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Polizeibericht über die öffentliche Versammlung des Deutsch-nationalen Arbeiter-Bund (DNAB) vom 04.04.1924 in Cassel

Polizei-Präsident. Cassel, den 5. April 1924.
[?], St, Nr. 601/2 [Stempel]
Regierung Cassel
5-April 1924

Beifolgend überreiche ich einen Überwachungsbericht über die am 4. ds , Mts. Im grossen Saal des Evangelischen Vereinshauses stattgefundene Versammlung des „Deutschnationalen – Arbeiterbundes,“ welche von dem Gewerkschaftssekretär der christlichen Gewerkschaften – Oberbossel – geleitet wurde, und in der der Reichstagsabgeordnete Hartwig das Referat über das Thema:
Die Lüge vom Frieden von der Freiheit, und vom Brot
hielt.

Anwesend waren über 1200 Personen beiderlei Geschlechts. Schon lange vor Beginn der Versammlung war der Saal von einer erheblichen Anzahl von Mitgliedern der Linksparteien besetzt, die insbesondere in der Nähe des Rednerpultes Platz genommen hatten.

Da mit Störungen der Versammlung gerechnet wurde, war alles Erforderliche zur Abwehr solcher Störungen vorbereitet.

In den Versammlungsraum waren mehrere Beamte der politischen Polizei abgeordnet, während zunächst mehrere Streifen von Schutzpolizeibeamten in der Nähe des Hauses bereitgehalten wurden.

Die ersten Störungen erheblicher Art traten ein, als der Referent dazu überging, die bekannte „ Dolchstoss – Legende “ zu erörtern und dabei ausführte, dass die „Marxisten“ die Kampffront von hinten erdrosselt hätten. Als bei dem entstehenden Tumult versucht wurde, den Referenten vom Rednerpult zu ziehen, erhielt ein junger Mann, welcher den Referenten schützen sollte, einen Stockhieb, ohne dass es gelang, in dem augenblicklichen Durcheinander den Stockschläger zu ermitteln. Der Referent hat es dann in geschickter Weise verstanden, seine vorher gemachten Ausführungen dahin zu berichtigen, indem er erklärte, missverstanden zu sein. Nicht die Marxisten, sondern die Lehren des Marxismus hätten die Kampffront von hinten erdrosselt.

Diese Berichtigung hatte den Erfolg, die aufgeregten Gemüter zu beruhigen, sodass Hartwig sein Referat mit Unterbrechungen, die durch Zwischenrufe verursacht wurden, beenden konnte.


Der Höhepunkt aller Störungen trat in dem Augenblick ein, als der Deutschnationale Parteisekretär Steuer nach den Ausführungen Schrader‘s das Wort erteilt wurde und dieser das Rednerpult betrat. Dabei entstand ein solcher Tumult, dass Schrader nicht sprechen konnte und es dem Versammlungsleiter nicht mehr möglich war, die Versammlung zur Ruhe zu bringen. Er schloss darauf die Versammlung.

Da sich jedoch niemand anschickte, den Saal zu verlassen und immer wieder von neuem unter großem Tumult die „Internationale“ angestimmt wurde, bat Oberbossel die anwesenden Polizeibeamten um Schutz.

Daraufhin ersuchte Kriminal-Kommissar Becker zunächst den immer noch am Rednerpult stehenden deutschnationalen Parteisekretär Steuer abzutreten, weil allgemein geglaubt und behauptet wurde, dieser würde nach Entfernung der Arbeiterschaft aus dem Saale seine Ausführungen beginnen.

Als dies geschehen war, erging von dem genannten Beamten die Aufforderung an alle Anwesenden, den Saal in Ruhe und Ordnung sofort zu räumen. Dieser Aufforderung ist auch sofort entsprochen worden, ohne dass es notwendig war, die weiter herbeigeholten Schutzpolizeibeamten unter Führung des Hauptmann Juschka einzusetzen.

[handschriftlich:] Hauk[?]
Verteilungsplan:
An den Herrn Oberpräsidenten – Abt.M.-
An den Herrn Regierungspräsident, hier.


Cassel, den 5. April 1924.

Bericht
über die am 4. 4. 24 abends 8 Uhr im Evangelischen Vereinshause hier stattgefundene öffentliche Versammlung des Deutschnationalen Arbeiterbundes.


Zu dieser öffentlichen Wählerversammlung hatte der hier noch nicht in Erscheinung getretene Deutschnationale Arbeiterbund, in Verbindung mit der Deutschnationalen Volkspartei, an den öffentlichen Anschlagsäulen und durch die Zeitungen eingeladen.

Als Redner war der Vorsitzende des Deutschnationalen Arbeiterbundes, Reichstagsabgeordnete Hartwig, erschienen, welcher über das Thema „Die Lüge vom Frieden, von der Freiheit, und vom Brot“ sprach. Anwesend waren über 1200 Personen beiderlei Geschlechts.

Schon lange vor Beginn der Versammlung war der Saal schon hauptsächlich von Mitgliedern der Linksparteien besetzt. Schon aus den Aeusserungen der Mitglieder der Linksparteien konnte man vor Beginn der Versammlung entnehmen, dass es auf eine Störung in dieser Versammlung abgesehen war.

Leiter der Versammlung war der Gewerkschaftssekretär August Oberbossel, hier Schlangenweg 9 wohnhaft. Vor dem Lokale wurden beiliegende Plakate verteilt.

