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Zitate aus dem Buch

„Wandervogel 1896 - 1906”
von Georg Korth, Dipa-Verlag 1967

(Als Erläuterung zu den Bildern der Gräber von Karl Fischer, Hans Blüher und Kaethe Branco.)


Inhaltsverzeichnis

[001] Zusammenstellung der benutzten Abkürzungen
009 Vorwort
011 I. Einleitung
023 II. Literarische Tradition und geschichtliche Wahrheit
039 III. Entwicklung der Wandervogelbewegung bis zum Ausscheiden Karl Fischers
04l l. Die Ära Hermann Hoffmann (1896 bis 1899)
[043], [044][046] Entstehung der Wandervogelbewegung.
055 2. Die Übergangszeit (1900 bis zum Herbst 1901)
069 3. Die Ära Karl Fischer (vom 4.11.1901 bis Juli 1906)
069 a) Der „Wandervogel, Ausschuß für Schülerfahrten” (vom 4.11.1901 bis zum 29.6.1904)
[069] Herkunft des Namens →«Wandervogel»
093 b) Die Spaltung der Wandervogelbewegung 1904
096 c) Der „Alt-Wandervogel” und Karl Fischer
113 IV. Schlußbetrachtungen
141 V. Anmerkungen zu l.bis IV
169 VI. Dokumentarische Texte mit Erläuterungen
171 l. Hermann Hoffmanns Brief an Karl Fischer vom 12.9.1897
175 2. Zwei Mitteilungsblätter für die Teilnehmer an der Böhmerwaldfahrt in den Sommerferien 1899
179 3. Karl Fischers Tagebuchaufzeichnungen von 1900
[191] 4. Vortrag von Karl Fischer am 18.10.1927 vor dem Evangelischen Jugendring Berlin
197 VII. Anhang
[199]199 Zeittafel
[205]205 Quellennachweis der zitierten Stellen und erstmalig veröffentlichter Belege
[209]209 Vita Georg Korth



Zusammenstellung der benutzten Abkürzungen

AfS = Wandervogel, Ausschuß für Schülerfahrten
AWV = Alt-Wandervogel, Bund für Jugendwanderungen
DB = Wandervogel, Deutscher Bund für Jugendwanderungen
Eufrat = Eltern- (oder Ehren-) und Freundesrat
IM = Wandervogel, Illustrierte Monatsschrift
JWV = Jung-Wandervogel, Bund für Jugendwandern
KFB = Karl-Fischer-Bund, Älterenring der Jugendbewegung in Berlin
Nbl = Nachrichtenblatt des „Wandervogel”, Eingetragener Verein zu Steglitz bei Berlin
Steglitzer EV = Wandervogel, Eingetragener Verein zu Steglitz bei Berlin
Wandervogel eV = Wandervogel, Bund für deutsches Jugendwandern, e.V. (auch: WV eV)
WTC = Weber, Thiede, Copalle (und ihr Anhang)
WV-Geschichte = Hans Blüher „Wandervogel. Geschichte einer Jugendbewegung” Berlin 1912
Ziemer-Wolf-Buch = Gerhard Ziemer - Hans Wolf, Wandervogel und Freideutsche Jugend, Bad Godesberg 1961


[043] ... Dagegen ist für eine Bewegung wie das freie deutsche Jugendwandern kennzeichnend, daß sie sich aus kleinsten Anfängen immer weiter ausbreitet und schließlich ins Große und, wie gerade bei unserer Jugendbewegung, ins Unübersehbare wächst. Maßgebend für die Entwicklung eines solchen Phänomens in seinem geschichtlichen Gange können als tragende Persönlichkeiten viele Menschen sein. Nur Einer aber, der unter gegebenen Bedingungen damit einen Anfang macht, den ersten Anstoß gibt, die Bewegung entfacht!

So ist auch die Wandervogelbewegung entstanden, die das Besondere an sich hat, daß vorwiegend Jugendliche an ihr beteiligt waren, in deren Gemeinschaft sich eine neue Lebensform bildete, die weiter wirkte und mit der Zeit über den jugendlichen Kreis hinausgriff. Die äußeren „Umstände” ihrer Entstehung sind nach dem, was wir jetzt wissen, diese: Der Student Hermann Hoffmann hatte beim Direktor des Steglitzer Gymnasiums, nach sorgfältiger Prüfung seines Ersuchens, die Erlaubnis erhalten, unentgeltlich Stenographieunterricht im System Schrey den sich freiwillig meldenden Schülern zu geben. Er begann damit im Wintersemester 1895/96, und an diesem ersten Kursus haben außer Karl Wrobel, der darüber in seinen Erinnerungen am ausführlichsten berichtet 16), u.a. Bruno Thiede und Richard Weber teilgenommen, die später im Wandervogel besonders hervortraten. Hier also schon fand Hoffmann die ersten Jungen, die an seinen Wandererzählungen Gefallen fanden - denn damit konnte er, der nicht dem Lehrerkollegium angehörte, seinen Steno-Unterricht würzen -; und so geschah es, daß er mit einem kleinen Anhang von Schülern, vielleicht schon vor Abschluß dieses Kurses im Frühjahr 1896, zu wandern begann.

Hoffmanns ausgeprägter Sinn für die erziehliche Bedeutung der von ihm erprobten Wanderart kommt in seinem stenographischen Aufsatz „Hoch das Wandern!”, den Gerber in Klartext übertragen hat, zum Ausdruck, wie man in dem Ziemer-Wolf-Buch (S.38 f) nachlesen kann. Da bezeichnet Hoffmann dieses Wandern als „so fruchtbringend für die Charakterentwicklung” . Es erziehe, weil man sich unterwegs in jeder Lage zurechtfinden müsse, „zur Kaltblütigkeit, diese zur Schärfung der Sinne” . Man lerne auf einer Wanderfahrt auch, jede Unbequemlichkeit „mit Humor” hinzunehmen; „so wird sie zur Schule der Abhärtung, die ja so manchem unserer jungen Herrchen zu gönnen ist ...”.

In Hoffmanns zunächst kleinem Steglitzer Einflußkreise trat zu der charakterbildenden Wirkung des unabhängigen Wanderns noch etwas anderes, was bald den Grund zu einer jugendgemäßen Lebensgestaltung legte, woraus später weiten Volkskreisen neue Lebensformen erwuchsen. Daß von Anfang an Jungen verschiedener Klassenstufen, und also jüngere und ältere, zusammen wanderten, und daß von Mal zu Mal neue hinzukamen, wenn auch einige wieder aus mancherlei Gründen fortblieben, schuf unter der umsichtigen Führung des jungen

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Studenten eine Wandergemeinschaft, deren inneres Band das freiwillige Zusammenwirken aller Beteiligten war. Was sich auch unterwegs ereignete und wie der einzelne dazu Stellung nehmen mochte, die Zugehörigkeit zu dieser Gemeinschaft bedingte eine gegenseitige Erziehung zu echter Kameradschaftlichkeit.

Das prägte sich im Laufe der Jahre immer stärker aus, weil die zu Hoffmanns Wanderschar Gehörenden auch ihre Freunde, die andere Schulen besuchten oder bereits schulentlassen waren, mit heranzogen, so daß der Kreis der sich selbst Erziehenden um so mannigfaltiger wurde. Sogar Nichtstenographen wurden in dieser Weise für Hoffmanns Wanderungen gewonnen, was allein schon das hämische Wort Blühers vom „wandernden Stenographenverein” widerlegt 17).

Wer in solcher Wandergemeinschaft vom Geist kameradschaftlicher Erziehung ergriffen wurde, suchte das im alltäglichen Leben weiterzuführen, und aus diesem Willen von Gleichgesinnten entstand die neue jugendliche Lebensart. Bedeutsam wurde dann, daß sie auch die kulturellen Zeitströmungen und den literarischen Niederschlag vergangener Zeiten beachteten, um sich daraus anzueignen, was gefühlsmäßig sie anzog oder ihnen wertvoll für ihre Lebensführung erschien. Dabei kamen sie mit anderen Gemeinschaften in Berührung, die ähnliche Ziele verfolgten; und die mit jeder geistigen Verständigung gegebene wechselweise Erziehung wirkte dann auf außenstehende Kreise ein. Diese Bestrebungen wuchsen trotz vorkommender Störungen mit der sich ausbreitenden Bewegung, und so kam es schließlich dazu, daß gewisse Volkskreise neue Lebensformen annahmen, zumal die jungen Menschen älter wurden und in die bestehende größere Gemeinschaft der Erwachsenen eintraten.

