Inhalt:
Das persönliche Verhalten Dr. Hugenbergs
Hugenbergs antisoziale Einstellung
Finanzielle Situation der Partei seit Hugenberg
politische Arbeit des Arbeitnehmerflügels unmöglich
Hugenberg hat sich Hitler gebeugt
Entmündigung der Reichstagsabgeordneten der DNVP
Sonstige Kritikpunkte

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- Emil Karl HARTWIG -


Antwortrede

des Reichstagsabgeordneten Hartwig auf den Ausschlußantrag Dr. Hugenbergs am 3. 12. 1929 in der Parteivorstandssitzung. (als Manuskript gedruckt)

Meine Damen und Herren! Der Parteiführer, Herr Hugenberg, hat Sie heute zusammengerufen und Ihnen einen Ausschlußantrag gegen meine Kollegen Hülser, Lambach und mich vorgelegt, Sie sollen dieses Ausschlußverfahren gutheißen.

Wenn ich mit der Feststellung beginne, daß ich die Deutschnationale Volkspartei, zu deren Gründern ich mich, wenigstens in meinem Landesverbande und als Gründer des Deutschnationalen Arbeiterbundes rechnen darf, lieb habe, so ist das eine Tatsache, die Sie im Zusammenklang mit den Ausführungen, die ich gegenüber dem Antrage des Herrn Parteiführers zu machen habe, für Ihre Entscheidung berücksichtigen wollen.

Die Deutschnationale Volkspartei entstand in der Hauptsache aus den zwei großen staatspolitischen Grundparteien der Rechten, der Deutschkonservativen und Christlich-sozialen. Im Zusammenbruch nach der Revolution war innerhalb der Deutschkonservativen Partei kaum ein einziger, der die Hoffnung auf ein Weiterleben der Deutschkonservativen Partei, geschweige denn einer Staatsverfassung nach ihren Grundsätzen aufrecht erhalten hätte. Die einzige Hoffnung dieser Kreise bildeten die Christlich-sozialen, die ihnen, in dieser Zeit des Zusammenbruchs aller ihrer geistigen und gesellschaftlichen Rechte und Hoffnungen als die einzige Rettung für die Zukunft erschienen. Die christlich-sozialen Führer, Behrens, Mumm usw., glaubten, die große Verantwortung für die Neubildung christlich-sozial-konservativen Staatsaufbaues nicht ablehnen zu wollen. Sei reichten den Deutschkonservativen die Hand, gründeten mit ihnen gemeinsam die Deutschnationale Volkspartei, deren Programm 75-80 prozentig das christlich-soziale Ideengut übernahm. In meinem Landesverband Westfalen-Ost, ich denke an die erste Zusammenkunft in der Ressource in Bielefeld mit Justizrat Glasing und Kommerzienrat Tiemann, in der beide Herren erklärten, daß ohne uns Christlich-soziale und ohne unseren Vortritt der Wiederaufbau nicht möglich ist, haben anfänglich die Christlich-sozialen die Führung gehabt sowohl im Landesverband, wie auch auf den Parlamentslisten. Beide erklärten ihr Einverständnis mit den weitgehenden staatspolitischen Reformen, die wir vom Landesverband Westfalen-Ost aus für das deutschnationale Programm verlangten. Zu gleichen Rechten wurden Dr. Glasing und meine Wenigkeit Vorsitzende des Landesverbandes. Und jetzt? - Welcher Umschwung von heute gegen damals. Heute hat sich im deutschnationalen Willensbereich gesellschaftliche Geltung im alten Sinne wieder durchgesetzt. Hohe pensionierte Beamte dirigieren organisatorisch und willensmäßig das Leben der deutschnationalen Partei und ihre Politik und lassen sie erstarren.

Was wir Christlich-sozialen innerhalb der Deutschnationalen Volkspartei leisteten, kann im einzelnen hier nicht dargestellt werden. Das eine aber ist sicher, daß die breiten Wählermassen der Arbeitnehmerschaft im Banne christlich-sozialer Ideale stehen und in den christlich-sozialen Abgeordneten ihre Führer sehen.

