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Die Gegner sind die Arbeitgeber
Reaktion der Arbeitnehmer-Organisationen
Letzter Versuch vor Kriegsende
Entwurf der Gewerkschaften

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- F. Behrens, M. d. R. -


(Aus Evangelisch-soziale Stimmen vom Febr. 1918, Heft 2, Seite 8)

Arbeitskammern


Die Kämpfe um die Errichtung von Arbeitskammern sind denen um das preußische Wahlrecht in mancher Hinsicht ähnlich. Nur spielt sich der Kampf statt auf dem politischen auf dem sozial-wirtschaftlichen Gebiet ab. Das Verlangen nach Arbeitskammern ist sehr alt. Die ersten Anregungen aus dem Reichstag wurden 1876 gegeben. 1890 stellte der Kaiserliche Erlaß vom 4. Februar die Einrichtung öffentlich-rechtlicher Arbeitervertretungen in Aussicht. Erst 1908 wurde dem Reichstag ein Arbeitskammer-Gesetz-Entwurf vorgelegt. Danach sollten paritätische, auf die gewerblichen Arbeiter beschränkte Arbeitskammern nach fachlicher Grundlage errichtet werden. Die Errichtung sollte nicht zwingend sein. Der Entwurf wurde nicht verabschiedet. Die Reichsleitung legte 1910 einen neuen, den Beschlüssen der Reichstagskommission von 1908 Rechnung tragender Entwurf vor, welcher unter heftigen Kämpfen vom Reichstag verabschiedet, aber vom Bundesrat abgelehnt wurde. Die Reichstagskommission hatte nämlich u. a. den Entwurf auch dahin erweitert, daß das Gesetz auch die Staatsarbeiter erfaßte und daß zu Mitgliedern der Kammern auch Arbeiter- und Gewerkschaftssekretäre gewählt werden konnten. Dies war die Ursache des Scheiterns des Gesetzes.

Fast die gesamte gewerbliche Arbeitgeberschaft bekämpfte die Arbeitskammern-Vorlage grundsätzlich und heftig, weil sie sich ihre vollständige Vormachtstellung nicht beschränken lassen wollte. Im Reichstag lehnten die Regierung, von den Parteien die Konservativen und Nationalliberalen die Unterstellung der Staatsarbeiter unter das Gesetz und die Wählbarkeit der Arbeitersekretäre ab.
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Seit 1910 ruhte nach diesen Erfahrungen das Verlangen nach Arbeitskammern in der Arbeiterschaft. Man baute die Gewerkschaften so aus, daß sie einer vollwertigen Arbeitervertretung gleichkamen. Der Krieg brachte den Gewerkschaften und ihren Führern als Mitwirkenden bei allen heimatlichen Kriegsmaßnahmen zwar praktisch die Anerkennung als Arbeitervertretung, aber zugleich doch auch die Erkenntnis insbesondere noch in Hinsicht auf die nachkriegliche Übergangswirtschaft, daß die baldige Schaffung von Arbeitskammern erforderlich sei. Die Arbeitskammern würden auch die geeignetesten Präsentationskörper für die Arbeitervertretung im Herrenhause sein.

Der Reichskanzler kündigte am 29. November 1917 im Reichstage programmatisch an, er werde dem Hause einen Arbeitskammer-Gesetz-Entwurf vorlegen, "der an die Arbeiten von 1910 anknüpfen und in ihnen eine wertvolle Grundlage finden wird." Es ist kein Zweifel, daß nach den Kriegserfahrungen die Wählbarkeit der Arbeitersekretäre nicht mehr beanstandet werden soll. Die Staatsarbeiter wird man jedoch nach wie vor ausschalten. Im übrigen wird die Vorlage fakultative paritätische Fachkammern bringen, die den heutigen Zeitverhältnissen nicht genügen.
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Die Gewerkschaften und technischen Angestelltenverbände aller Richtungen - natürlich ohne die Gelben - haben der Reichsleitung im Herbst 1917 einen Entwurf eines "Gesetzes betreffend Arbeitskammern und das gewerbliche Einigungswesen" überreicht. Dieser Entwurf dürfte in der Reichstagskommission anstelle der Regierungsvorlage die Grundlage der Beratung werden. Der Gewerkschaftsentwurf sieht obligatorische, paritätische Arbeitskammern nach Bezirken einer höheren Verwaltungsbehörde geordnet, alle Arbeitnehmer - Arbeiter und Angestellte, auch Staats- und Landarbeiter - umfassend mit Gliederung nach Berufen in Abteilungen vor. Zugleich erfaßt der Entwurf die sozialen Einrichtungen des einen Monat nach Kriegsschluß unwirksam werdenden Hilfsdienstgesetzes - Arbeiterausschüsse, Schlichtungsstellen und Einigungsämter.

Der Gewerkschaftsentwurf wird der heftigsten Bekämpfung von den gewerblichen und landwirtschaftlichen Arbeitgebern und der staatlichen Betriebsverwaltungen ausgesetzt sein, weil er alle Arbeiter erfaßt, das Obligatorium und das Einigungswesen bringt. Der Kampf dürfte mindestens so heftig, wie der um das Landtagswahlrecht werden, nur daß die Gegner der Vorlage ausschließlich die Großarbeitgeber statt politische Richtungen sind. Nicht ohne Bedeutung wird die Stellungnahme der akademischen Schichten sein; ob sie auf die Seite der Arbeitgeber oder der Arbeiter treten. Vielleicht wird der Gesetzentwurf zum Prüfstein, an welchem sich die Geister scheiden.

F. Behrens, M. d. R.

(Quelle: Bibliothek des Diakonischen Werkes der EKD - Allensteinstr 53, Berlin-Dahlem)


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Erstellt am 04.01.98 - Letzte Änderung am 31.01.1998.
Winfried Hartwig
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