Werden wir uns nun der tieferen Gründe bewußt, wie die Wandervogelbewegung entstehen konnte, so erkennen wir, daß die stenographischen Kurse nur den äußeren Rahmen bildeten für die schicksalhafte Begegnung Hoffmanns mit Jungen, die er zu einem bis dahin unbekannten Gemeinschaftswandern von hohem erzieherischen Wert anzuregen wußte. Es war ein geschichtlich einmaliger Glücksfall, daß dieser in der spartanischen und naturverbundenen Wanderart erfahrene Student in dem für ihn neuen geistigen Klima des Steglitzer Gymnasiums Schüler kennen lernte, die in jener Zeit erstarrter Zivilisation sich vom seelischen Druck der täglichen Umgebung befreien wollten und empfänglich waren für die erneuernden Kräfte der Natur und den Umgang mit ursprünglich lebenden Menschen (die ihnen auf den weiten Wanderungen überall begegneten).So vereinigten sich gewissermaßen bereitliegende und einander ergänzende Keime menschlich-geistiger Wesensart zu etwas ganz Neuem, das damit geschichtliche Gestalt annahm. Und darum muß 1896 als das Geburtsjahr und Steglitz als der Geburtsort der Wandervogelbewegung angesehen werden.

Bemerkenswert ist übrigens, wie Hermann Hoffmann mit seinen jungen Freunden umging. Karl Wrobel spricht von seiner „frischen Art”, mit der er als Stenographielehrer wie ein älterer Kamerad das
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Vertrauen der Kursteilnehmer gewann. Ihm war ein natürlicher Humor eigen, mit dem er den richtigen Ton gegenüber Jüngeren traf, ohne daß seine Autorität darunter litt. Damit konnte er auch auf den Wanderungen seine Fahrtteilnehmer zu anstrengenden Marschleistungen anspornen, wenn das einmal erforderlich war.

Ein äußeres Zeichen dieser humorvollen Art war das, was man als seine „Wandersprache” bezeichnen könnte, wie der Ausdruck „Horde” für die von ihm geführte Wandergemeinschaft. So nannte er sich selbst den „Häuptling” dieser Horde, die erprobten Wanderer „Wanderburschen” und die Neulinge „Wanderfüchse”. Erst auf der Böhmerwaldfahrt bestimmte er wegen der großen Teilnehmerzahl zwei Unterführer, die nun „Häuptlinge” hießen; er selbst war dann der „Oberhäuptling” .

In seinem Aufsatz „Hoch das Wandern!” zeugt von dieser heiteren Gemütsanlage auch der Wechsel von Ausdrücken, die er für seine kleine Magdeburger Wandergruppe benutzt.Die Teilnehmer heißen meist schlicht „Wanderer”, aber oft auch „Wanderburschen” oder gar „Genossen” . Ein einziges Mal spricht er vom „fahrenden Scholar”, aber daraus darf man nicht schließen, daß er das „Ideal” des mittelalterlichen Vaganten nachahmen wollte, was man bisweilen zu hören bekommt. Das wäre eine willkürliche Deutung, zu der heute vor allem die Sucht, nach „Leitbildern” zu fragen, Anlaß gibt. Auch in seiner Steglitzer Zeit hat Hoffmann manchmal zu seinen jungen Kameraden von den alten Scholaren gesprochen - deren Herumwandern war zwar ungebunden, hatte aber andere Gründe als seine freie Art zu wandern -, weil ihnen das aus ihrer Lektüre bekannt war.

Ganz abwegig wäre ein Vergleich mit dem, was Blüher aus dem Treiben einiger Bachanten Karl Fischers machen wollte. In rückwärts gerichteter Romantik und humorlos, wie er war, schilderte er mit tierischem Ernst in seiner WV-Geschichte die rauhbeinige Vagantenart, die vor allem Wolf Meyen, eine Zeitlang auch Hans Breuer auf mancher Fahrt wie einen Jux betrieben. Doch genügte ihm das nicht. Er benötigte für das, was er an seinem abstrusen Wandervogel-Ideal pries und als eine Art Weltanschauung verkündete, noch die Gestalt des Landstreichers, über den er sich im Zusammenhang mit Wolf Meyens „Vorliebe” für „Kundenfahrten” lang und breit ausließ. Sein Bekenntnis zu alledern lautete dann (S. 120): „Der Wandervogel von echtem romantischen Blute ist eine Mischung aus einem deutschen Schüler, einem Kunden und einem fahrenden Scholasten aus dem Mittelalter.”

Wie ganz anders Hermann Hoffmanns Wandervogeltum! Bei aller Kenntnis der Vergangenheit und gelegentlichem Hinweis auf das, was sie an kulturellem Gut enthielt, wurzelte doch sein geistiger Sinn und der Grund seines Handelns im Gegenwärtigen. Darum bestimmten für ihn und für jeden, der regelmäßig an seinen Wanderungen teilnahm, die eigenen Eindrücke von dem, was die Fahrten boten - Natur und Mensch betreffend -, und das anspruchslose Leben in kameradschaftlicher Gemeinschaft eine Lebensauffassung, die sich in Zukunft gegenüber den Aufgaben des Tages bewähren konnte.


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3. Die Ära Karl Fischer (vom 4.11.1901 bis Juli 1906)

a) Der erste Wandervogelverein (4.11.1901 - 29.6.1904)

Der „Ausschuß für Schülerfahrten” (AfS) wurde am 4. 11. 1901 abends „im zweiten Hinterzimmer des Steglitzer Ratskellers” gegründet. Das berichtet Siegfried Copalle (a.a.O.,S. 13) als einziger damals noch lebenderZeuge von dieserSitzung und nennt als Teilnehmer 5 ältere Herren, darunter die Schriftsteller Wolfgang Kirchbach und Heinrich Sohnrey, und 5 jüngere Wanderführer, außer sich auch die Studenten Karl Fischer, Bruno Thiede, Ernst Kirchbach und den Mechanikerlehrling Wolfgang Meyen.

Wir wissen nach oben angeführten Belegen, daß Wolfgang Kirchbach den Anwesenden die rechtliche Struktur des AfS als eine Art „Kartell” zwischen den Alten und Jungen erläuterte: Die Alten übernähmen nur den Schutz des Vorhabens der Jungen, denn auf deren freie Betägigung im Wandern und in allem, was sonst noch dazu gehöre, komme es allein an. Darum suchte man an jenem Abend nach einer passenden Bezeichnung für die Wandergemeinschaft der Schüler, die jetzt „Scholaren” genannt wurden, und ihrer Führer, der „Bachanten”, die innerhalb der „Bachant(en)schaft” Karl Fischer als ihrem „Oberbachanten” unterstanden. Und dafür wurde, nach Wolf Meyens Vorschlag, als jugendgemäß der Name „Wandervogel” angenommen, der in Zukunft trotz aller Zwistigkeiten,die wiederholt zu Spaltungen führten, für die ganze Bewegung des freien deutschen Jugendwanderns, die von Hermann Hoffmanns erster kleinen Wandergruppe in Steglitz ausging, bestehen blieb.

Nach Copalle schlug Wolf Meyen den zündenden Namen vor im Hinblick auf Otto Roquettes Lied „ Ihr Wandervögel in der Luft ... Ein Wandervogel bin ich auch ...”. Dies wird noch von anderer zuverlässiger Seite bestätigt [33)]. Was also Blüher 1952 (S.23 f) über 50 Jahre später behauptet und schon vor seiner Aufnahme als Scholar gehört haben will - in seiner WV-Geschichte von 1912 (S. 127) wußte er merkwürdigerweise noch nichts davon -, daß Wolf Meyen mit einer Horde auf dem Friedhof der alten Dorfkirche in Dahlem den Branco-Grabstein mit der Inschrift „Wer hat euch Wandervögeln die Wissenschaft geschenkt...” betrachtet und dann gerufen habe: „Also nennen wir uns doch 'Wandervogel'! ... und damit war der Bund getauft.” -ist auf Grund unverbindlicher Erzählungen nachträglich von Blüher

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zurechtgesponnen worden [34)]. Daß nach dieser Version der Name nicht in der Gründungsversammlung vorgeschlagen und angenommen wurde, sondern bei der Betrachtung eines Grabsteines „geprägt” sein soll, kümmert Hans Blüher wenig. Denn gerade das läßt sich ja sensationell aufbauschen, und so schließt er mit dem lapidaren Ausruf: „Was doch die Toten alles anrichten können!”