Der Deutschnationale Arbeiterbund, der Bereits Ende 1918 als erste ständische Organisation der Partei gegründet wurde, ist die aktivste und erfolgreichste ständische Organisation der Partei. In allen Landesverbänden aber wo abstrakte konservative Politiker an der Leitung sind, wird seine Arbeit unterbunden und bekämpft. Die Grundlage der Deutschnationalen Volkspartei ist immer gewesen, überall in ihrem Aufbau und in ihrer parlamentarischen und staatlichen Betätigung ihren Charakter als Volksgemeinschaft zum Ausdruck kommen zu lassen. Das ist in erfreulichem Maße unter den Vorgängern des jetzigen Parteiführers angestrebt worden. Ich weise darauf hin, daß unter dem Grafen Westarp als Parteivorsitzender zwei stellvertretende Parteivorsitzende fungierten, von denen der eine im besten Sinne das weite Gebiet der freien und akademischen Berufe vertrat, während der Landarbeiterführer Abgeordneter Karl Meyer als Vizepräsident der Partei die Lohnarbeiter und Privatangestellten repräsentierte. Darunter kam dann die Parteileitung, in der wieder unter etwa 12 - 14 Mitgliedern wenigstens 5 der Arbeitnehmerschaft, Lohnarbeitern und Privatangestellten angehörten. In dem großen Hauptvorstand, der in der Organisation dann folgte, waren satzungsgemäß gesichert, ebenfalls eine größere Anzahl Arbeiter und Privatangestellte stimmberechtigt.

Der Parteiführer Hugenberg hat sich wiederholt darüber beklagt, daß ihm seine Arbeit erschwert würde durch undisziplinierte Indiskretionen, sowie unbotmäßige Kritik in der Öffentlichkeit. Ich muß hier mit aller Schärfe feststellen, daß sich hier der Parteiführer über Dinge beklagt, deren er sich selber, solange er nach der Macht in der Partei strebte, und auch später, in stärkstem Maße schuldig gemacht hat. Er kann sich nur darauf berufen, daß zu der Zeit, als er diesen Kampf führte, solche Meinungsfesseln und diktatorische Vollmachten organisatorischer Art innerhalb der Partei nicht bestanden, wie das jetzt unter seiner Regierung der Fall ist, moralisch kann ihn das unter keinen Umständen rechtfertigen.
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Dr. Hugenberg hat, nachdem er den Ausschlußantrag verlesen hat, abschließend noch ausgeführt, daß der Ausschlußantrag hier vom Parteivorstand ausgehe, von ihm an das Parteigericht gelangen werde, dann wieder an den Parteivorstand zur Entscheidung zurückgelange, für den die Endentscheidung ja feststehe.

Meine Damen und Herren! Ich finde nicht die geeigneten Worte, um dieses Verfahren gegen 3 Mitglieder des Reichstags, gegen 3 durch ihre Wahl von der ganzen Partei ausgezeichneten Menschen in seiner ganzen Überheblichkeit zu charakterisieren. Meine Damen und Herren, da wird ein Parteivorstand von etwa 100 Mitgliedern eingeladen. Sie alle reisen aus allen Teilen des Reiches nach Berlin. Es wird Ihnen die Geschichte des §4 des Freiheitsgesetzes, wie Herr Hugenberg sie auffaßt, erzählt und Herr Hugenberg verließt Ihnen dann, gegründet auf den ersten Satz unserer Erklärung seinen Ausschlußantrag vor, um mit der Feststellung zu schließen, daß die Endentscheidung bereits feststehe. Das läßt doch nur zweierlei Schlüsse zu. Entweder ist Herr Hugenberg sich dieses Gremiums so sicher, daß er ein solches Urteil vorwegzunehmen sich erlauben darf und wenn schon dann kann er das nur auf der Grundlage, auf der er sich die neue Parteisatzung aufgebaut hat - er ist ja zum Gegensatz von früher, der alleinige Herr, die Parteileitung ist abgeschafft, dann kommt dieser 100 köpfige Parteivorstand, in dem früher die freigewählten Mitglieder in der Mehrzahl waren, während heute alle Landesverbandsvorsitzende, ganz gleich welche Größe der Landesverband hat, hier Geburtsrecht haben, ganz gleich auch, ob sie besoldet sind oder nicht; oder es bliebe zu zwei die Überzeugung übrig bei Dr. Hugenberg, daß seine Sache betr. Den Ausschluß auf der Grundlage des Parteiprogramms eine so gute sei, daß sie seine Vorwegnahme des Urteils rechtfertige. Ich schweige zu dem ersten Fall und wende mich zu der sachlichen und programmatischen Seite der Dinge. Wenn Herr Hugenberg feststellt, daß er die Ausschlußbegründung und Berechtigung seines Antrages in dem 1. Satz unserer Erklärung sehe, in dem es heißt: "Die unterzeichneten Abgeordneten haben sich in der Abstimmung um § 4 des Volksbegehrensgesetzes auf Seite des Ministers Schiele gestellt", so muß ich die Berechtigung seines Vorgehens auf der Grundlage dieses Absatzes entschieden bestreiten. In diesem Beschluß, an dem ich, da ich einer ernsten Familienangelegenheit wegen nicht anwesend sein konnte, nicht mitwirkte, hat es sich um eine Erklärung im Plenum des Reichstags gehandelt, während es sich in unserer Veröffentlichung um eine Feststellung unserer Motive für unsere Abstimmung an unsere Wähler gehandelt hat. Aber, wenn man jemanden werfen will, findet man schon einen Stein. Die christlich-nationalen und -sozialen Arbeitnehmer hatten es den abstrakten Rechtspolitikern in Partei und Fraktion schon längst angetan.

