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Die Deutschnationale Arbeiterbewegung
ihr Werden und Wachsen

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Vorwort

Die hier gegebenen Darstellungen sollen einführen in das Verständnis der deutschnationalen Arbeiterbewegung, sie sind aber noch keine Geschichte des Deutschnationalen Arbeiterbundes, sondern vielleicht die ersten Grundlagen dazu. Es ist noch nicht möglich, alle Einzelheiten klar zu übersehen und es gibt sicher später noch manches zu berichtigen, vor allem zu ergänzen und zu erweitern. Die abgebildeten, führenden Mitglieder stehen keineswegs in ihrem Kampf allein. Bedauerlicherweise ließ es sich bei einigen Weiteren nicht ermöglichen, die Photographie rechtzeitig herbeizuschaffen. Viele wackere Kämpfer sind nicht genannt. Ihre Verdienste sind nicht kleiner, vielleicht größer als die der Genannten. Die Arbeit ging auch in den verschiedenen Bezirken durchaus verschieden vor sich, und es ist noch keineswegs nach dem ersten Versuch einer solchen Darstellung möglich, die ganze Arbeit zu übersehen, und allen Bezirken vollkommen gerecht zu werden. Wir konnten deshalb auch nur aus wenigen Bezirken von Sonderarbeiten berichten.

Ist auch heute der Kreis der deutschnationalgesinnten Arbeiter vielfach schon ganz anders zusammengesetzt, als das bei der Begründung und bei den ersten Anfängen der Arbeit der Fall war. Für das Verständnis der Bewegung ist es richtig und notwendig, das Werden und Wachsen von Anfang an zu kennen.

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Die Deutschnationale Arbeiterbewegung,
ihr Werden und Wachsen.

Der Wettersturm des Weltkriegs brachte nicht nur eine Umwandlung der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse in unserem Volke mit sich, er rief auch tiefgreifende Veränderungen in den parteipolitischen Lagern, insbesondere im Lager der deutschen Arbeiterschaft hervor. Schon im zweiten Kriegsjahre spaltete sich die Sozialdemokratie. Die verschiedenen Richtungen, die schon lange vor dem Kriege als Radikalismus und Revisionismus mit einander gerungen hatten, traten im Jahre 1915 – wenn auch nicht in genau in denselben Trennungslinien – als Mehrheitspartei und unabhängige Sozialdemokratie in die Erscheinung. Später entwickelte sich noch eine dritte Gruppe, der Spartakusbund, aus dem 1919 die Kommunistische Partei entstand.

In der Zentrumspartei schienen sich ebenfalls nach der Revolution starke Veränderungen vorzubereiten. In der Wahlbewegung zur Nationalversammlung traten jedenfalls die bisherigen Anhänger des Zentrums unter verschiedenen Bezeichnungen auf den Kampfplatz. In Berlin wurde der Name Christliche Volkspartei usw. gewählt. In der Nationalversammlung allerdings fanden sich die Gruppen unter den alten historischen Namen – abgesehen von der Bayerischen Volkspartei – des Zentrums wieder zusammen.

Die verschiedenen fortschrittlich-demokratischen Richtungen der Vorkriegszeit schlossen sich bereits im November 1918 mit Einschluß des linken Flügels der Nationalliberalen zur Deutsch-demokratischen Partei zusammen, während der Kern der alten Nationalliberalen Partei sich unter dem Namen Deutsche Volkspartei neu organisierte. Die früher rechtsgerichteten Parteien und Gruppen – abgesehen von den ultrakonservativen Kreisen – schlossen sich zu einer Deutschnationalen Volkspartei zusammen, die sich aber keineswegs auf diese Kreise beschränkte, wenngleich sie auch den Kern der Bewegung bildeten. Bald tauchte auch manch neuer Name in ihren Reihen auf, der früher bei den linksgerichteten Parteien einen anerkannten Führer bezeichnete.