In den Satzungen des AfS kommt die von Kirchbach gewünschte Kartell-Form nur unbestimmt zum Ausdruck. Auf der ersten Sitzung wird ein Entwurf vorgelegen haben, der im einzelnen noch geändert sein kann, denn die Anwesenden mußten sich ja über die endgültige Fassung einig werden. Diese ist allein bekannt (vgl. Gerber a.a.O., S.55 f): § l macht, da hier beide Namen miteinander verbunden vorkommen, eine gewisse Einheit der Organisation deutlich. Es heißt dort: „Der 'Wandervogel', Ausschuß für Schülerfahrten, ... stellt sich die Aufgabe, durch die Pflege des Wanderns unter den Schülern höherer Lehranstalten erziehlich auf dieselben einzuwirken ...”; § 2 und § 3 regeln die Mitgliedschaft, wonach der „Ausschuß” die Gesamtheit der Mitglieder darstellt. Zwei weitere Bestimmungen lassen die rechtliche Stellung des Vorstandes zur Bachantschaft im unklaren, denn § 5 besagt: „Der Ausschuß wählt einen Vorstand .,.”, und § 6: „Der Ausschuß ernennt zur Geschäftsführung einen 'Oberbachanten' ...”, und setzt dessen Aufgaben fest, zu deren Zuständigkeit u.a. gehört,'Bachanten' und verschiedene Hilfskräfte zu ernennen. Weiter heißt es dann: „Der Oberbachant trägt dem Ausschusse gegenüber die Verantwortung für die gesamte Geschäftsführung und hat monatlich dem Vorstande über diese Bericht zu erstatten.”

Welcher Art die „Verantwortung” des Oberbachanten gegenüber dem Ausschuß ist, wird nicht näher bestimmt, und auch von einer möglichen Stellungnahme des Ausschusses dazu ist nicht die Rede. Ebenso unklar bleibt, ob die monatlichen Berichte an den Vorstand verantwortlicher Natur sind, so daß in dieser Hinsicht der Vorstand den Ausschuß vertritt. Wegen dieser Unzulänglichkeit der Statuten konnten später die alten Herren den gefährlichen Streit innerhalb der Bachantenschaft nicht durch eine Entscheidung schlichten. Zwar besagt der letzte Satz von § 5 „Diese Ämter sind auf unbestimmte Zeit besetzt”, so daß damals die drei Gegner Fischers sich hierauf gewiß berufen haben, zumal sie schon auf der Gründungssitzung als 'Bachanten' bestimmt und nicht, wie es später geschehen mußte, von Karl Fischer „ernannt” worden waren. Doch konnte dieser wieder für seine Maßnahme, Thiede, Weber und Copalle als Bachanten abzusetzen, auf den dehnbaren § 7 hinweisen: „Ergänzungsbestimmungen zur Führung der Geschäfte setzt der Oberbachant fest.” In diesen rechtlichen Unklarheiten macht sich die Kartell-Idee Kirchbachs bemerkbar, und darum konnte Karl Fischer immer auf seine Ausnahmestellung pochen.



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(Anmerkungen)
...

[33)] Dr.med.Albrecht Meyen, der Vetter von Wolf Meyen, schrieb am 10.10.1960 an Hertha Henschel, daß Wolf ihm selber erzählt habe, wie er am 4. 11. 1901 im Steglitzer Ratskeller auf den Namen „Wandervogel” gekommen sei „als der beste, der uns aus dem Herzen sprach”. Wolf nämlich „sang gern Otto Roquettes 'Ihr Wandervögel in der Luft' ...”.

[34)] An dem, was Wolf Meyen nach Blühers Version am Branco-Grabstein gerufen haben soll, kann schon etwas Wahres sein. Er warb oft in Lichterfelde Schüler - nach der Gründung des AfS - und zog mit denen am Annenfriedhof vorbei zum Grunewald. Da wird er mit seiner Horde einmal sich die Grabstätten angesehen haben und auf dem Grabstein der Kaethe Branco jenen Vers gefunden haben. Als die Jungen den lasen, mag Wolf gerufen haben: „Wir nennen uns ja 'Wandervogel'!”

...

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4. Vortrag von Karl Fischer am 18.10.1927 vor dem Evangelischen Jugendring Berlin

(Die Ausarbeitung des stenographierten Vortrags wurde vom Jugendpfarrer Suderow des Kirchlichen Jugendamtes - Ev. Hauptjugendamt, Berlin NW 7, Georgenstraße 47 -, der ihn veröffentlichen wollte, zur Durchsicht Karl Fischer zugeschickt, von diesem aber nicht wieder zurückgereicht. Der im Nachlaß gefundene, korrigierte Vortragstext, für den Fischer Teile seiner Niederschrift vom Herbst 1922 verwendet hatte, hat folgenden Wortlaut:)

Aus der Begründung des Wandervogels

Es sind viele Wurzeln, die ich freilegen könnte, wenn ich aus der Zeit der Entstehung und des Werdens des Wandervogels Ihnen einiges erzählen soll. Ich bitte zu entschuldigen, wenn ich bei dieser Erzählung genötigt bin, mehr von meiner Person und meinem Werden zu berichten, als mir selbst lieb ist. Schon sehr frühzeitig war es meine Art, von einem Bund zu phantasieren, den ich begründen wollte. Ich hatte auch als Kind eine Leidenschaft für das Theaterspielen. Es lebte in mir der Drang, zu gelten und zu gestalten. Später war mir in China überaus eindrucksvoll die Geschichte,die ich hörte von Konfuzius und dem Tiger. Es wurde von einem Schüler dem Konfuzius die Frage gestellt: „Was ist denn nun eigentlich der Tiger, ist es das Fell oder ist es das Fleisch, das in dem Fell steckt?” Konfuzius antwortete gar nicht auf die Frage,sondern wies die Torheit der Frage nach. Wenn man dem Tiger das Fell abzieht, so ist sicherlich der Tiger nicht mehr zu erkennen.

Ich glaube, daß ich für einen Gedanken, der in mir lebte, für eine Bewegung, die sich durchsetzen wollte, Fassung und Gefäß gewesen bin. Es ist im Leben so, daß von irgend einem Inhalt die Gestaltung und die Fassung nicht zu trennen ist. Es handelt sich vielleicht überhaupt im Leben nicht darum, daß man schafft, sondern daß man gestaltet. Es ist irrig zu glauben, es müßte alles so gehen, wie man will; es ist mir heute klar, daß es längst nicht alles so geht, wie man will; man ist Gefäß und Fassung für etwas, was werden will. Vom frühesten Altertum her ist man immer nach der einen Methode vorgegangen, den Herrn, den König zu finden. Ich wollte so etwas (wie) Herr und Führer werden; es ist darum vielleicht charakteristisch, daß

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ich als Junge einmal versucht habe, an den Kronprinzen heranzukommen. Es sind Kinderträume und Kindergedanken, die ich Ihnen erzähle; aber vielleicht haben sie auch etwas Bezeichnendes.

Ich habe auch das Entwicklungsalter mit seinen Schwierigkeiten durchlebt. Was mich in der Zeit besonders beschäftigte, als ich 14 bis 15 Jahre alt war, war das, daß damals in den Zeitungen sehr häufig Durchbrennergeschichten berichtet wurden, wie Jungen das Elternhaus und die Heimat verließen, um anderswo ihr Glück zu suchen. Diese Geschichten haben mich in einer mir selbst nicht erklärlichen Weise stark erregt. Ich war gleichzeitig ein fast gemütloser Zuschauer und teilweise auch wohl innerlich das selbstagierende„ Karnikel” . Ich war zunächst wohl pharisäisch eingestellt; ich dachte: so einer macht eben solche Dummheiten. Dann hatte ich aber doch das Gefühl, daß ich diesen oder jenen von den Jungen gerne kennen lernen möchte. - Wohl machte ich selbst in jener Zeit einige Erschütterungen durch, jedoch niemals in dem Sinne solcher phantastischen Abenteuerlichkeit, ich habe damals auch Robinsongelüste usw. glatt abgelehnt. Es kam mir aber doch der Gedanke, wenn Jungen auch aus guten Familien so durchbrennen können,daß da irgend etwas nicht in Ordnung sein müßte - nicht bei den Jungen, sondern überhaupt in den Verhältnissen. Ob es nicht verkehrt sei, dieses Abenteuerliche, dieses Streifen in die Ferne zu verbieten, ob es nicht verkehrt sei zu sagen, das alles ist Allotria? Es müssen doch auch in diesen Durchbrennermenschen wertvolle Lebenskräfte vorhanden sein, und, so meinte ich, es kann doch einfach nicht recht sein, diesen Kräften so ohne weiteres die Luft wegzunehmen. Es sind Kräfte vorhanden, das war mir klar; sie können nicht gemacht werden, sie müssen aber gefaßt werden, sie müssen geleitet werden. Ob da nicht doch irgendwie in unseren Einrichtungen ein Loch ist? Ob es nicht möglich sein sollte,dieses Loch zu stopfen? Ich beschäftigte mich etwas später mit der Geschichte der Pädagogik, Salzmann hat mir sehr gefallen. Ich hatte da das Gefühl, daß doch etwas zu machen sein müßte, um auch dem Leben dieser Menschen, dieser abenteuerlichen Jungen gerecht zu werden. Es kam der Gedanke von Schülerbataillonen an mich heran. Wenn es damals bei uns so etwas gegeben hätte, so würde ich mit Hallo und Begeisterung hineingegangen sein. Immer stärker wurde dann der Gedanke bei mir: ich wollte selbst etwas erleben. Dazu genügt ein Ausflug in den Grunewald nicht; das war kein Erleben, das war nicht das Richtige. Ich und auch ein Quintaner sagten uns: wir wollen aus dieser Mistatmosphäre heraus. Ich bitte wegen dieses Ausdrucks um Entschuldigung. Ich muß heute sagen, je mehr ich in dieser Welt herumgekommen bin, sehr viel Schönheit gesehen habe, desto mehr ist mir diese „Mistatmosphäre” heute ans Herz gewachsen.