Wie steht es denn mit der Behandlung der sozialen Dinge in der Partei seit Herr Hugenberg Vorsitzender ist?

Es ist an sich schon psychologisch eine starke Belastung für weite Kreise der nationalen, christlich-sozialen Arbeitnehmerschaft, einen Generaldirektor a. D. dessen alldeutsche und in volkswirtschaftlicher Hinsicht vom sozialen Arbeitnehmerstandpunkte sehr anfechtbaren Grundsätze weithin bekannt waren, zum Führer einer Partei der Volksgemeinschaft zu machen. Soweit ich in Frage komme, habe ich daran keinen Anstoß genommen, sondern bei der ersten Gelegenheit, die Herr Hugenberg als Mitglied der Nationalversammlung in sozialer Hinsicht bot, als er dort eine Rede für die Gewinnbeteiligung der Arbeiter hielt, benutzt, um ihn einzuladen, über diese Frage in einem Kreis der Evangelischen Sekretärschaft Deutschlands zu reden. Das hat er getan. Unsere Hoffnung, daß der deutschnationale, christlich-nationale Teil der evangelischen Arbeiterführerschaft Hand in Hand mit ihm als Vertreter des Arbeitgebertums innerhalb der Partei die Volksgemeinschaft aufbauen könnte, hat uns leider schwer betrogen.

Ich könnte hier eine Reihe harter Tatsachen, die dafür sprechen, aufführen, will mich aber jetzt auf seine Betätigung als Parteiführer beschränken und nur auf folgendes hinweisen:

Er hat immer auf der Seite derer gestanden, die sich gegen den Ausbau der Sozialpolitik, die Sozialgesetze, im Interesse der Arbeitnehmer gewandt haben, sofern sie eine Belastung für die Industrie etc. mit sich brachten. Es sei hier nur an das Knappschaftsgesetz und Arbeitszeitgesetz u. a. erinnert.
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Ich rufe den Damen und Herren in Erinnerung, wie innerhalb der Deutschnationalen Volkspartei gleich nachdem Dr. Hugenberg die Führung übernommen hatte, angestimmt von der Presse des Scherlverlags, aufgenommen von den Parteiorganisationen und Instanzen, landauf, landab das Lied erscholl, von der schamlosen Ausnutzung der Erwerbslosenhilfe durch die Arbeitslosen. In jeder Versammlung glaubten niedere und höhere Beamte, pensionierte und nicht pensionierte, die gesamte arbeitslose Arbeitnehmerschaft mit dem Vorwurf der Ausnutzung des Stempelgehens und der Drückebergerei und Faulheit usw. beschuldigen zu können. Auf die Kritik der tatsächlichen Mängel sich zu beschränken, daran dachte man nicht. Der unsoziale Haß gegen die Arbeitslosenhilfe überhaupt, gepaart mit völligem Mangel an Sachkenntnis, brachte die Deutschnationale Volkspartei um jeden Kredit in den Arbeitermassen. Die Arbeitnehmer in der Reichstagsfraktion haben sich, um vornehmlich dieser Agitationsdemagogie ein Ende zu machen und wirkliche Schäden auszumerzen, mit einigen Arbeitgebervertretern der Fraktion zu einem Vorstoß hinsichtlich der Reform der Arbeitslosenversicherung zusammengetan und einen entsprechenden Antrag im Reichstag eingebracht, der dann der Anstoß war, zu einem Vorgehen der Reichsregierung und der Koalitionsparteien. Die Reichsregierung setzte eine Sachverständigenausschuß ein, der eine ausgezeichnete Denkschrift über das schwierige Gebiet vorlegte. Was aber tat der Herr Parteiführer und die Partei? Nichts mehr! Doch er verlangte, daß die Reformnovelle die wesentliche Mängel des alten Gesetzes beseitigte, einheitlich von der Fraktion abgelehnt würde. Er wollte lieber den alten Zustand aufrechterhalten. Weiter: Ein mit leidlicher Phantasie begabter Verfasser unterbreitete dem Parteivorsitzenden ein Manuskript "Irrwege der Sozialpolitik", was zur Folge hatte, daß diese Schrift sofort im Scherl-Verlag erschien und mit dessen ganzem Propagandaapparat verbreitet wurde und, da von vielen Parteifunktionären hinter solchen Lebensäußerungen des Scherl-Verlages der Wunsch des Parteiführers "geahnt" wurde, setzten sich auch bald die Landesverbände für die Verbreitung und Empfehlung dieses Werkes ein. Dr. Hugenberg wandte sich sogar, was ganz gegen seine sonstige Gewohnheit geht, an die einzelnen Arbeiterabgeordneten und frug sie um ihre Meinung über dieses Buch. In einer längeren Unterredung, die der Herr Parteiführer im Reichstag mit mir über dieses Buch hatte, habe ich versucht, ihm den utopischen Aufbau nachzuweisen, hatte aber den Eindruck völliger Unzulänglichkeit. Unter Übergehung sämtlicher Arbeiterabgeordneten und des Deutschnationalen Arbeiterbundes und ohne einen Korrefferenten zu bestellen, ließ er Hartz im Parteivorstande seine Illusionen vortragen. Erst auf dringendes Ersuchen von anderer Seite verstand sich Dr. Hugenberg dazu, eine soziale Kommission einzusetzen, in der diese Fragen erörtert werden sollten, die aus etwa 14 Herren bestehend im März 1929 berufen wurde. Dr. Hannemann, M. d. R., wurde zum Vorsitzenden bestimmt. Bis zum heutigen Tage (3. 12. 1929), ist eine Einberufung nicht erfolgt. Inzwischen ist allerdings die Arbeitslosenversicherungsreform parlamentarisch zunächst erledigt und die Hartzschen Ideen sind heute längst als das, was sie sind, Hirngespinste, ad acta gelegt.

Dann meine Damen und Herren, während die Vorgänger des Herrn Hugenberg als Parteivorsitzende sich in zahllosen Sitzungen mit der Leitung des Arbeiterbundes und den einzelnen Arbeiterabgeordneten über den Gang der deutschnationalen Arbeiterpolitik aussprachen, und sich an ihr beteiligten, hat dafür der Herr Parteiführer bis heute nicht diejenige Zeit gefunden, die die Wichtigkeit dieser Angelegenheit selbst im Rahmen seiner sonstigen Aufgaben beanspruchen darf und beanspruchen muß.

