Abschrift eines mit Maschine geschriebenen Manuskripts

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Mitte November 1918.

Christlich-nationale Arbeiterbewegung

Wie ein Dieb in der Nacht, wie ein Blitz aus heiterem Himmel ist auch für die christlich-nationale Arbeiterbewegung der Umsturz vom 9. November gekommen. Die christlich-nationale Arbeiterbewegung stand nach ihrer Weltanschauung, nach ihrer Geschichte und Staatsauffassung auf dem Boden der Monarchie. Kaiser und Reich waren für sie nicht nur Symbole der deutschen Macht, sondern stellten für sie auch die stärksten Bürgschaften für den sozialen Aufstieg des deutschen Arbeiterstands dar.

Die christlich-nationale Arbeiterbewegung hat deshalb die soziale Politik unseres Kaisers begrüsst. Der Ostererlass waren darum ganz in ihrem Sinne und die Umwandlung des Obrigkeitsstaates in einen Volksstaat entsprach ihren Wünschen. Im Zeichen der neuen Verhältnisse hofft die christlich-nationale Arbeiterbewegung in der kommenden Friedenszeit einen neuen Aufschwung zu erleben.

Die Novemberrevolution hat auch sie vor ganz neue Verhältnisse und Aufgaben gestellt. Nicht die soziale Republik, die wir augenblicklich haben, sondern das soziale Volkskaisertum, das durch die Revolution verschlungen ist, war ihr politisches Ideal. Nicht die Diktatur des Proletariats, nicht die Klassenherrschaft von unten, nicht ein neuer Obrigkeitsstaat, der seine Gewalt dem leichten Siege der Soldaten und Arbeiterräte von gestern verdankt, war ihr Ziel, sondern der Volksstaat in dem alle Kräfte des Volkes zur baldigen Mitarbeit zum Wohl der Gesamtheit organisiert sind unter Führung des sozialen Kaisertums, war das, was die christlich-nationale Arbeiterbewegung erstrebte.

Diese Hoffnungen hat der 9. November zerstört. Eine neue Zeit, ein anderes Volk mit einem neuen politischen Willen steigt aus dem ungeheuren Blutbad dieses Weltkrieges empor. Gewaltige Aufgaben sind der neuen Regierung gestellt. Der Friedensschluss, die Zurückführung des Millionenheeres, die Umstellung der Industrie auf die Friedensarbeit sowie die Ernährung des Volkes erfordern die Mobilisierung aller Volkskräfte. Die christlich-nationale Arbeiterbewegung wird im Interesse des Volkes mit allen Kräften an der Lösung dieses ungeheuren Problems mitarbeiten.

Aber während mit Einsatz aller Kraft an der Lösung der ungeheuren Aufgaben gearbeitet wird, die die Stunde erfordert, muss die christlich-nationale Arbeiterbewegung ihr Augenmerk auf die kommenden Wahlen richten. Die Nationalversammlung wird erst berufen sein, über die endgültige Staatsform von Gesamtdeutschland zu bestimmen. Bis dahin trägt alles nur einen vorläufigen Charakter.

Am 13. November hat der Ausschuss des Gesamtverbandes der christlich-nationalen Gewerkschaften einen Aufruf veröffentlicht in dem es unter andrem heisst:
"Alle Kräfte müssen sich vereinigen in dem Bestreben unser schwer zersplittertes Vaterland aus den Wehen, die ihm zur Zeit Leib und Seele erschüttern, als neues, lebensstarkes Reich hervorgehen zu lassen. Der grösste Feind auf dem Wege zu diesem Ziel ist der Bolschewismus. Seine Herrschaft wäre gleichbedeutend mit Terrorismus aller Art, Hungersnot und blutigem Chaos. Auch von den politischen Machthabern fordern wir dessen stärkste Bekämpfung."

Diese beiden Dinge Aufbau und Abwehr sind zunächst das Nötigste. In diesen beiden Punkten ist sich die christlich-nationale Arbeiterbewegung mit der grossen Mehrheit des deutschen Volkes einig. Geschieht das, dann wird das deutsche Volk die Kraft haben im Zeichen der Freiheit und Gleichheit einer glücklichen Zukunft entgegen zu gehen.

Paul Rüffer.

(Quelle: Archiv des Diakonischen Werkes der EKD - Allensteinstr 53, Berlin-Dahlem)


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Erstellt am 20.11.97 - Letzte Änderung am 31.01.1998.
Winfried Hartwig
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