Alle diese Gedanken beschäftigten mich so, daß ich mir sagte, du mußt diese Dinge im Auge behalten, und ich erwog auch, hierüber einmal ein Buch zu schreiben. Es ist ja mit den guten Dingen meistens so: es wird ein Buch darüber geschrieben, und damit sind sie für den Menschen, der dies Buch schreibt, erledigt; das war aber bei mir nicht der Fall

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Wie sollte ich nun aber in die Ferne kommen? Wie sollten die Jungen, die mit mir wandern sollten, all das Wunderbare in der Ferne erleben können, was ich mir phantasierte? Was ich damals gedacht habe, habe ich als Vorschläge der Zeitschrift „Der gute Kamerad” vorgelegt. Ich regte den Gedanken an, „Der gute Kamerad”, der ja weit verbreitet nicht bloß in Deutschland, sondern auch im Ausland war, sollte eine großzügige Austauschzentrale werden zu gegenseitiger Gastfreundschaft, wenn seine jugendlichen Leser in der Heimat und in der Ferne auf Wanderungen gingen. „Der gute Kamerad” hat mir damals geantwortet, daß meine Vorschläge zwar sehr gut gemeint seien, aber nicht ausführbar sein dürften.

Ich dachte auch an eine Schülerrepublik. Es lag für mich ein berauschender Gedanke darin, es war geradezu für mich eine Leidenschaft, ein Gebilde zu haben, in dem meine Gedanken sich auswirkten.

Daß bei solchen großen Gedanken mir manchmal die großen Ferien besonders schwer fielen, die ziemlich nüchtern und inhaltlos für mich verliefen, dürfte verständlich sein. Als ich Unter- oder Obertertianer war, dachte ich in der Ferienzeit an Verwandte, die meine Familie in Friedersdorf, einem kleinen Ort bei Storkow hatte, und da regte sich bei mir der Wunsch, dorthin mußt du einmal von Steglitz aus zu Fuß hingehen, in drei Tagen müßte es zu schaffen sein. Es geschah dann auch so. Dort verdiente ich auch mein erstes Geld. Ich bildete eine Art Postagentur, indem ich von Friedersdorf aus Telegramme nach zwei abgelegenen Gütern besorgte und dafür Botenlohn bekam.

Meine weitergehenden Gedanken- nach einer Zentrale für das Wandern der Jungen trug ich auch einem Obersekundaner vor, den ich kennengelernt und der mir das Du angeboten hatte; dieser Obersekundaner fand meine Pläne schön, und ich weiß jetzt noch, wie es mich beglückte, so von ihm verstanden und geschätzt zu werden. Ich trug meine Gedanken auch meinen Eltern vor, und sie sagten mir, wenn Du Geld verdienst, darfst Du das machen.

Eine sehr große Schwierigkeit war jedoch bei mir meine übergroße Schüchternheit, die mich oft in sehr peinliche Situationen brachte. Auch meine ganzen Verhältnisse waren für die Durchführung meiner Gedanken gar nicht günstig. Bis meine Pläne zur Durchführung kamen, vergingen dann auch noch zwei Jahre. Den Anlaß zu ihrer Ausführung gab ein Stenographenverein. Da ich gut stenographieren konnte,wurde ich aufgefordert,in einer niederen Klasse Stunden zu geben. Es kostete mich in meiner Schüchternheit eine große Überwindung, bis ich dazu kam, in die Klasse hineinzugehen und die erste Stunde abzuhalten. Mein einziger Wunsch und mein Gebet an dem Abend vorher war: „Ach könnte mir doch dies schrecklich Peinliche erlassen werden.” Nach einem furchtbaren Ringen, das mir sehr ernst gewesen ist, begab ich mich dann doch zur festgesetzten Stunde, gleichsam mit einem Ruck, in die Klasse - und es ging glänzend. Dadurch wurde das bisherige Minderheitsgefühl stark zurückgedrängt.

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Es ergaben sich auch aus dem stenographischen Unterricht manche Anregungen. Wir Stenographen gingen ins Museum, wir machten uns Gedanken darüber,wie die ägyptischen Hieroglyphen entstanden sind. Es tat mir jedoch immer leid, wenn versucht wurde, die Sache, die mich bewegte, mit solchen Redensarten wie „ein ins Wandern geratener Stenographenverein” abzutun, d.h. doch ein unmittelbar gewordenes Gebilde, das in mir Gestaltung gefunden hat, vereinsorganisatorisch aufzufassen und abzutun. So war es doch nicht.

Immer zog es mich in die Weite. Ich verdiente in dem Stenographenverein monatlich 15,- Mark und hatte nun etwas Geld, mit dem ich an die Durchführung meiner Gedanken und Pläne kommen konnte.

Der Boden, auf dem nun, was in mir lebte, Gestalt zu gewinnen begann, war immerhin recht günstig. Steglitz war damals ein Dorf mit 15000 Einwohnern. Es hatte außer den Bauern viel zugezogene Einwohner, Beamte, Gelehrte, Schriftsteller. Es bot damals eine Atmosphäre, die in ihrem äußeren Gepräge vielleicht etwas Strenges und Einförmiges an sich hatte, die aber geistig ziemlich beschwingt und belebt war. Auch die Schule bot manche Anregungen. Man hatte dort als Schüler reichlich zu tun, aber man fand dort auch viel Anregung und viel Möglichkeit zur Entwicklung. Ich fühle gerade hier eine große Dankbarkeit gegen diese Schule, wenn ich im Einzelfall damals auch nicht über alles erfreut war.

Es wirkte damals auf mich auch etwas von kolonialer Begeisterung ein: Ich war ein deutscher Junge, ich wollte als Deutscher etwas leisten. Mich bestimmte auch das Interesse für Völkerkunde; ich hatte eine Zeitlang den Wunsch,zur Marine zu gehen; dieser Wunsch mußte aber der traurigen Erkenntnis weichen, daß ich meiner Augen wegen nicht in die Marine eingestellt werden konnte. Wir wollten aber als deutsche Jungen zusammen sein in der Art, wie man es heute großdeutsch nennt; wir nannten es damals alldeutsch.

Nun sprach man damals viel von der Durchquerung mancher Gebiete; Forscher durchquerten Afrika u.dgl. Und so kam es bei mir dazu, daß ich an die Durchquerung des Gebietes ging, das wir Wende! nannten. Jedem der Mitschüler, der es wünschte, sollte ermöglicht werden, sich an dieser Durchquerung zu beteiligen. In den Herbstferien 1897, als wir an diese Durchquerung gingen,kam es bei einigen von uns, ganz besonders aber bei mir am ersten Tage der Wanderung, als wir in Teupitz vor unserer Bleibe auf dem Marktplatz saßen, wie ein Rausch über uns. Wir sangen unsere Lieder, und in der Schar, die auf meine Anregung sich zu der Durchquerung gebildet hatte, kam es mir zum Bewußtsein: du hast jetzt eigentlich das nur gemacht, was dich in deinem Kopf und in deinem Herzen seit Jahren bewegt hat. Nicht nur ein alter persönlicher Wunsch war da plötzlich zur Wirklichkeit gekommen, sondern da kam auch das zur Geltung, was mich früher beschäftigt hatte: was fängt man mit den Jungen im Entwicklungsalter an, was muß man ihnen geben, damit ihre Durchbrenner-Sehnsucht in geordnete Bahnen geleitet wird? Auch der Gedanke an

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die Schülerrepublik tauchte plötzlich wieder auf; ich empfand: das ist der Weg, das Loch, das in den pädagogischen Einrichtungen vorhanden ist, zu stopfen. Ich gelobte mir, daß, sowie ich aus der Schule wäre, ich einen Verein gründen wollte, der aber niemals in herkömmlichem Sinne ein Verein sein sollte, sondern das Gebilde, das seit Jahren in meinem Herzen und Kopf um Gestaltung rang und das im gemeinsamen Wandern in die Erscheinung trat.