Ich habe als Vorsitzender und Führer des Deutschnationalen Arbeiterbundes die Wahl des Herrn Hugenberg zum Parteivorsitzenden bekämpft, nicht seine Person, ich respektiere und achte seine Persönlichkeit. Ich habe das wiederholt öffentlich zum Ausdruck gebracht und soweit seine nationale Zielsetzung in Frage kommt, möchte ich das auch heute noch aufrechterhalten. Von der Partei aus und vom Staate aus gesehen, aber muß ich zum Ausdruck bringen, daß Herr Hugenberg nicht die Fähigkeiten besitzt, die zu einem politischen Führer notwendig sind. Es mangelt ihm an der nötigen Fähigkeit, die verschiedenen Persönlichkeiten, die die in der Partei beheimateten Richtungen repräsentieren, in der Freiheit sich politisch auswirken zu lassen, wie es für die Erreichung der Volksgemeinschaft innerhalb und außerhalb der Partei notwendig wäre. Aber trotzdem, nachdem Herr Hugenberg als Parteivorsitzender gewählt worden war, habe ich meinen Freunden erklärt, mit der Annahme der Wahl hat Herr Hugenberg sich auf den Boden des Parteiprogramms gestellt und wir werden ihn als Vorsitzenden unterstützen und repräsentieren, solange wir die Überzeugung haben, daß er die programmatischen Grundlagen der Partei respektiert. Wir haben als Deutschnationaler Arbeiterbund die erste Gelegenheit benutzt und Herrn Geheimrat Hugenberg, 8 Tage vor seiner Wahl, in einer großen Arbeiterversammlung in Berlin sprechen lassen. Wir haben dann sehr bald, kurz nach seiner Wahl, mündlich und schriftlich auf den verschiedensten Wegen versucht, mit ihm wieder in Verbindung zu gelangen zur Besprechung von politischen Arbeiterfragen. Bis heute, nach 1 1/2 Jahren ist es uns in keinem Falle und zu keiner Zeit gelungen, mit ihm eine Frage der deutschen Sozial- oder Arbeiterpolitik zu besprechen, abgesehen von seinem lebendigen Interesse für das reaktionäre Hartzbuch.