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Ueberhaupt sind die ganzen neuen Bildungen so zu verstehen, daß durch die Umgestaltung des Wahlrechts, durch die Einführung des Frauenstimmrechtes, die Herabsetzung des Wahlalters, so viele neue Wähler geschaffen wurden, daß sie fast in allen Parteien drei Viertel der Gesamtwählerschaft ausmachten. Es ist verständlich, daß diese neuen Wähler den Charakter der einer anderen Zeit angehörenden Parteien mehr oder weniger abändern mußten, selbst wenn diese sich noch so sehr dagegen gesträubt hätten. In den Parteien, die als bisher bestehende politische Organisationen zur Deutschnationalen Volkspartei zusammen traten, hatte in der Christlich-sozialen Partei das Arbeiterelement zweifellos die Führung in der Hand. Wohl waren auch in der Deutsch-konservativen Partei zahlreiche Arbeiter als sichere Wähler vorhanden. Ganz besonders im Osten unseres Vaterlandes waren

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die Landarbeiter in ihren patriarchalischen Verhältnissen gut national eingestellt und gingen sicher mit in die Deutschnationale Volkspartei hinein. Auch hatten die Konservativen in Frankfurt a. O.-Lebus vor dem Kriege schon den Versuch gemacht, den evangelischen Arbeitersekretär Hermann Dunkel in den Reichstag zu entsenden; aber die zur Macht und Mitarbeit drängten, die aktiven Elemente, das waren doch die Industriearbeitermassen, im wesentlichen aus dem Westen, die in der Christlich-sozialen Partei ihre politische Heimat gefunden hatten. Die Christlich-soziale Partei war zwar von den früheren Rechtsparteien ungefähr die kleinste. Aber in bezug auf die Arbeiterschaft sicher diejenige, die für die neuen Kämpfe nach der Revolution am besten ausgerüstet war, und ihr Menschenmaterial am meisten durchgebildet hatte. Diese Arbeiterkreise aus der Christlich-sozialen

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Partei bildeten die erste Arbeitertruppe in der Deutschnationalen Volkspartei. Es ist nicht richtig, wie heute vielfach betont wird, daß sie als christliche Gewerkschafter gekommen wären; sie hatten es gelernt, den Unterschied zwischen Partei und Gewerkschaften klar zu erkennen. Sie kamen in dem Bewußtsein, bereits in der Vorkriegszeit einen der ihrigen (Franz Behrens) in den Reichstag, einen anderen (Wilhelm Wallbaum) sogar unter dem Drei-Klassen-Wahlrecht in den preußischen Landtag gebracht zu haben. Simon Kreiling hatte sich ein lippisches Landtagsmandat erobert und in zahlreichen anderen Wahlkreisen waren christlich-soziale Arbeiter als Reichstagskandidaten aufgestellt gewesen und nahe dabei, Mandate zu gewinnen.

Die führenden Mitglieder der Christlich-sozialen Partei standen nach der Staatsumwälzung vor der Frage, soll die Christlich-soziale Partei in der neuen Zeit, die eine besonders straffe Zusammenfassung aller nationalen Kräfte nötig erscheinen ließ, ihr Sonderdasein weiterführen oder ist es ihre Aufgabe, in einer neuen großen nationalen Gesinnungs- und Parteigemeinschaft im christlich-sozialen Sinne zu wirken.

Alle erkannten an, daß Sammlung das Gebot der Stunde sei. Schon während des Krieges, Anfang 1916, hatte Lindner aus dem Felde der christlich-sozialen Parteileitung in eingehender Denkschrift die Schaffung einer großen Rechtspartei vorgeschlagen und ihr nahegelegt, die ersten Schritte zur Verständigung und Verschmelzung zu tun. Dabei hatte er als Namen der neuen Partei den später tatsächlich gewählten - „Deutschnationale Volkspartei“ - als die beste Bezeichnung vorgeschlagen. Als es dann unter ganz anderen Umständen, nach der Revolution 1918, so weit war, da waren selbstverständlich christlich-soziale Persönlichkeiten wie Behrens, Mumm, Hartwig, Neuhaus, Wallbaum, Koch, Rippel, Rüffer, Lindner und viele andere bei der Gründung der Deutschnationalen Volkspartei und ihrer Unterorganisationen beteiligt. Die christlich-sozialen Wählerkreise schlossen sich der neuen Partei sofort an und lösten die eigene Parteiorganisationen vorbehaltlos auf.