So ungefähr hat sich das Gebilde entwickelt, das später „Wandervogel” genannt wurde.

Auf verschiedene, dem Redner nach seinem Vortrag vorgelegte Fragen über die Stellung des Wandervogel in seinen Anfängen zu „Schule und Elternhaus”, „Kirche und Religion”, zur „Sexualität”, zu „Alkohol und Nikotin”, der „Wandervogelliteratur”, zu „Jungdeutschland” und zu der Frage „Gruppe oder Bund” erwiderte Karl Fischer ungefähr das Folgende:

l . Eine Auflehnung gegen Schule und Elternhaus lag uns völlig fern. Daß gegen Widerstände, denen wir begegneten, sich wieder Widerstände entwickelten, ist ganz selbstverständlich. Wir fingen nicht an mit Anklagen, sondern das war der Anfang, daß wir einfach da waren und nun uns entwickeln wollten. Wir waren positiv, keineswegs aber negativ eingestellt.

2. Unter den höheren Schülern haben wir von kirchlichen Jugendvereinen und auch später von der B. K.-Bewegung nicht viel gemerkt. Wir hatten dazu keine Berührung. Wohl hatten wir herzliche persönliche Beziehung zu den beiden damaligen Pfarrern, bei denen wir Konfirmandenunterricht hatten; wir müßten aber erfahren, daß später die Kirche nichts tat,um uns zu suchen und zu finden. Wir haben eine Zeit gehabt, in der das Kirchliche den meisten von uns ohne jegliches Interesse war. Wo aber doch noch irgendwie kirchliches Interesse war, da richtete es sich auf das Nationalpolitische in dem kirchlichen Leben, wie es der Gustav-Adolf-Verein und der Evangelische Bund bot.

3. Von Erotik und Sexualität zu hören, war uns immer peinlich; es war uns geradezu entsetzlich, von anderen in dieser Weise seziert zu werden. Ich für meine Person glaube nicht, daß ich jemals aus dem Normalen herausgefallen bin, und ich glaube das auch nicht bei den meisten meiner Freunde.

4. Die Alkohol- und Nikotinfrage ist uns zunächst gänzlich gleichgültig gewesen. Eine solche Frage ging uns grundsätzlich gar nichts an. Wir waren der Meinung, daß ein Zusammenleben, wie das unsere es war, dessen Hauptprinzip das Wandern war und immer sein sollte, zunächst auf den bestehenden Ton einzugehen hatte, daß wir also auch gelegentlich bei fröhlichem Bechertrunk beisammen sein konnten. Später ergab es sich von selbst, daß wir wünschten, eine solche Geselligkeit zu haben und solch fröhliches Leben zu führen, wie man es auch ohne den Alkohol erreichen konnte. Aber eine Kampfgruppe gegen Alkohol und Nikotin zu sein, ist uns niemals eingefallen.

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5. Für die Wandervogelliteratur sind wir nicht verantwortlich. Ein Literatentum muß sein;aber vielleicht kranken wir Deutschen ganz besonders daran, Leben und Literatur zu verwechseln. Im Anfang war aber nicht das Buch, sondern die Tat. Das Leben bei uns ist viel einfacher und doch viel reichhaltiger gewesen, als man es in der Literatur restlos schildern kann.

6. Es war uns wohl bekannt, daß der alte General Haeseler die Idee vertrat, daß für die Jugend zwischen Schulentlassung und Militär etwas geschehen müßte. Das kam jedoch für die höheren Schüler nicht in Frage. General Haeseler hat sich aber für den Wandervogel interessiert, und es wäre vielleicht irgendeine Verbindung zwischen dem Wandervogel und den Bestrebungen des General Haeseler möglich gewesen. Im Gegensatz zu General Haeseler hat aber General von der Goltz gehandelt, der daran Schuld trägt, daß die damalige Jung-Deutschland-Bewegung nicht etwas verständnisvoller auf den Wandervogel eingegangen ist.

7. Zu dem Verhältnis von Gruppe und Bund teilte Karl Fischer mit, daß diese Frage im Anfang des Wandervogels schon Veranlassung gewesen ist zu ernsten Auseinandersetzungen zwischen ihm und einem Kameraden; beide waren einig gewesen, Tracht aber nicht Uniform. Der Kamerad sagte, daß aus der Bewegung etwas Vereinsmäßiges gemacht werden müßte; ich aber meinte, es muß etwas sein, das allen zugänglich ist,das für die ganze deutsche Jugend da ist. Der Kamerad meinte: ich habe meine Zustimmung so gegeben, daß wir uns immer fester in einer Gruppe zusammenschließen und als ein geschlossener Kreis weitere Fahrten machen. Ihm ging dadurch, daß auch andere immer wieder sich beteiligen sollten, die Stimmung für die Wandervogelbewegung verloren. Es zeigte sich deutlich, daß da ein Ausgleich gesucht werden mußte. Es ist ein ganz verhängnisvoller Fehler, wie es leider häufig geschieht, die Gruppe als den Hauptsinn zu betrachten, die Gruppe zum Träger des Bundes, zum Träger der Idee zu machen, das zerschlägt den Bund und macht allenfalls ein Bündel daraus; das vergewaltigt auch den einzelnen Menschen. Das Wichtigste und Grundlegende ist immer die Bewegung: der Bund; die Gruppe hat nur als dienendes Glied ihre Bedeutung.

[197] VII. Anhang

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Zeittafel

1896 Im Frühjahr beginnt der Student der Rechte Hermann Hoffmann mit der Führung von Schülerwanderungen, die zunächst einige Teilnehmer seiner stenographischen Kurse am Steglitzer Gymnasium mitmachen. Bald schließen sich Schüler anderer und nicht nur Steglitzer Schulen, sowie schulentlassene Jugendliche seinen „Hordenfahrten” an. Diese gehen zuerst sonntäglich als Ubungsmärsche in den nahen Grunewald. Das persönliche Vertrauen von Dr. Robert Lück, Direktor des Steglitzer Gymnasiums, ermöglicht dem jungen Studenten völlig selbständige Entscheidungen in seinem außerschulischen Unternehmen.

In den Herbstferien führt Hoffmann mit seinem Anhang eine zweitägige Wanderung von Königswusterhausen aus. Nachtquartier wird in einem einfachen Gasthaus in Teupitz genommen. Diesmal kochen die Teilnehmer, wie in Zukunft bei allen mehrtägigen Fahrten, unterwegs ihre Mahlzeiten auf selbstgebastelten Spirituskochern - von Hoffmann darin belehrt.

Dieser hatte schon von 1890 an als Sekundaner der Magdeburger Guerickeschule, zusammen mit seinem jüngeren Bruder Ernst und manchmal auch einem Klassengenossen, eine neue, im Gegensatz zum Touristenwesen selbständige Art des Wanderns erprobt. So konnte er jetzt mit Jugendlichen, zu denen auch Nichtstenographen stießen, ein Gemeinschaftswandern durchführen, das die Beteiligten zur Kameradschaftlichkeit erzog. Indem er jenen Fahrtenstil schuf, der unserer freien deutschen Jugendbewegung eigentümlich ist, hat er sie in ihrem Wesen begründet.

1897 Mit Anfang dieses Jahres schließt sich Karl Fischer (wie auch die beiden Brüder Hellmuth) Hoffmanns Wanderungen an.

Ende Juni gründet Hoffmann den Schülerverein „Stenographia”, in dem bald Karl Fischer zum ersten Vorsitzenden gewählt wird. Dieser am Steglitzer Gymnasium zugelassene Verein unternimmt jährlich wenige eintägige Ausflüge. Hoffmanns Hordenwanderungen

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bleiben unabhängig von dem Stenographenverein, wenn auch mehrere von dessen Mitgliedern an seinen Fahrten teilnehmen.

In den Sommerferien führt Hoffmann mit etwa 10 Jungen eine zweiwöchige Harzwanderung, an der sich Fischer und die beiden Hellmuths nicht beteiligen.

In den Herbstferien folgt eine dreitägige Wanderung, fUr die Fischer einige der 14 Teilnehmer wirbt. Sie beginnt wieder in Königswusterhausen, führt aber auf anderen Wegen als im vorigen Jahre (nämlich über den Kolberg amWolziger See) nach Teupitz,mit Nachtquartier in dem schon bekannten Gasthaus. Von dort wandert Hoffmann mit seiner Horde ostwärts durch das riesige Waldgebiet, wo sie die nächste Nacht südlich vom Scharmützelsee im Freien zubringen. Der Endmarsch geht dann westlich von dem 12 km langen See bis Fürstenwalde an der Spree.