Während die früheren Parteiführer Hergt und Graf Westarp mit ehrlichem Willen bemüht waren, überall in den Parteiorganisationen auch die Arbeiterschaft an der Führung zu beteiligen, während auch sie Wert darauf legten und mit großem Nachdruck in den Landesverbänden darauf drängten, daß bei den Wahlen zum Reichstag, zu den Ländern und Kommunalparlamenten auch die Arbeiterschaft an aussichtsreichen Plätzen und in genügender Zahl berücksichtigt würde, hat Herr Hugenberg uns bisher noch nicht einmal Gelegenheit gegeben, diese Dinge mit ihm zu beraten. Während seiner Parteiführerschaft ist die Arbeiterschaft aus einem Länderparlament nach dem anderen verschwunden. Es ist ganz unmöglich, verantwortlicher Führer der deutschnationalen Arbeiterschaft zu sein und nach 1 1/2 Jahren noch zu einer solchen Parteiführerschaft zu schweigen. Es ist unbegreiflich, daß ein Mann mich und meine Freunde der Parteischädigung anklagt, der sich solche Unterlassungen als Parteiführer hat zu Schulden kommen lassen.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch auf etwas anderes hinweisen. Der Herr Parteivorsitzende hat bei seiner Wahl das Wort ausgesprochen, daß er es für seine Aufgabe betrachte, die Deutschnationale Volkspartei von Geldgebern unabhängig zu machen und sie so zu organisieren, daß ihr ganzer Apparat und ihre Arbeit aus eigenen Beiträgen sich finanziere. "Wenn", so sagte er wörtlich, "ihm das nicht innerhalb zweier Jahre gelinge, so betrachte er seine Aufgabe als gescheitert". Ich habe damals schon zum Ausdruck gebracht, daß er diese zwei Jahre nicht abzuwarten brauche. Er könne sie schon damals als gescheitert betrachten. In welch hohem Maße diese meine Auffassung berechtigt war, zeigte die Rechnungsablage, die in Kassel der Parteivertretung gegeben wurde. Ich sage nicht zu viel, wenn ich behaupte, daß sich jetzt nach 1 1/4 Jahr, die Schuldenlast über das Doppelte erhöht hat, dazu kommt ein nach meiner festen Überzeugung in starker Desorganisation befindlicher Finanzapparat der Partei im Lande. Ich muß zum Ausdruck bringen, daß ich die Auffassung habe, daß Herr Hugenberg die Partei mit einer Kreditlast überzogen hat, die nach allen Erfahrungen, die hinter uns liegen, weit über ihre Leistungsfähigkeit geht.
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Ich stelle nur fest, daß z. B. die Ausgaben für die Ausschüsse sich von etwa 45 000 Mark auf weit über 140 000 Mark gehoben haben. Der Deutschnationale Arbeiterbund, als die größte an Mitgliedern und an Wählerstimmen in Frage kommende Organisation, kann sich einer Steigerung seiner von der Partei gewährten Mittel nicht rühmen. Aber, meine Damen und Herren, Sie ersehen schon, warum Herr Hugenberg die Begründung seines Ausschlußantrages nur auf den 1. Absatz unserer Erklärung stellte. Die Grundlage für meine gegen den Herrn Vorsitzenden gerichtete Anklage ist vor allem im zweiten Absatz enthalten. Wir haben dort gesagt, daß wir fruchtbare politische Arbeit nicht für möglich halten, wenn freimütige und sogar private politische Meinungsäußerungen unterdrückt werden sollen. Die Ehrbegriffe, Herr Hugenberg, wie sie in den akademischen Kreisen zu Hause sind, will ich hier nicht untersuchen. In der Arbeiterschaft, aus der ich herkomme, würde man die Benutzung eines Privatbriefes ohne Genehmigung des Briefschreibers und hinter seinem Rücken in der Öffentlichkeit, als einen Skandal ansehen und mit dem sofortigen Abbruch jeglichen Verkehrs mit solcher Persönlichkeit beantworten. Die Methoden, die Sie, Geheimrat Hugenberg, eingeführt haben und die diktatorischen Vollmachten, die Sie sich haben ausstellen lassen, finden ihre Kritik im Absatz 2 unserer Erklärung.
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Hier nur eine kurze Notiz über die Art, wie das Freiheitsgesetz zustande gekommen ist: Der Stahlhelm beabsichtige ein Volksbegehren zur Änderung der Verfassung und lud zu Unterschriften ein. Hierauf haben Sie, Geheimrat Hugenberg, soweit ich sehen kann, sich mit dem Stahlhelm zur Zurückstellung seines Volksbegehrens beredet und haben dann im Parteivorstand beschließen lassen, daß die DNVP. mit anderen nationalen Verbänden gemeinsam ein Volksbegehren gegen den Tributplan einlegen sollen. Soweit richtig und gut! In derselben Vorstandssitzung haben Sie aber die diktatorische Vollmacht zur politischen Führung sich ausstellen lassen, gegen die ich als einziger gestimmt habe. Von der weiteren Entstehung des Freiheitsgesetzes, von der Formulierung und Fassung der einzelnen Paragraphen bis zur gesamten Abschließung des Gesetzes hat keine deutschnationale Parteiinstanz, vor seiner Veröffentlichung und unabänderlichen Fertigstellung je wieder etwas erfahren. Herr Hugenberg, Sie haben es gewagt, der deutschnationalen Reichstagsfraktion einen Gesetzentwurf vorzulegen, den Sie in einer außerparlamentarischen Körperschaft, dem sogenannten Reichsausschuß, in dem keine maßgebende Persönlichkeit der Reichstagsfraktion, außer Ihnen und Abgeordneten Schiele beschlußfassend mitwirken konnte, haben anfertigen lassen, in dem aber Vertreter von Organisationen saßen, die in volkswirtschaftlicher und kultureller Hinsicht die Politik der Partei auf Tod und Leben so oder so bekämpfen. Sie haben im entscheidenden Teil des Gesetzes im § 4 sich dem Diktat des Herrn Hitler gebeugt, während das Urteil eines maßgebenden Mitgliedes der Reichstagsfraktion, des Herrn Abgeordneten Schiele von Ihnen ignoriert worden ist. Letztens sind also Sie für all die Folgen verantwortlich, die auch aus der Überrumplung der Fraktion, die sich nachher nur noch über ein fertiges Produkt unterhalten durfte, und für die Folgen, die in dem völlig unmöglichen § 4 zu sehen sind, verantwortlich.

Halten Sie, meine Damen und Herren, es für möglich, daß sich in solcher Weise ein der Wählerschaft und dem deutschen Vaterland und Reich verantwortlicher Abgeordneter entmündigen läßt? Halten Sie es als Hauptvorstand der Partei für möglich, daß solch eine Praxis in unserer Partei diktatorisch ausgeübt wird.
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Unter die Kritik des 2. Teiles unserer Erklärung, meine Damen und Herren, fällt aber auch ein anderer Vorgang, den ich hier nur ganz kurz mit wenigen harten Strichen zeichnen kann.

