Momenten ihren Grund in der rücksichtslosen öffentlichen Verfechtung der Arbeiterforderungen auf wirtschaftlichem und politischen Gebiete. In der wissenschaftlichen und sittlichen Begründung der Arbeiterforderungen leistete die Leitung der Bewegung sowohl rednerisch wie literarisch Hervorragendes. Bekannt ist es auch in unseren Kreisen, wie die Katholische Arbeitervereinsbewegung durch den Mund ihrer Vertrauensmänner und Arbeitersekretäre in unzweideutigster Form Stellung nahm für gleiches Wahlrecht unter Ablehnung aller die Gleichheit beeinträchtigenden Kompromisse und Sicherungen. Jetzt hat diese Bewegung durch die Amtsentsetzung ihres Führers Dr. O. Müller - M. Gladbach die Hand der Rückschrittler getroffen. Die Kölnische Zeitung weist darauf hin, daß mit Recht die Auffassung vertreten werde, daß die Beweggründe zur Entlassung dieses katholischen Arbeiterführers sich aus der innerpolitischen Lage ergeben Die Katholischen Arbeitersekretäre und Führer nehmen die Maßregelung ihrer Bewegung durch den Erzbischof Hartmann nicht ruhig hin. Die Köln. Ztg. Teilt in Nr. 824 darüber folgendes mit: Die führenden Arbeitersekretäre richten an den ältesten Bezirkspräses der katholischen Arbeitervereine in der Diözese Köln ein Protestschreiben. Es ist an diese Adresse gerichtet, weil nach der Amtsenthebung des Herrn Dr. Müller eine Neuernennung noch nicht stattgefunden hatte. Der Diözesanpräses steht an der Spitze des Diözesanverbandes; in den einzelnen Bezirken sind die Bezirkspräsides seine Stellvertreter. Die eigentliche Geschäftsführung erfolgt jedoch in den einzelnen Bezirken durch Arbeitersekretäre, also Laien, die aus der Arbeiterbewegung hervorgegangen sind und die die unmittelbare Fühlung mit dem Volk aufrechterhalten. Das Schreiben lautet:
An das Diözesankomitee des Verbandes katholischer Arbeitervereine der Erzdiözese Köln, z. K. des Herrn Bezirkspräses. |
Der Erzbischof veröffentlicht durch sein Generalvikariat dazu folgende Erklärung:
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Gegenüber verschiedenen Äußerungen in der Presse der letzten Tage betr. Ausscheiden des Herrn Dr. Otto Müller in M. Gladbach aus seinem Amte als Diözesanpräses der katholischen Arbeitervereine der Erzdiözese Köln sehen wir uns auf Grund eingezogener Erkundigungen zu der Erklärung veranlaßt, daß dieses Ausscheiden zu dem allgemeinen und gleichen Wahlrecht in keinerlei Beziehung steht. Auch ist das allgemeine und gleiche Wahlrecht in Fulda gelegentlich der Tagung der Bischofskonferenz nicht Gegenstand irgendwelcher Beratung gewesen.
Desgleichen erklären wir, daß nicht im geringsten geplant ist, an den satzungsmäßigen Aufgaben der Arbeitervereine irgend etwas zu ändern. Die katholischen Arbeitervereine sind in erster Linie religiöse Vereine, die ihre Mitglieder zu treukatholischen Männern heranbilden sollen. Dabei ist es ihnen selbstverständlich nicht benommen, sich auch eingehend mit den Standesfragen der Arbeiterschaft zu befassen und ihre Mitglieder staatsbürgerlich so zu schulen, daß sie im öffentlichen wie im privaten Leben stets voll und ganz ihren Mann stellen.
Köln, den 4. September 1918
Das Erzbischöfliche Generalvikariat
Dr. Vogt
Diese Vorgänge, die noch nicht der Abschluß eines Kampfes sind, der auch in der katholischen Kirche um die völlige öffentliche Gleichberechtigung des Arbeiterstandes geführt wird, sind so lehrreich, daß sie festgehalten zu werden verdienen.
E. H.
(Quelle: Bibliothek des Diakonischen Werkes der EKD - Allensteinstr 53, Berlin-Dahlem)