1898 Die Grunewaldmärsche werden - zur körperlichen Abhärtung - bei jedem Wetter weitergeführt.

In den Sommerferien gibt es eine vierwöchige Fahrt von Thale aus durch den Harz, dann durch Thüringen, die Rhön und den Spessart bis Mainz und schließlich den Rhein abwärts bis Köln, deren 11 Teilnehmer Gerber sämtlich festgestellt hat - wieder ohne Karl Fischer. Auf dieser ereignisreichen Wanderung wurde mehrmals gezeltet, und die 50 km-Strecke von Lohr bis Aschaffenburg wurde in einer Nacht „durchgeklotzt” .

In den Herbstferien führt Hoffmann eine Wandergruppe in die „Mecklenburgische Schweiz”; die Zahl der Teilnehmer ist nicht bekannt, doch waren Karl Fischer, Wolfgang Meyen und Karl Wrobel dabei. Die Wanderung wird am ersten Tage von der Bahnstation Lindow aus über Rheinsberg bis Neuglobsow gegangen sein, denn hier hat die Horde auf dem Heuboden eines Bauernhofes übernachtet. Sie muß mehr als drei Tage gedauert haben, weil die Wanderer mindestens bis Teterow gekommen sind.

1899 Am 7. Juli beginnt die vierwöchige „klassische” Böhmerwaldfahrt mit über 20 Teilnehmern, deren Namen wiederum Gerber festgestellt hat. Hoffmann beauftragt mit den Vorbereitungen in Steglitz, weil er beruflich noch in Magdeburg zu tun hat, Karl Fischer, den er auch zum „Häuptling der Wanderfüchse” bestimmt. Fischer stellt nicht nur die Liste der sich zur großen Fahrt Meldenden, eine Übersicht der zu lernenden Lieder und anderes Erforderliche zusammen (stenographiert und hektographiert), sondern setzt auch die von Hoffmann gepflegten Gesangsübungen auf Veits Wiesen fort.Außerdem unternimmt er mit den Geworbenen Übungsmärsche in den Grunewald; einer wenigstens ist auf den Blättern bezeugt. Der Verlauf der Fahrt selbst, auf der Hoffmann einen zweiten „Häuptling” für die „Wander-

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Burschen” ernennt, während er selbst als „Oberhäuptling” die Verantwortung für das Ganze behält, ist in großen Zügen bekannt.

1900 Am 25. Januar hat der nach der Türkei einberufene Hermann Hoffmann mit Karl Fischer, den er zu seinem Nachfolger ausersehen hatte,auf dem Steglitzer Fichtenberg ein letztes Gespräch. Er kommt mit ihm überein, daß zukünftig in ganz Deutschland für die „Steglitzer Art zu wandern” geworben werden müsse,und weist Fischer darauf hin, daß die seit Ostern 1898 in Hameln wohnenden Brüder Hellmuth damit schon in ihrer neuen Heimat begonnen hätten.

Während des Frühjahrs unternimmt Karl Fischer etwa 15 Tagesmärsche an die Havel oder in die Umgebung von Potsdam, einen auch von Königswusterhausen über den Kolberg nach Friedersdorf.

In den Sommerferien führt Fischer als „Bachant” mit Hans Breuer als „Jungbursch” und Konrad Rüge als „Kronfuchs” eine große Fahrt durch Schleswig-Holstein mit einem Abstecher nach Dänemark. Sie beginnt am 12.Juli in Schwarzenbeck und endet am 30.Juli in Lübeck.

In den Herbstferien (nach Zurückstellung von der Reifeprüfung) ist Fischer mit Lothar Lück, dem Sohn seines Direktors, und Wolfgang Meyen l 1/2 Tage von Trebbin aus durch das Fresdorfer Land gewandert.

1901 Für die folgenden Ereignisse verweisen wir auf Gerbers Darstellung und führen nur bisher Unbekanntes, sowie wichtiges, Karl Fischers persönliches Schicksal Betreffendes an.

In den Sommerferien führt der „Bursche” Richard V/eber eine zweiwöchige Böhmerwaldfahrt vom 6.Juli bis etwa zum 20.Juli.

Fischer läßt sich von dem Schriftsteller Wolfgang Kirchbach beraten hinsichtlich einer Organisation, die ihm die Ausbreitung des Wandervogels über Berlin hinaus ermöglichen könnte. Nach bestandenem Examen unternimmt er in den Herbstferien eine große Fahrt in das Böhmische Mittelgebirge.

Am 4. November kommt es dann zur vereinsmäßigen Gründung eines „Ausschusses für Schülerfahrten” (AfS). Für die von ihm betreute wandernde Jugend wird auf Vorschlag von Wolf Meyen der Name „Wandervogel” angenommen. Er bleibt weiterhin bestehen unabhängig von dem Wechsel der Vereine mit ihren verschiedenen Organisationen.

1902 Wichtigstes Ereignis: Im Herbst kann Karl Fischer als Oberbachant nach einer siebentägigen Wanderung durch die Lüneburger Heide die erste auswärtige Ortsgruppe in Lüneburg gründen.

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1903 Als schicksalhaft für die weitere Entwicklung der Bewegung erweist sich eine große Fahrt Copalles in den Sommerferien mit 12 Mann nach Westfalen, der Lahn und dem Rhein. Als verantwortlicher Führer für das Gelingen dieser Wanderung schickt der Bachant Copalle den Scholaren Hans Blüher wegen Widersetzlichkeit und anstößigen Verhaltens in Marburg nach Hause. In Steglitz aber setzt der Oberbachant deswegen eine „hochnotpeinliche” Untersuchung an. Obwohl Richard Weber und Bruno Thiede Copalles Antrag unterstützen, Blüher aus dem Wandervogel auszuschließen, nimmt ihn Fischer in Schutz und verurteilt dagegen Copalles Maßnahme als „nicht berechtigt” . So kommt es zum Streit zwischen dem Oberbachanten und seinen drei ältesten Bachanten, den der Vorstand des AfS trotz mehrfacher Versuche nicht zu schlichten vermag.

In den Herbstferien gründet Karl Fischer auf einer Ostmarkenfahrt - sie führt bis an den Goplosee, bei dem die russische Grenze für einen halben Tag überschritten wird - in Posen seine zweite auswärtige Ortsgruppe. Seine Posener Vertrauensschüler breiten die Bewegung auch auf Rawitsch aus und versuchen in anderen Städten der „Ostmark” wie in Gnesen Fuß zu fassen.

1904 Die beiden Bachanten Ernst Baumann und Walter Schmidkunz gründen in München eine rührige Ortsgruppe.

In den Osterferien führen Weber, Thiede, Copalle - die sich nach dem Zerwürfnis mit dem Oberbachanten zunächst vom Fahrtenbetrieb zurückgezogen hatten - mit Genehmigung des Vorstandes eine mehrtägige Fahrt, wonach der alte Streit wieder auflebt. Vom Vorstand angesetzte Verhandlungen bleiben erfolglos. Nun aber ergreift der Zwiespalt auch die Scholaren, und es kommt an mehreren Schulen zu unhaltbaren Zuständen, wo die fanatisierten Jungen sich gegenseitig bekämpfen. In Lehrerkreisen erwägt man schon ein Verbot der Wandervogelbewegung, da bereitet, um diese Gefahr abzuwenden, Prof. Dr. Heinrich Albrecht - nicht Oberlehrer, wie Blüher behauptet, sondern Nationalökonom - die Auflösung des Vereins vor.

Diese erfolgt am 29. Juni, auch mit Zustimmung von Karl Fischer und den meisten seiner Anhänger. Gleich nach dem unrühmlichen Ende des AfS gründen mehrere der alten Mitglieder einen Verein mit anderen Satzungen, der nach seiner Eintragung in das Vereinsregister (am 2.11.1904) den amtlichen Namen „Wandervogel, Eingetragener Verein zu Steglitz bei Berlin” erhält.

Fritz A. Meyen, der Schriftleiter der ersten seit März dieses Jahres erschienenen Wandervogel-Zeitschrift, organisiert die Sammlung neuer Anhänger zu den wenigen ihrem alten Oberbachanten treu gebliebenen Bachanten und Scholaren und bestimmt dadurch Karl Fischer, es noch einmal zu versuchen.