Von Bielefeld aus erließen Emil Hartwig und seine engeren Freunde im November 1918 einen Aufruf an die nationale Arbeiterschaft, forderten sie auf, mit in die Deutschnationale Volkspartei einzutreten, bei der Wahl zur Nationalversammlung deutschnational zu wählen und im übrigen sich zu einem Reichsarbeitsausschuß innerhalb der Deutschnationalen Volkspartei zusammenzuschließen. Dieser Aufruf wurde ins Land hinaus gesandt und allen bekannten christlich-sozialen Arbeiterführern und Arbeitervertrauensmännern zur Unterschrift vorgelegt. Ueber diesen Kreis hinaus fand der erste Aufruf – man kannte sich noch nicht – kaum eine nennenswerte Zahl von Unterschriften. Die Wirkungen des Aufrufs aber waren ausgezeichnete, da sich sofort etwa 2000 Arbeiter aus dem Reich zum Reichsarbeiterausschuß anmeldeten.

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Die damals um den Zentralpunkt Bielefeld zusammengescharten Arbeiter gingen aber weiter. Hartwig, Meyer und Lindner formulierten ein über den ersten Aufruf der Partei weit hinausgehendes, in sozialpolitischer Beziehung gut ausgearbeitetes Programm. Sie legten es bei der Begründung des Landesverbandes Westfalen-Ost vor, und es war ihre Bedingung, mit diesem Programm in den Wahlkampf zu gehen und den Zentralaufruf der neugegründeten Partei, der verhältnismäßig wenig anziehendes besaß, im Wahlkampfe nicht zu verwenden. Erst nachdem diese Bedingung akzeptiert war, kam die Gründung des Landesverbandes Westfalen-Ost zustande. Nach der Wahl zur Nationalversammlung wurde mit allem Nachdruck versucht, die in diesem Programm niedergelegten Grundsätze und Forderungen in das

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neuzuschaffende endgültige Parteiprogramm der Deutschnationalen Volkspartei hineinzubringen, und ein erheblicher Teil der heute bestehenden „Grundsätze und Richtlinien der Deutschnationalen Volkspartei“ stammt aus dem westfälischen Programm. Damit ist klar gestellt, daß die christlich-sozialen Arbeiterkreise von der ersten Ausgestaltung der Parteiorganisation sowohl, wie des Parteiprogramms aufs Intensivste mitgearbeitet haben. Und es ist auch gelungen, was gar nicht immer sehr leicht war, die Gesamtheit der Partei zur Erkenntnis der Tatsache zu bringen, daß ohne die Arbeiterschaft eine vernünftige nationale Bewegung überhaupt nicht mehr möglich ist; daß aber mit den Arbeitern diese Bewegung dann möglich ist, wenn man ihnen Gleichberechtigung einräumt, sie mit reden und handeln läßt und ihnen den Einfluß gibt, den sie ihrer Zahl nach und der Bedeutung ihrer Führer entsprechend beanspruchen können.

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Franz Behrens war bei der Parteigründung gleich mit in den engsten Parteivorstand gekommen, und Margarete Behm wurde Vorsitzende des Reichsfrauenausschusses. Auch sie kam aus dem Lager der christlich-sozialen Arbeiterschaft. Außer diesen beiden kamen in den Parteivorstand Koch, Wallbaum und Hartwig. In die Nationalversammlung wurden gewählt: Wilhelm Koch, Wilhelm Wallbaum, Margarete Behm, Fritz Knollmann, und Franz Behrens. Letzterer war sogar zweimal gewählt, in Potsdam I und Ostpreußen. Er nahm das ostpreußische Mandat an, das er bis jetzt noch ausübt. In die preußische Landesversammlung gelangten in Westfalen Richard Martin, in Ostpreußen Richard Dallmer, in Posen der Buchdrucker Köhler.

Paul Rüffer hatte sowohl in Berlin als auch in Mecklenburg zur Nationalversammlung kandidiert, war aber in beiden Stellen nicht gewählt worden. 14 Tage später zog er als erster deutschnationaler Mandatsträger in das Stadtparlament der Reichshauptstadt ein. Fritz Knollmann starb – viel zu früh – noch während der Tagung der Nationalversammlung, Wilhelm Wallbaum legte nach einem Jahr sein Mandat nieder.

In Lippe wurde Simon Kreiling gewählt, er hat bis heute sein Mandat inne und ist inzwischen Vizepräsident des Landtages geworden. In Braunschweig wurde Wilhelm Braun Landtagsabgeordneter. Er legte jedoch, da er aus beruflichen Gründen aus Braunschweig verziehen mußte, leider verhältnismäßig schnell sein Mandat nieder. In die Hamburger Bürgerschaft zog J. P. [J.C.] Jensen. Auch er hat noch heute sein Mandat inne. In Danzig wurden nach Schaffung des Freistaats zunächst die Kollegen Brodowski und Albrecht gewählt, bei der späteren Wahl trat der Kollege Schütz, der Vorsitzende des Deutschnationalen Arbeiterbundes an Albrechts Stelle.

