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Kurzauszug der Begegnung mit Ludwig Tieck aus:

»Reise nach Dresden und in die Sächsische Schweiz«

von Hans Christian Andersen

Wolfgang Jess Verlag / Dresden 1947

(gesperrt gedrucktes wurde mit Fettdruck ersetzt)

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Die Stadt [Dresden] hatte für mich etwas einladend Freundliches; ich fühlte mich darin gleich wie zu Hause. Mein erster Gang war zu unserem berühmten Landschaftsmaler Dahl. Ich hatte keinen Empfehlungsbrief, aber als Däne war ich herzlich willkommen. Sowohl mir wie seinen anderen Landsleuten, die mit mir zur selben Zeit da waren, brachte er viele Opfer an Zeit und Mühe. Er war mit zwei Norwegern zu Tieck eingeladen; der große Dichter wollte an diesem Abend in einem Kreise von Freunden etwas vorlesen; da ich nun einen Empfehlungsbrief von Ingemann an ihn, ihm auch schon früher selbst einmal geschrieben hatte, so forderte Dahl mich auf, ihn zu begleiten, ...

... Blick auf Dresden, Künstler unbekannt

Es war sieben Uhr abends, als ich mich mit Dahl und den zwei jungen Norwegern zu Tieck begab; ich sollte jetzt den Dichter sehen und kennenlernen, mit dem ich mich im Geiste so oft und viel beschäftigt hatte. Ich dachte nicht an seinen gestiefelten Kater und Prinz Zerbino, nicht an seine wunderschöne Elfenwelt und die herrlichen Novellen, nein, alles schmolz mir in dem Manne selbst zusammen, in Deutschlands Tieck, dem Meister einer ganzen Schule, der romantischen Poesie, dem Manne, der Goethe an Alter, Wert und Anerkennung bei seinen Landsleuten am nächsten steht.

Das Zimmer, in das wir geführt wurden, war nicht groß. Hier saßen um den Teetisch herum die Familie und einige Fremde, meistens Ausländer. Ich hatte Ingemanns "Ole der Namenlose" von dem Dichter selbst mitbekommen und meine eigenen "Phantasien und Skizzen" ebenfalls bei mir. Dahl stellte die beiden Norweger und mich als seine Landsleute vor, und der Dichter begrüßte uns freundlich und hieß uns willkommen; als ich ihm darauf die Bücher und Ingemanns Brief gab, nahm er mich freundlich bei der Hand und fragte, ob ich derjenige sei, der die "Fußreise" geschrieben habe? Als ich dies bejaht hatte, sagte er mir einige verbindliche Worte, hieß mich noch einmal willkommen in Deutschland und erkundigte sich nach Ingemann, den er sehr wertschätzte. Welch ein Ausdruck lag in dieses Mannes Blicken! Nie habe ich ein offneres Gesicht gesehen. Seine Stimme klang so gutmütig, und sah man ihm in die großen, klaren Augen, da fühlte man sich gewiß gedrungen, sich ihm anzuvertrauen. Es war nicht bloß der Dichter, den ich liebte, auch der Mann ward mir jetzt teuer! ja, so hatte ich ihn mir gedacht, als ich die Elfen las; -aber meine Träume sind schon so oft fehlgeschlagen, daß ich zuweilen wiederum dachte: in der Wirklichkeit ist er vielleicht ein steifer, vornehmer "Hofrat", und das würde mich sehr abgeschreckt haben. So war auch meine Vorstellung von Goethe, was meine Lust überwand, den großen Meister zu sehen, von dem ich glaubte, daß er sich am herrlichsten ausnähme, wenn man ihn, wie die Kirchtürme, aus der Entfernung sähe.

Die Gesellschaft bestand übrigens aus Menschen von den verschiedensten Gegenden des Erdballs; hier war einer aus Amerika, ein anderer, der die Reise um die Welt gemacht hatte, da waren Norweger, Deutsche und so weiter. Ich war der einzige aus Dänemark.

Tieck liebt Holberg sehr, den er in einer alten Übersetzung besitzt, aus der er zuweilen vorliest, und zwar ganz vortrefflich. Ich hörte ihn diesen Abend den zweiten Teil von Shakespeares Heinrich der Vierte vorlesen. Er pflegt, wenn er vorliest, die Personen nicht zu nennen, aber er spielt eine jede, so daß man gleich weiß, wer es ist. Namentlich die komischen Szenen gab er ganz meisterhaft, und es war ganz unmöglich, über seinen Falstaff oder seine Frau Hurtig nicht zu lachen.

Als wir am Abend aufbrachen, bat mich Tieck, so lange ich in Dresden bliebe, ihn öfter zu besuchen, und bereitete mich namentlich auf den Genuß vor, der mir in dem Besuch der Bildergalerie und der sächsischen Schweiz noch bevorstände; erstere war unglücklicherweise geschlossen, da die Bilder aufs neue geordnet wurden, aber Dahl hatte mir versprochen, mich am anderen Morgen hinaufzubringen, da doch die besten Sachen noch alle aufgehängt waren. Dies war der erste Tag in Dresden.

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Ludwig Richter. Dresden vom Narrenhäschen an der Elbbrücke

... Jetzt begrüßte mich der letzte Morgen in Dresden. ...

In meiner jetzigen Stimmung konnte ich Tieck nicht Lebewohl sagen. Eine Stunde später ging ich zu ihm. Er empfing mich in seinem Arbeitszimmer und sah mir so recht herzlich mit seinen großen, klugen Augen ins Gesicht; ich nahm mich zusammen, als ich die eben erst gedämpfte Wehmut doppelt stark zurückkehren fühlte. Er schien viel Güte für mich zu haben, lobte diejenigen von meinen Sachen, die er kannte, und schrieb mir, da ich kein Stammbuch bei mir führte, folgende Worte zum Andenken auf ein Blättchen Papier:

"Gedenken Sie auch in der Ferne meiner; wandeln Sie wohlgemut und heiter auf dem Wege der Poesie fort, den Sie so schön und mutig betreten haben. Verlieren Sie nicht den Mut, wenn nüchterne Kritik Sie ärgern will. Grüßen Sie den teuren Ingemann und alle Befreundeten und kehren Sie uns bald einmal frisch, gesund und reichbegabt von den Musen nach Deutschland zurück.

Dresden, 10. Juni 1831                    Ihr wahrer Freund Ludwig Tieck"

Ich sagte ihm Lebewohl. Kein Fremder war dabei, und daher durfte ich wohl weinen; er drückte mich an sein Herz, weissagte mir eine glückliche Zukunft als Dichter und - dachte gewiß, daß ich ein viel besserer Mensch sei, als ich wirklich bin. Sein Kuß glühte auf meiner Stirn, ich weiß nicht recht, was ich fühlte, aber ich liebte alle Menschen; möchte ich doch einmal als Dichter der Welt etwas schenken können, wodurch ich dem großen Dichter zeigen könnte, daß er sich in dem Fremden nicht getäuscht!

Es war sechs Uhr abends, als ich mit der Schnellpost aus Dresden fuhr; ...

[Zur Langfassung] - In der Langfassung erfährt der Leser etwas mehr über den Aufenthalt Andersens in Dresden.

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