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Im Oktober ist es soweit, daß diese Gruppe den Namen „Alt-Wandervogel” annimmt. Fischer ernennt sich nun zum „Großbachanten” und geht für zwei Semester zum Studium nach Halle a.d. Saale. Die Geschäftsleitung in Berlin überläßt er Hermann Friese,dem erden Titel „Oberbachant” verleiht.

Mit der Spaltung des Wandervogels verliert Fischers Partei jeden Einfluß in Posen,Rawitsch und den angeschlossenen Orten. Der Großbachant gründet nun aber in Halle seine dritte Ortsgruppe. Auch der zum Oberbachanten ernannte stud.phil. Ernst Anklam geht zum Studium nach Straßburg i.E. und wirbt hier und in benachbarten Orten für den AWV.

Am 18. November wird in Berlin unter Frieses Initiative ein „Ehren- und Freundesrat zum Altwandervogel” (kurz: Eufrat) gegründet.

1905 Am 26. Januar gibt sich der Eufrat unter der endgültigen Bezeichnung „Eltern- und Freundesrat zum AWV” Satzungen, womit der neue Bund ohne Fischers Zutun konstituiert ist. Der Großbachant versucht vergebens, in ihm seine alte beherrschende Stellung wiederzugewinnen.

Doch hat die von Halle a.d.Saale ausgehende Werbung Erfolge zu verzeichnen. Anklam aber gelingt es, außer in Straßburg i.E. in Zabern und Neustadt a.Haardt Ortsgruppen zu gründen. Auch die Münchener Wandervögel haben Einfluß in mehreren bayerischen Orten und suchen schließlich sogar Innsbruck für den AWV zu gewinnen.

Im November übergibt Karl Fischer dem Rittergutsbesitzer Willie Jansen zwei westdeutsche Kreise, in denen bisher nicht geworben wurde und ernennt ihn bald zum Oberbachanten. Kassel ist die erste von diesem gegründete Ortsgruppe.

1906 Am l .Januar legt Karl Fischer sein Großbachantenamt nieder und überläßt dem Eufrat die weitere Verfügung darüber. Anlaß zu diesem Schritt sind vor allem seine Kämpfe mit Friese, der sich in seine Berliner Geschäftsführung mit ihren großen Erfolgen nicht hineinreden läßt.

Die Münchener Ortsgruppe mit ihrem Anhang macht sich selbständig, weil sie mit den Zänkereien im AWV nichts zu tun haben will, und gründet einen „Bayerischen Wandervogel”.

Dem AWV bleibt aber die Werbekraft Jansens und Anklams erhalten. In der ersten Hälfte dieses Jahres gewinnt Jansen noch Frankfurt am Main und Bonn als Ortsgruppen.

Während Anklams Tätigkeit am Oberrhein war auch die Ortsgruppe Kaiserslautern entstanden. Nach Berlin zurückgekehrt übernimmt er die Werbung in dem neuen Kreise „Ostelbien” . Bis zum Aus-

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scheiden Fischers gründet er in Potsdam, Prenzlau, Danzig und Fürstenwalde und schließlich auch in Frankfurt a.Oder AWV-Ortsgruppen.

Von Halle aus werden noch Leipzig und Dresden für den AWV gewonnen. Die neuentstehende Ortsgruppe Jena aber fällt im nächsten Jahre vom AWV ab und gründet den sich schnell ausbreitenden „Wandervogel. Deutscher Bund für Jugendwanderungen”.

Karl Fischer, nicht mehr Großbachant, beansprucht doch - aus eigener Machtvollkommenheit - für sich die „Bundesleitung”, und das führt wegen der unklaren Rechtslage zu schweren Differenzen vor allem mit Hermann Friese.

Am 4. April stellt darum eine Generalversammlung des Eufrat und der Führerschaft vom AWV neue und zwar „demokratische” Satzungen auf, die Rechte und Pflichten der Bundesleitung, in die Fischer aber nicht gewählt wird, genau festlegt. Damit ist dem früheren „Großbachanten”, welche Bezeichnung jetzt fortfällt, jeder Einfluß genommen. Er ist zwar noch zusammen mit Fritz A.Meyen Herausgeber der „Illustrierten Monatsschrift”, doch müssen beide diese in einem Kaufvertrag der Bundesleitung überlassen.

Im Juli wird Fritz Meyen, der nun gegen die Bundesleitung intrigiert, kurzerhand aus dem AWV ausgeschlossen, und dies nimmt Karl Fischer zum Anlaß, um in einem Schreiben an Jansen, damals Vorsitzender des Eufrat, seinen Austritt aus dem Bunde zu erklären.

[205]
Quellennachweis
der zitierten Stellen und erstmalig veröffentlichter Belege


a) Aus selbständigen Druckschriften

Ahrens, Heinrich: Die deutsche Wandervogelbewegung von den Anfängen bis zum Weltkrieg. Hamburg 1939
Becker, Marie Luise und v.Levetzow, Karl: Wolfgang Kirchbach in seinerzeit. München 1910
Blüher, Hans: Wandervogel. Geschichte einer Jugendbewegung. (3 Teile) Berlin-Tempelhof 1912
––: „Prospekt” zum 3. Teil (Die deutsche Wandervogelbewegung als erotisches Phänomen). Berlin-Tempelhof 1912
––: Werke und Tage. Erster Band. Jena 1920
––: Karl Fischers Tat und Untergang. Bad Godesberg 1952
––: Werke und Tage. Geschichte eines Denkers. München 1953
Copalle, Siegfried: Annalen des Ur-Wandervogels (Abschnitt I der „Chronik der Deutschen Jugendbewegung”). Bad Godesberg 1954
Frobenius, Eise: Mit uns zieht die neue Zeit. Eine Geschichte der Jugendbewegung. Berlin 1927
Gerber, Walther: Zur Entstehungegeschichte der deutschen Wandervogelbewegung. Ein kritischer Beitrag. Bielefeld 1957 (Daraus „Erinnerungen an den Wandervogel” von Hans Atzrott.)
Kirchbach, Wolfgang: Flugblatt vom 8.2.1905 (Entgegnung des AWV zur Erklärung des Steglitzer EV in dessen Nbl.)
Pohl, Max: Stirb und Werde (Erinnerungen, 2.Teil) Wolfenbüttel 1924
Pross, Harry: Jugend, Eros, Politik. Scherz Verlag 1964
Raabe, Felix: Die Bündische Jugend. Ein Beitrag zur Geschichte der Weimarer Republik. Stuttgart 1961
Schmidt, Georg: Randbemerkungen zu Zeit- und Streitfragen der Wandervogelbewegung. Oranienburg bei Berlin 1916/17
Schomburg, H.E.: Der Wandervogel, seine Freunde und seine Gegner Wolfenbüttel 1917
––: Text in „Das Wandervogelbuch”. Rudolstadt (Thür.) 1917 Techow, Hans-Gerd: „Hans Breuer” in „Die Unvergessenen”, herausgegeben von Ernst Jünger. Berlin und Leipzig 1928 Wangelin, Helmut: Vor fünfzig Jahren. Wunstorf 1963 Weber, Alfred: Der dritte oder der vierte Mensch (1953). Neuauflage München 1963

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b) Aus Zeitschriften (und Sammelschriften)


Berliner Lokalanzeiger (Unterhaltungsbeilage) vom 29.12.1914: Schilderungen „Aus einem flandrischen Lazarett” von Marie Luise Becker
Der Fahrende Schüler, Zeitschrift des „Deutschen Wandervogels”: W. B. bespricht Blühers WV-Geschichte
DER SPIEGEL, Das Deutsche Nachrichten-Magazin: Spiegel-Report über organisierte Jugendliche in der Bundesrepublik
Der Wandervogel, Zeitschrift des AWV: „Geleitwort” von Ernst Semmelroth, u.a.
Deutsche Stenografen Zeitung: P.Beutmann über „Schülerstenografenverein” und „Wandervogel”
Die Blaue Blume des Wandervogels, von Werner Helwig: Hans Wolf über Karl Fischer auf dem Maien-Gautag 1920
Jung-Wandervogel, Zeitschrift des JWV: Hans Blühers Beitrag „Wider die Geschichtsklitterung der Frau Marie Luise Becker am Nachruhme Karl Fischers”
Ludwigsteiner Blätter (von Nr. l bis Nr.49 „Das Nachrichtenblatt” genannt): Beiträge von Hermann Hoffmann-Fölkersamb, Karl August Eckhardt, Werner Kindt u.a.
„m”-mannschaft: Klemens von Henkes Beitrag „Begegnung mit Karl Fischer 1922-1923”
Märkischer Fahrtenspiegel: Beitrag von Wolf Meyen
Merkur, Deutsche Zeitschrift für Europäisches Denken: Beitrag von Franz Schonauer
Nachrichtenblatt des Steglitzer EV: Amtliche Mitteilungen; Hermann Hoffmann auf einem Weihnachtsfest
Sachsenspiegel, Gaublatt der Wandervögel für Niedersachsen: Beitrag von Fritz Hellmuth
Schülerwarte (stenographische Zeitschrift): Hermann Hoffmanns Beitrag „Hoch das Wandern!” und kleine Mitteilungen
Schulprogramme der Magdeburger Guerickeschule: Datum der Reifeprüfung von Hermann Hoffmann
The American-German Review: Beitrag von Ilse Reicke „The Youth Movement”
Wandervogel, Illustrierte Monatsschrift (AfS und AWV): Amtliche und andere Mitteilungen von Karl Fischer, Ludwig Gurlitt, Hermann Friese, Wolfgang Kirchbach, Fritz Meyen u.a.
Wandervogel-Führerzeitung: Diskussionen über „Antisemitismus” und andere Probleme
Wandervogel und Freideutsche Jugend, samt Bildband (herausgegeben von Gerhard Ziemer und Hans Wolf): Beiträge von Hans Breuer, Ferdinand Goebel, Wilhelm Riegger u.a.; Beschriftung von Fotos
Wandervogel, Zeitschrift des DB: Amtliche Mitteilungen über Bundestage und Bundesleiter
Wandervogel, Zeitschrift des WV eV („Gelbe Zeitung”): Amtliche Mitteilungen über Bundestage und Bundesleiter; Hans Lissner bespricht Blühers WV-Geschichte