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In den Mecklenburger Landtag wurden zunächst Karl Schlabach und Franz Schmidt gewählt. Bei der späteren Wahl trat an die Stelle Werner Rieschmidt. In die Bremer Bürgerschaft trat später der Vorsitzende des dortigen Landesverbandes, der Kollege Karl Hackenberg ein.

Das von Bielefeld ins Land gegangene Rundschreiben, das zur Sammlung in einem Reichsarbeiterausschuß der Deutschnationalen Volkspartei aufforderte, hatte in weitesten Kreisen freudige Zustimmung gefunden. Gelegentlich des ersten Parteitages in Berlin, am 14. Juli 1919, fand die endgültige Konstituierung des Reichsarbeiterausschusses statt. Emil Hartwig wurde zum Vorsitzenden, Paul Rüffer, der langjährige Generalsekretär der Christlich-sozialen Partei, zum Geschäftsführer berufen und trat als erster hauptamtlicher Arbeiter sein Amt in der deutschnationalen Arbeiterbewegung am 1. September 1919 an.

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Die Tätigkeit des Reichsarbeiterausschusses vollzog sich nun in der Weise, daß auf Grund der festgelegten Richtlinien schriftliche und persönliche Fühlung mit zahlreichen Vereinen und Organisationen im Reiche aufgenommen wurde. Diese Organisationen und Vereine wurden gebeten, dem Reichsarbeiterausschuß die Anschriften von zuverlässigen, national gesinnten Arbeitern mitzuteilen. Mit diesen namhaft gemachten Persönlichkeiten trat der Reichsarbeiterausschuß in persönliche Beziehungen. Diese Persönlichkeiten, soweit sie dazu willig waren, arbeiteten nun als Vertrauensmänner in ihren Vereinen und auf ihren Arbeitsplätzen. Schon nach kurzer Zeit war ein engmaschiges Netz von Vertrauensleuten in den verschiedensten Gauen unseres Vaterlandes vorhanden. Wo es irgendwie angängig war, wurden von den Vertrauensleuten Ortsausschüsse gebildet.

Gleichzeitig setzte der Reichsarbeiterausschuß mit einer energischen Agitationstätigkeit ein. Bis zum Ende des Jahres 1919 war der Geschäftsführer außer in Berlin in der Provinz Sachsen, im Oberbergischen und in Westfalen tätig. Es kam in dieser Anfangsperiode darauf an, den Boden in der Arbeiterschaft für die deutschnationale Gedankenwelt vorzubereiten. Deshalb wurden alle Kräfte für die Werbetätigkeit freigemacht.

Neben der Versammlungstätigkeit wurden schon in diesem Herbste größere Arbeitertagungen einberufen. Am Sonntag, den 2. November 1919, fand die erste in Hagen in Westfalen statt. Trotz der damals herrschenden Verkehrsschwierigkeiten war die erste deutschnationale Arbeitertagung aus den fünf westlichen Wahlkreisen außerordentlich stark besucht und gestaltete sich zu einer machtvollen Kundgebung für den deutschnationalen Gedanken, Der Vorsitzende des Reichsarbeiterausschusses, Emil Hartwig, führte in seiner Begrüßungsansprache etwa aus: „Die Zusammenkunft deutschnationaler Arbeitervertreter ist selbst in unserer ereignisreichen Zeit eine Tagung, die über den Rahmen der Deutschnationalen Volkspartei hinaus ernstester Betrachtung sicher sein kann. . . . Wir, die wir hier versammelt sind, haben uns aus unserer ganzen Welt und Lebensanschauung heraus der deutschnationalen Politik und ihrer politischen Organisation, der Deutschnationalen Volkspartei, angeschlossen. Mit der Tatsache der Erreichung der faktischen politischen Gleichberechtigung sind, das braucht nicht erst betont zu werden, auch die Hunderttausende deutsch und nationalgesinnter Arbeiter und Arbeiterinnen vollauf einverstanden. Aber weder mit der Form, noch mit der Art, wie die Erreichung dieses Zieles durch die Sozialdemokratie herbeigeführt worden ist, können wir uns zufrieden geben. Die Revolution und die Autoritätslosigkeit hat kulturelle, nationale und wirtschaftliche Werte vernichtet, die auf dem Wege der evolutionären Entwicklung nicht zu Schaden zu kommen brauchten. . . . Mit der Sozialdemokratie ist nach unserer Auffassung die organisierte Christentumsfeindschaft ans Ruder gekommen. Die heutigen sozialdemokratischen Staatsmänner wer