Die kulturelle Politik unserer Partei trägt zweifellos starke Züge der Vernachlässigung, wenn nicht des Verfalls. Krampfhaft bemühen sich die christlichen evangelischen und katholischen Kreise in der Partei die hohen sittlich-ethischen Lebenskräfte des Christentums für unser öffentliches Leben wirksam zu machen und wir müssen es erleben, daß weite Teile der Presse, die unter dem Einfluß des Herrn Hugenberg stehen sollen, gegen dieses Lebensinteresse eingesetzt werden. Der Scherlsche Pressekonzern und seine Literatur sind in einer Weise der deutschnationalen Kultur entgegengesetzt, daß man sich fragen muß, wie ist es möglich, daß der verantwortliche Leiter eines solchen Pressekonzerns gleichzeitig Führer einer deutschnationalen Partei mit solch einem Kulturprogramm sein kann? Ich weise nur darauf hin, daß "Der Angriff", das nationalsozialistische Organ, in seiner letzten Nummer gegen die Ufa, dem Filmkonzern, in dessen Aufsichtsrat Herr Hugenberg auch maßgebend beteiligt ist, einen Artikel bringt, in dem er ankündigt, daß er ein pazifistisch jüdisch unsauberes Filmstück, das von der Ufa z. Zt. Aufgeführt würde, aufs äußerste bekämpfen würde und die Ufa auffordert, das Stück von ihren Spielplänen zu setzen, widrigenfalls die Nationalsozialisten in ganz Deutschland die Ufatheater boykottieren würden. Man kann nicht verantwortlicher Leiter einer großen christlichen Volksgemeinschaft und gleichzeitig Leiter eines Erwerbsunternehmens sein, das skrupellos alle Erwerbsmethoden und Möglichkeiten ausnutzt, ohne Rücksicht auf christliche Sitte und christliche Gebote.

Glauben Sie denn, meine Damen und Herren, daß bei der beleidigenden Stellungnahme von Dr. Hugenberg gegen das Parlament - die Ausschaltung der Fraktion beim Freiheitsgesetz gehört auch hierher - bei den Führern der übrigen bürgerlichen Fraktionen eine gemeinsame im nationalen, volkswirtschaftlichen und christlich-sozialen Sinne liegende gemeinsame parlamentarische Aktion ermögliche, von erleichtern garnicht zu sprechen. Ich weise nur auf die merkwürdige Art hin, mit der der Abgeordnete Hugenberg trotzdem er Urheber des Freiheitsgesetzes ist, die persönliche Vertretung desselben im Reichstage ablehnt. Er läßt durch den Lokalanzeiger verkünden, daß ihm bei seiner männiglich bekannten Einschätzung des Parlaments ein persönliches Eintreten von der Tribüne des Reichstages nicht zugemutet werden könne. Als zweiten Grund für seine Weigerung im Reichstage zu reden gab Dr. Hugenberg an, daß er dem Geheul der Linkspresse, die ihn dazu fordere, nicht nachkommen wolle. Ferner könne er diesmal nicht zu dem Gesetz reden, da ihn ja voraussichtlich 17 Abgeordnete beim § 4 im Stich lassen würden.

Diese ganzen Gründe sind fadenscheinig. Über die Hohlheit von 1 und 2 brauchen wir nicht zu reden. Aber auch der dritte Grund hält nicht Stich. Alle Abgeordnete ohne Ausnahme und darauf hätte er als Redner wirkungsvoll hinweisen können, standen wie ein Mann zu dem sachlichen Inhalt des Gesetzes, Verhinderung des Tributplanes und Widerruf der Kriegsschuldlüge. §§ 1, 2, 3 und 5 und Gesamtabstimmung stand bei keinem in Frage. Herr Hugenberg hat hier in dreifacher Hinsicht versagt, als Parteiführer, als Abgeordneter und Antragsteller. Wohin geht solche Führung?

