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Leserbrief von Herrn Professor Georg Korth, Berlin

Aus DIE WELT - Nr.95 - Seite 13 - 4/1966

Wandern in Deutschland

Ihr Artikel "'Gemäßigte Form der Beinbewegung' - Wandern in Deutschland: Blaue Blume mit Komfort" brachte interessante Angaben über Wandervereine u. dgl. Leider enthält er einen Abschnitt über die Wandervogelbewegung mit sachlich unzureichenden Ausführungen. Ich erlaube mir, als ehemaliger Angehöriger der Jugendbewegung die betreffenden Ausführungen von Eberhard Nitschke zu berichtigen.

Karl Fischer war nicht "Lehrer" und hat auch, nicht 1896 mit einer, Schülerwandergruppe "die Natur für eine ganze Generation neu entdeckt". Dies war das Verdienst des stud. jur. Hermann Hoffmann aus Magdeburg, der während seines Berliner Studiums in Steglitz bei Berlin, damals noch Landgemeinde im Kreis Teltow, wohnte. Dieser Student gab seit Herbst 1895 am Steglitzer Gymnasium unentgeltlich Stenographieunterricht und begann im nächsten Frühjahr seine urwüchsigen Wanderungen mit einigen seiner Stenographen; zu denen bald auch Jungen von anderen Schulen und schulentlassene Jugendliche stießen. Diese Wanderungen gingen sonntags in den Grunewald, während der Ferien aber in die Ferne, ab 1897 z. B. in den Harz, von Thüringen aus bis zum Rhein, vom Fichtelgebirge durch den Böhmerwald nach Böhmen hinein - immer unabhängig von, der Touristenart zu wandern.

Der Sekundaner Karl Fischer schloss sich erst 1897 den Wanderungen Hoffmanns an. Er gewann bald dessen besonderes Vertrauen, so dass ihm dieser im Januar 1900, bevor er, in den diplomatischen Dienst des Deutschen Reiches nach der Türkei berufen, Berlin verließ, seine Wandergruppe übergab, damit er einmal "die Steglitzer Art zu wandern" in ganz Deutschland verbreite.

Erst nach seinem Abitur zu Michaelis konnte Fischer der so lange den bisherigen Wanderbetrieb aufrechterhalten hatte, sich mit der größeren Aufgabe befassen. Eltern und Freunde dieser wandernden Jugend gründeten mit dem Studenten Karl Fischer und einigen seiner Kameraden zusammen am 4. November 1901 den Verein "Ausschuss für Schülerfahrten"; seitdem ist auch, der Name "Wandervogel" für - die Gemeinschaft der wandernden Jugend üblich. Fischer konnte dann unter der neuen organisatorischen Form in den nächsten Jahren mehrere auswärtige Ortsgruppen gründen.. Die Wanderführer hießen jetzt "Bachanten" (gleich Vaganten; also nicht nach Bacchus genannt!), und Fischer war der "Oberbachant".

Das übertriebene Kundenwesen, auch mit vernachlässigter Kleidung, haben damals nur wenige Bachanten oder gar Scholaren nachgeahmt. Karl Fischer selbst suchte den Unfug zu steuern. Meist trugen die Jungen wie schon unter Hoffmann, ihre Schülermützen. (Es gab auch besondere Wandervogelmützen!). Eine, zweckmäßige Wanderkleidung kam erst später auf. 1904 gab es die erste Spaltung der Wandervogelbewegung, und Fischer führte dann seine Gruppe unter dem Namen "Alt-Wandervogel" weiter; sie breitete sich aus und wurde bald wieder ein "Bund". Von diesem trennte sich Anfang 1907 der "Wandervogel, Deutscher Bund für Jugendwanderungen" (kurz: DB), als Karl Fischer schon in China war. Im DB waren auf Fahrten Alkohol- und Tabakgenuss verpönt. Dieser Bund führte das Mädchenwandern ein und ließ auch Volksschüler mitwandern.

Professor Georg Korth, Berlin


Georg Friedrich Korth, * 1.3.1890 in Wolgast

Georg Korth
(Vita von 1967)

Georg Friedrich Korth, geboren am 1.3.1890 in Wolgast, hat die Reifeprüfung zu Ostern 1909 am Peter Gröning-Gymnasium in Stargard (Rom.) abgelegt. Er studierte an den Universitäten in Göttingen (2 Semester) und in Berlin (8 Semester) Mathematik, Physik, Chemie, Biologie und Philosophie. Zugleich war er in verschiedenen Wandervogelbünden (in Göttingen, Stargard und Berlin) tätig. Als Kriegsfreiwilliger des Reserve-Infanterie-Regiments 211 wurde er im Westen an der Flandernfront eingesetzt. Am 23.10.1914 geriet er auf verlorenem Posten zwischen Bikschote und Langemark in englische Gefangenschaft und ist nach Beendigung des Krieges erst im Sommer 1919 mit einem Krankentransport nach Deutschland zurückgekehrt. Von der Entlassungsdienststelle in Stargard wurde ihm dann, wegen schwerer Nervenschädigung als „prisoner of war”, für mehrere Jahre eine Kriegsrente bewilligt. In Etappen hat er nun sein Mitte 1914 begonnenes Staatsexamen für das Höhere Lehramt zum Abschluß gebracht, aber schon 1921 mit dem Vorbereitungsdienst an der Oberrealschule in Stargard begonnen. Es folgte Unterrichtstätigkeit an verschiedenen Schulen Pommerns, der Neumark und Berlins und schließlich zu Ostern 1928 Anstellung als Studienrat in Wittstock an der Dosse am staatlichen Reform-Realgymnasium. Während des Naziregimes wurde er aus „politischen” Gründen mehrmals bestraft; darunter waren Strafversetzungen,zuletzt an die städtische Lochowschule in Dahme (Mark). Von hier konnte ersieh im Laufe des Jahres 1945 nach Berlin hineinhungern. Dort Tätigkeit an verschiedenen Oberschulen, aber auch Einsatz zu anderen Zwecken, wie Entwurf neuer biologischer Lehrpläne. Zum Ostertermin 1949 wurde er als Honorarprofessor auf einen Lehrstuhl für Mathematik an der Pädagogischen Hochschule in Ostberlin berufen, beendete aber aus persönlichen Gründen nach 3 Semestern diese Lehrtätigkeit. Nach einer wirtschaftlich schwierigen Übergangszeit erfolgte unter neuen rechtlichen Bedingungen seine Wiederernennung zum Studienrat an einer Neu-köllner Oberschule wissenschaftlichen Zweiges; und zu Ostern 1955 wurde er in den Ruhestand entlassen. Nachträglich erhielt er wegen Behinderung seiner Laufbahn im „dritten Reich” als Wiedergutmachung die Ernennung zum Oberstudienrat i.R.

Seit 1926 ist er verheiratet und hat zwei Töchter. Wissenschaftliche Arbeiten von ihm haben die Kant-Studien gebracht: „Zum Problem der geometrischen Methode” in Heft 4, Band 50, und „Über den Sinn der Worte 'Bedeutung' und 'Gegenstand'” in Heft 2, Band 54. Seine vor 1945 betriebenen Forschungen konnte er, in Abwehrstellung gegenüber der NSDAP, nicht veröffentlichen; sie liegen aber als Manuskripte für ihre Auswertung bereit.

[aus dem Anhang seines Buches: „Wandervogel 1896 - 1906”; dipa-Verlag Frankfurt am Main 1967 (erste Auflage, stabi 20 Per 911)]
weitere Zitate aus dem Buch von Georg Korth

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