Um 8 Uhr abends war der Saal vollständig gefüllt. Kurz nach 8 Uhr eröffnete Oberbossel die Versammlung und führte aus, dass es für Cassel etwas neues sei, dass der Deutschnationale Arbeiterbund zu einer Versammlung auffordere. Als er einen Überblick geben wollte, wie der Deutschnationale Arbeiterbund sich zusammensetze, wurde er schon wiederholt unterbrochen, sodass seine Ausführungen schwer verständlich waren. Er erteilte dann dem Reichstagsabgeordneten Hartwig das Wort. Dieser, ein kleiner verwachsener unscheinbarer Mann, wurde schon mit Lachen empfangen. Der Referent wurde in seiner Rede sehr oft unterbrochen. Es entstand sehr oft ein solcher Lärm, dass es dem Verhandlungsleiter nur mit Mühe gelang, sich wieder Ruhe zu verschaffen.


Redner versuchte die Lehre Marx zu wiederlegen [sic.], dass nicht alles, was Menschenantlitz trage auch das gleiche Recht haben könne. ( Lachen und großer Lärm. ) Die deutsche Arbeiterschaft stehe aber weit über allen Völkern. Sie stehe auf dem Hochstand reiner Geisteskultur. Marx habe aber ein gleiches Recht für alle gepredigt und habe damit die deutsche Arbeiterschaft auf eine Stufe mit den anderen Völkern gestellt. Die Tatsache sei aber zu verzeichnen, dass der Marxismus Schiffbruch erlitten hätte. ( Zurufe: „aber Ludendorff erst“) Redner: „(Was Ludendorff versprochen hat, das hat er auch gehalten“ ) Große Unruhe. Der Vorsitzende bittet, den Redner ruhig anzuhören. Redner fährt fort, dass er in 30 Jahren in der öffentlichen Werbearbeit stehe und sich nie gescheut habe, für seine Tätigkeit offen einzustehen. Der Klassenkampf sei ein vom jüdischen Geiste des Marxismus getragener Kampf. Es sei nichts anderes, als den Besitz des einen in den des anderen überzuführen ( Lärm. ) Alle die Millionen deutschen Arbeiter seien nicht überzeugte Marxisten. Die Sozialdemokratie haben noch keinem sozialen Gesetz zugestimmt. Wenn sie heute die Diktatur des Proletariats aufrecht erhalten wolle, müsse sie wieder von vorn anfangen. Redner versuchte nun unter vielen Unterbrechungen die Fehler der Sozialdemokratie nachzuweisen und kam auf die Novembertage 1918 zu sprechen. Sodann wies er nach, wie die Politik der Sozialdemokratie Schiffbruch erlitten habe. ( Zurufe: Weil Ihr sie sabotiert habt. ) In dem allgemeinen Lärm war der Redner nur schwer zu verstehen. Als er darauf zu sprechen kam, dass auch die Sozialdemokratie mit Schuld daran trüge, dass auch der Achtstundentag fallen müsse, erhob sich ein solch grosser Lärm, dass der Redner längere Zeit aussetzen musste. Redner führte dann noch aus, dass die deutschnationale Politik sich niemals dazu hergeben würde, die Rechte der deutschen Arbeiter zu sabotieren. Er habe die Ehre in dem deutschnationalen Arbeiterbund, die Rechte von 300 000 Arbeitern zu vertreten. Diese ständen am 4. Mai hinter der deutschnationalen Arbeiter-Partei. Wie die sozialdemokratische Partei aber dann aussehen werde, müsse man anwarten [sic.]. ( Zurufe: Schwindel. ) Die letzten 5 Jahre hätten es bewiesen,


dass eine soziale Volksgemeinschaft in den Reichstag gehöre. Er schliesse in der festen Überzeugung, dass auch die Arbeiterschaft Cassel‘s für die deutschnationale Arbeiterschaft eintrete. ( grosser Lärm und Pfuirufe. )
Der Vorsitzende lässt eine Pause von 5 Minuten eintreten unnd sichert jedem Diskussionsredner 15 Minuten Redefreiheit zu.

Es melden sich zunächst 10 Redner zum Wort.

Das Wort erhält zuerst der Vorsitzende der Eisenbahngewerkschaft - Schrader - Die wiederlegte [sic.] in sachlichen Ausführungen die Worte des Referenten und trat für die Sozialdemokratie ein.

Als der nächste Redner, der Geschäftsführer der Deutschnationalen Volkspartei - Steuer - das Wort erhalten sollte, erhebt sich ein solcher Lärm, dass es unmöglich war, dass Steuer zu Worte kommen konnte. Rufe wie: „ Schiebung, unerhört u.s.w. “ wurden laut. Es gelang dem Vorsitzenden nicht mehr, die Ruhe wieder her zustellen. Kurz entschlossen erklärte er dann die Versammlung um 10 ½ Uhr für geschlossen, als die Internationale angestimmt wurde.

Es war eine abgemachte Sache Steuer nicht zu Worte kommen zu lassen.

Da die Versammlung drohte in Tätlichkeit auszuarten, wurde von den im Saale anwesenden Kriminalbeamten die Schutzpolizei herbeigerufen, welche schon in Bereitschaft stand. Diese brauchte jedoch nicht mehr in Tätigkeit zu treten, da auf Aufforderung der Kriminalbeamten, dass die Versammlung geschlossen sei, und die Anwesenden den Saal verlassen müssten, sich der Saal langsam unter Absingung der Internationale leerte.

Bemerkt wird noch, dass bei einem Tumult, als versucht wurde, den Referenten von dem Rednerpult zu ziehen, ein junger Mann, der den Referenten schützen wollte, einen Schlag mit einem Stock erhielt. Es war aber nicht möglich, den Stockschläger in dem Augenblicklichen [sic.] Tumult zu ermitteln.


Auf der Strasse verzogen sich die Teilnehmer ruhig, sodass die Schutzpolizei nicht einzugreifen brauchte.

[Unterschrift]
Staub[?]
Kriminal - Assistent


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Erstellt am 20.01.2019 - Letzte Änderung am 20.01.2019.