Meine Damen und Herren? Meine Kritik möchte ich auch noch auf einen anderen Punkt lenken. Wir sind eine nationale Partei. Wir kämpfen auf der Grundlage unseres Programms für eine Reform des gegenwärtigen Staatsaufbaues im Sinne unseres volksgemeinschaftlichen Programms. Auch meine Freunde und ich sind der Auffassung, daß die Frage der Umänderung der Staatsform bis auf längere Zeit hinaus nicht brennend ist. Ich erinnere aber daran, in welchem Maße Herr Hugenberg und seine engeren Freunde solange sie nicht an der Macht waren, innerhalb der Partei stets die monarchische Frage mit all ihren die Leidenschaften entfesselnden Imponderabilien in den Vordergrund geschoben haben und Anklage wegen zu weniger Betätigung nach dieser Seite erhoben.
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Meine Damen und Herren, seit Hugenberg Führer der Partei ist, ist es davon still geworden in seinem Blätterwald und in den Reden seiner Anhänger. Ich halte mich für berechtigt zu sagen, daß der Deutschnationale Arbeiterbund niemals ein Hehl gemacht hat aus seiner monarchischen Einstellung, daß wir als das Endziel unseres Strebens und Wünschens ein deutsches Volkskaisertum wünschen, aber es drängte mich doch auf die Gegensätzlichkeit des Handelns hinzuweisen, die zwischen dem Früher und Jetzt der Freunde des Herrn Hugenberg in dieser Frage besteht.

Hierher gehört auch, meine Damen und Herren, eine andere ernste Angelegenheit. Auf allen bisher stattgefundenen Parteitagen haben wir der ehrwürdigen Persönlichkeit des Reichspräsidenten dankbar und ehrend gedacht. Es wäre jetzt - ganz abgesehen davon, daß wir es gewesen sind, die Deutschnationale Volkspartei, die ihn auf den Schild erhob und ihm mit Einsatz aller Kraft in der Wahl zum Siege verholfen haben, nachdem er seine ganze Initiative für die Deutsch-Russen eingesetzt hat, erst recht dazu Veranlassung gewesen. Der Herr Parteivorsitzende Hugenberg aber hat einen Parteitag nach Kassel einberufen, wir haben dort über 1000 Delegierte aus dem Reich zusammengehabt, aber es ist weder in der Parteivertretung, noch in den großen öffentlichen Versammlungen des Herrn Reichspräsidenten gedacht worden, geschweige denn, daß man ihm, wie früher, ein ehrendes Telegramm übermittelt hätte. Einer der Wortführer der Nationalsozialisten hat kürzlich in skandalöser Weise die ehrwürdige und verdienstvolle Persönlichkeit des Reichspräsidenten in die Debatte gezogen, also einer der Vertreter der Partei mit der wir uns jetzt in der Frage des Volksbegehrens verbündet haben. - Meine Damen und Herren, es gibt Imponderabilien, die man nicht ohne strafende Folgen für die Partei verletzen darf, die werden auch hier für unsere Partei eintreffen.

Wohin wir schauen sind Abwanderungen, die Bauern sind von uns gegangen, der Mittelstand, die Beamten drängen abzuwandern. Die evangelisch-christliche Bevölkerung sucht sich impulsiv in anderen in die Erscheinung tretenden Zusammenschlüssen eine Heimat. Die Gründe liegen letztens alle in der Kritik, die wir mit der Absatz 2 unserer Erklärung zum Ausdruck bringen.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Zu dem Ausschlußantrag des Herrn Vorsitzenden hier schon eine abschließende Meinung zu äußern, habe ich nicht die Absicht. Wir haben heute nachmittag Fraktionssitzung. Ihr Verlauf und ihre Meinung sind für mich auch in dieser Frage von Wichtigkeit. Es wird von ihr abhängen, wie ich und meine Freunde abschließend Stellung nehmen. Die Deutschnationale Partei und ihre Politik aber wird, wenn Sie weiter Herrn Hugenberg als Führer folgen, der Erstarrung anheimfallen. Sie haben nunmehr zu entscheiden, ob der Ausschlußantrag des Herrn Parteiführers oder aber ein Wechsel in der Führung des Richtige ist. Sie haben nunmehr das Wort.

(Quelle: Privat)


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Das persönliche Verhalten Dr. Hugenbergs
Hugenbergs antisoziale Einstellung
Finanzielle Situation der Partei seit Hugenberg
politische Arbeit des Arbeitnehmerflügels unmöglich
Hugenberg hat sich Hitler gebeugt
Entmündigung der Reichstagsabgeordneten der DNVP
Sonstige Kritikpunkte

Erstellt am 31.12.97 - Letzte Änderung am 31.01.1998.
Winfried Hartwig
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