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den in Parlament und Verwaltung entsprechend regieren. Da liegt der zwingende ethische Grund unserer politischen Oppositionsstellung zum heutigen republikanischen System.

. . . Wir wollen grundsätzlich den Staat auf der christlichen Glaubens- und Sittenlehre aufgebaut wissen. Ohne die christliche Moral fehlt der Staatsautorität das Rückgrat und ihren Verwaltungsapparaten die Pflichttreue.“

Diese grundsätzlichen Ausführungen, die mit aller wünschenswerten Klarheit die Grundlinien der werdenden deutschnationalen Arbeiterbewegung feststellten, machten sehr starken Eindruck. Im Anschluß an diese Begrüßungsrede hielt Franz Behrens einen Vortrag über die deutschnationale Arbeiterpolitik. Grundsätzlich, so bemerkte er einleitend, stehe ich im Rahmen einer derartigen Politik so: ich kenne nur eine deutschnationale Politik. . . . Ein Zurück gibts nicht mehr, auch ein Anknüpfen an den 8. November gibts nicht mehr. Es gilt auf allen wirtschaftlichen und politischen Gebieten einen Neuaufbau. . . . Was ist denn eigentlich am 9. November zusammengebrochen? Ist das monarchistische System zusammengebrochen? Nein! Das Christentum? Nein! Was zusammengebrochen ist, ist lediglich unser Volksgeist, unsere innere Moral. . . . Was

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hat uns die Revolution gebracht? Die Taten der Revolution waren außerordentlich minimal und das ist das Furchtbare: ohne diesen Umsturz hätten wir niemals diesen Schmachfrieden aufgezwungen bekommen, der unsere Existenz so ungeheuer schwer macht.

. . . Wir müssen uns ausrüsten lassen mit dem starken Glauben an die sieghafte Macht des Christentums, mit starker Kraft, mit deutscher Gesinnung; aber auch mit einem starken Glauben an die Wiedergesundung unseres Volkes. . . . Wir müssen einen Feldzug des Glaubens gegen den Unglauben führen. Alle Parteien und alle Politik sind ein Uebel, wenn sie nicht diese Gesinnung haben.“ Der Vertretertag nahm mit großer Zustimmung diese wegweisende Ausführungen entgegen. Das dritte Referat hielt Otto Büchsenschütz, über das Thema „Reichsverfassung und Deutschnationale Volkspartei“. Der Redner findet: „Das ein Geist aus der Verfassung spricht, welcher nicht deutsch zu nennen ist. . . . Aus diesem Grunde haben wir Verständnis dafür, daß diese Verfassung von unseren Freunden abgelehnt worden ist. Büchsenschütz wendet sich dann der Frage der Gleichberechtigung zu: Es muß immer mehr in der Partei zur Erkenntnis kommen, daß nur eine wahre Volksgemeinschaft uns aus dieser Misere herausbringen kann. Eine Volksgemeinschaft, in der nicht Stand und Besitz, sondern das Verantwortungsgefühl für das ganze Volk, sowie wahrer christlich-sozialer Geist die Führung haben, in der ein Stand für die Nöte des anderen Standes volles Verständnis hat und an ihrer Beseitigung mitarbeitet. Es darf nicht vorkommen, daß Arbeitgeber, die politisch auf unserem Boden stehen, von der nationalen Arbeiterschaft verlangen, daß sie nur die Sozialdemokratie bekämpft, für die wirklichen Nöte der Arbeiterschaft aber kein Verständnis hat. . . . Wir müssen ein klar umrissenes Programm haben und ein erreichbares Ziel aufstellen. Ein Ziel, das den christlichen Sozialismus verwirklichen will, d.h. wahre Volksgemeinschaft bringen, dann habe ich die Ueberzeugung, dann werden wir uns durchsetzen, trotz aller Zerrissenheit, aller Verwirrung.