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c) Aus Karl Fischers Nachlaß, aufbewahrt im Archiv des KFB

Diesem Nachlaß entstammen die wichtigsten Zitate, desgl. die meisten der sonst noch nicht veröffentlichten Belege. Benutzt wurden Hermann Hoffmanns Brief vom 12.9. 1897 an Karl Fischer, dessen Grußkarte an die Eltern aus Teterow vom 5.10.1898, aus seinem Tagebuch (1895-1900) die Wandernotizen von 1900, eine Karte, die Heinersdorff am 19.10.1900 an ihn richtete, und 10 Karten Richard Webers von dessen Böhmerwaldfahrt in den Sommerferien 1901 . Ferner Burschenarbeiten von Adolf Menadier und Rudolph Schwandt, Fischers Niederschrift vom Herbst 1922, ein Schreiben an ihn von Else Frobenius, datiert 22.11.1926, und Karl Fischers Vortrug am 18.10.1927 vordem Evangelischen Jugendring Berlin.

Bemerkung: Die 3 Fotos von Hoffmanns großer Sommerfahrt 1898 stellte Rudolf Schrey zur Verfügung. Die Steglitzer Ansichtskarte von 1896 stammt aus Fritz Hellmuths Nachlaß. Erlaubnis zur Veröffentlichung von Zeichnungen Hoffmanns aus dem Böhmerwald (Juli 1893)gab Frau Gisela Tramsen, Tochter von Hermann Hoffmann-Fölkersamb.

d) Aus handschriftlichen Aufzeichnungen


Albrecht, Gerhard: Erinnerungen an die AfS-Zeit und den Steglitzer EV (Abschrift im Archiv des KFB)
Brinkmann, Conradin: Karl Fischer, der Gründer des Wandervogels, und sein Schuldirektor Robert Lück (Archiv des KFB)
Friese, Hermann: Randbemerkungen in seinem Handexemplar von Blühers WV-Geschichte (Ludwigstein-Archiv)
Hellmuth, Fritz: Stenographische Notizen zu Hermann Hoffmanns Fahrten (Ludwigstein-Archiv)
Hermsen, Hans: Erinnerungen an Karl Fischer (Käthe Mancke mitgeteilt)
Mitteilungsblätter (2) für die Teilnehmer an Hermann Hoffmanns Böhmerwaldfahrt, stenographiert und hektographiert von Karl Fischer (Ludwigstein-Archiv)
Schrey, Rudolf: Erinnerungen an seine Wanderungen unter Hermann Hoffmann (Archiv des KFB)
Wrobel, Karl: Lebenserinnerungen (aufbewahrt von seiner Witwe Charlotte Wrobel in Berlin-Steglitz)

e) Aus Briefen

Breuer, Frieda: am 21. 5. 1963 an Verf.
Copalle, Siegfried: am 19. 4. 1952 an Walter Engel
Dienel, Kurt: am 6. 3. und 20. 8. 1962 an Verf.
Hoffmann, Hermann: am 9. 12. 1952 an Heinrich Ahrens
Hoffmann, Hermann: am 18. 10. 1900 an Arnold Hellmuth (Ludwigstein-Archiv) Meyen, Albrecht: am 10. 10. 1960 an Hertha Henschel

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Schrey, Rudolf: am 16. 8. und 19. 9. 1962 an Verf.
Weimar, Walter: am 20. 4. 1958 an Käthe Mancke
Wünschig-Pisulla, Kurt: am 2. 11 . 1962 und 24. 3. 1963 an Verf.

(Ferner nach mündlichen Mitteilungen von Kurt Dienel, Walter Engel, Hans Hermsen, Erich Krüger und Max Preuß an Verf.)





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Georg Friedrich Korth, * 1.3.1890 in Wolgast

Georg Korth
(Vita von 1967)

Georg Friedrich Korth, geboren am 1.3.1890 in Wolgast, hat die Reifeprüfung zu Ostern 1909 am Peter Gröning-Gymnasium in Stargard (Rom.) abgelegt. Er studierte an den Universitäten in Göttingen (2 Semester) und in Berlin (8 Semester) Mathematik, Physik, Chemie, Biologie und Philosophie. Zugleich war er in verschiedenen Wandervogelbünden (in Göttingen, Stargard und Berlin) tätig. Als Kriegsfreiwilliger des Reserve-Infanterie-Regiments 211 wurde er im Westen an der Flandernfront eingesetzt. Am 23.10.1914 geriet er auf verlorenem Posten zwischen Bikschote und Langemark in englische Gefangenschaft und ist nach Beendigung des Krieges erst im Sommer 1919 mit einem Krankentransport nach Deutschland zurückgekehrt. Von der Entlassungsdienststelle in Stargard wurde ihm dann, wegen schwerer Nervenschädigung als „prisoner of war”, für mehrere Jahre eine Kriegsrente bewilligt. In Etappen hat er nun sein Mitte 1914 begonnenes Staatsexamen für das Höhere Lehramt zum Abschluß gebracht, aber schon 1921 mit dem Vorbereitungsdienst an der Oberrealschule in Stargard begonnen. Es folgte Unterrichtstätigkeit an verschiedenen Schulen Pommerns, der Neumark und Berlins und schließlich zu Ostern 1928 Anstellung als Studienrat in Wittstock an der Dosse am staatlichen Reform-Realgymnasium. Während des Naziregimes wurde er aus „politischen” Gründen mehrmals bestraft; darunter waren Strafversetzungen,zuletzt an die städtische Lochowschule in Dahme (Mark). Von hier konnte ersieh im Laufe des Jahres 1945 nach Berlin hineinhungern. Dort Tätigkeit an verschiedenen Oberschulen, aber auch Einsatz zu anderen Zwecken, wie Entwurf neuer biologischer Lehrpläne. Zum Ostertermin 1949 wurde er als Honorarprofessor auf einen Lehrstuhl für Mathematik an der Pädagogischen Hochschule in Ostberlin berufen, beendete aber aus persönlichen Gründen nach 3 Semestern diese Lehrtätigkeit. Nach einer wirtschaftlich schwierigen Übergangszeit erfolgte unter neuen rechtlichen Bedingungen seine Wiederernennung zum Studienrat an einer Neuköllner Oberschule wissenschaftlichen Zweiges; und zu Ostern 1955 wurde er in den Ruhestand entlassen. Nachträglich erhielt er wegen Behinderung seiner Laufbahn im „dritten Reich” als Wiedergutmachung die Ernennung zum Oberstudienrat i.R.

Seit 1926 ist er verheiratet und hat zwei Töchter. Wissenschaftliche Arbeiten von ihm haben die Kant-Studien gebracht: „Zum Problem der geometrischen Methode” in Heft 4, Band 50, und „Über den Sinn der Worte 'Bedeutung' und 'Gegenstand'” in Heft 2, Band 54. Seine vor 1945 betriebenen Forschungen konnte er, in Abwehrstellung gegenüber der NSDAP, nicht veröffentlichen; sie liegen aber als Manuskripte für ihre Auswertung bereit.

[aus dem Anhang seines Buches: „Wandervogel 1896 - 1906”; dipa-Verlag Frankfurt am Main 1967 (erste Auflage, stabi 20 Per 911)]

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