Dieser Vortrag, der ebenfalls freudige Zustimmung fand, zeichnete den praktischen Weg, den die deutschnationale Arbeiterschaft gehen muß, zum Heile des deutschen Volkes.

Den letzten Vortrag hielt Paul Rüffer über „Die treibenden Ideen unserer Zeit“. Die äußeren Kennzeichen des Augenblicks – so führte er aus – sind Zusammenbruch und Bürgerkrieg. Von leitenden Ideen ist in diesem Chaos scheinbar nichts zu fühlen, es sei denn, daß man die Vernichtungs- und Zerstörungswut als Idee bezeichnet. Aber wer so urteilen wollte, dürfte sich dennoch täuschen, denn auch in unserer wildbewegten Zeit leben Ideen, sie formen sich zur neuen Gestaltung. Die neue Zeit wurde unter den Schmerzen des Weltkriegs und der Revolution geboren. Was aber fehlt, sind die Männer,

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die mit überragender staatsmännischer Kraft einem Bismarck gleich, unsere Zeit, den tollgewordenen Renner, mit eherner Faust und ehernem Schenkel zu meistern verstehen.

Die Zentralidee der Zeit ist und bleibt die religiös-christliche. Sie lebt als vorwärtstreibendes Moment unter dem Schutte der Gegenwart. Ein neues Leben blüht aus den Ruinen. Dieses neue erwachende religiöse Leben ist aber nicht an der Überlieferung geschichtlicher kirchlicher Form gebunden, sondern als ein tiefer, sogleich aber schmaler Golfstrom flutet es durch unsere Zeit dahin. Es sucht nach neuen Ausdrucksformen und der Inhalt, der gesucht wird, ist der ewige alte, des Christentums. Es ist die Idee der Freiheit, der Gleichheit und der Brüderlichkeit. Das religiöse Prinzip sucht nach neuen Organisationsformen, und diese neue Organisationsform ist die Volkskirche. Das reine Prinzip der Reformation vom allgemeinen Priestertum der Gläubigen.

Der Redner wandte sich dann den politischen Grundsätzen zu, Die nationale Idee muß bodenständig, wurzelecht sein. Die Schwäche des deutschen Volkscharakters ist seine ausgeprägte weltbürgerliche Gesinnung. Sie ist ihm in der Vergangenheit und in der

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Gegenwart zum Verderben geworden. und sie kann ihm, wenn der nationale Wille nicht erstarkt, in der Zukunft zum Fluche werden. Der nationale Geist ist unter dem Rankenwerk des Internationalismus erstickt worden. Den preußischen Geist hat die Revolution scheinbar totgeschlagen, aber wir fordern den Willen zur Tat, den Willen zur Arbeit, den Willen zur Macht, wir suchen unter den neuen Verhältnissen diesen Willen zu kultivieren. Wir fordern die Selbstbehauptung unseres Volkes, aber die setzt Arbeit und Kampf voraus, ohne Arbeit und Kampf kein selbstbewußtes nationales Leben.

Das ist die geschichtliche Aufgabe der Deutschnationalen Volkspartei. Sie muß, wenn sie eine Zukunft haben will, das ganze Volk umspannen und alle religiösen, sozialen Strömungen in den Dienst des nationalen Gedankens stellen. In der Form des Reichsarbeiterausschusses will sie das Christliche mit dem Sozialen und Nationalen verbinden. Das ist hoffentlich das Zeichen, in dem sie im deutschen Volke siegen wird.

Der Delegiertentag stimmte den Grundgedanken auch dieses Referats vorbehaltlos zu. Der Eindruck der Referate wurde in einer einstimmig angenommenen Entschließung niedergelegt, aus der wir folgende Sätze herausgreifen:

Die Bedeutung der ersten deutschnationalen Arbeitertagung fand in der deutschen Oeffentlichkeit eine begeisterte Aufnahme. Zum ersten Male nach der Revolution war es der Oeffentlichkeit zum Bewußtsein gebracht, daß es außerhalb der Sozialdemokratie eine politisch nationale Arbeiterbewegung gab. Unter allen Pressestimmen hat die Bedeutung dieser Arbeitertagung die Berliner Zeitung „Die Post“ am besten zum Ausdruck gebracht, als sie schrieb;

Erstellt am 27.01.2019 - Letzte Änderung am 28.01.2019.