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1893 - Gipsy - Buchbesprechung

H. M. Doughty, „Our Wherry in Wendish Lands: From Friesland through the Mecklenburg Lakes to Bohemia“ - Illustrated by bis daughters - London - Jarrold and Sons.


Mr. Doughty, ein ehemaliger britischer Flottenoffizier, studierte eines Tages die Karten des Festlandes, um dort eine Gegend zu finden, in welcher der Wassersport gut zu betreiben sei. Sein Blick fiel auf die zahlreichen Seen Mecklenburgs und da er in seinen Kreisen nichts über dieselben erfuhr, so beschloß er, dort discoveries zu machen.
Zu diesem Zwecke wurde sein Norfolk Wherry, das heißt ein Boot, wie es in Norfolk üblich, gut ausgerüstet und mit allem Nötigen versehen; es war 16 m lang, hatte ebenso hohen Mast und ging nur 1 m tief; da der Kiel abgenommen werden konnte, so vermochte man noch seichtere Kanäle und Seen zu durchfahren. Der Bädeker und Karten, wie es scheint, nicht immer die besten, große Vorräte an Lebensmitteln wurden eingepackt, die Familie des Herrn Doughty nahm in dem bequemen Fahrzeuge Platz, die jungen Damen, welche deutsch sprachen, legten ihre Skizzenbücher zurecht — nach den mitgeteilten, von ihnen herrührenden Abbildungen verstehen sie den Stift sehr gut zu führen — und neben Koch und Matrose nahm noch der Friese Pieter Platz, der infolge seiner Kenntnis des Plattdeutschen als Dolmetscher diente.
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Und nun begann eine lustige, genußreiche, auf zwei Sommer (1899 und 1891) verteilte Fahrt, auf der die vergnügte Familie ganz auf dem Wasser und ihrer „Wherry“ lebte , welche den bezeichnenden Namen Gipsy (Zigeuner) führt . Diese Fahrt zog von Leeuwarden in Friesland durch den Kanal nach dem Dollart, über Emden ins Oldenburgische, wo man sich in dem unvollendeten Ems - Hunte - Kanal verfuhr, zurück nach Emden, von da im Kanal nach Wilhelmshaven, durch die Nordsee nach Bremerhaven, durch den Geestekanal nach der Elbe, über Hamburg diesen Fluß aufwärts, dann in die Elde hinein, durch eine große Anzahl der mecklenburgischen Seen, die Havel abwärts und dann auf der Elbe bis Aussig in Böhmen. Gelegentlich wurden mit der Eisenbahn Abstecher gemacht.

Daß es sich bei der Schilderung dieser Fahrt nicht um das eigentliche Wendenland, die Lausitz, handelt, sieht der Leser sofort ein und der Verfasser versteht darunter auch Mecklenburg, welches er besser als altes Obotritenland bezeichnet hätte!
Natürlich konnten die Beobachtungen nur flüchtige sein und wir begegnen oft genug schiefen Urteilen oder kleinen Irrtümern, wie er z. B. Ostfriesland „Ostfalen“ nennt; aber Mr. Doughty hat einen offenen Blick und ein warmes Herz, er besitzt Humor und schreibt anschaulich, so daß wir sehr gern ihm auf seinen labyrinthischen Fahrten gefolgt sind und unser deutsches Land durch die britische Brille betrachtet haben. Tiefere landschaftliche Interessen lagen dem Verfasser fern; hätte er z. B. die Schrift von Prof. E. Geinitz über die mecklenburgischen Höhenrücken und ihre Beziehung zur Eiszeit gekannt, so würde ihm vieles klarer geworden sein und da er öfter über die Karten geklagt hat, so würde bei seinem Aufenthalt in Hamburg ein Besuch bei Ludwig Friederiken, Neuer Wall 61, ihm vorteilhafter gewesen sein, als ein Besuch bei Stanford.
Es giebt über die Mecklenburger Seen eine nicht unbedeutende Litteratur und der Ausspruch Few Germans know or care to know about things aquatic ist unberechtigt. Richtig aber ist, daß wir an Mr. Doughty uns ein Beispiel nehmen können, wie man die deutschen Gewässer genußreich befahren kann; freilich gehört dazu auch der nötige Geldbeutel, um ein so bequemes Boot sich anzuschaffen. Es ist in den kleinen mecklenburgischen Städtchen oft genug angestaunt worden, wo die Norfolkleute sich vorkamen wie caged wild beasts at the Zoo. Ordentlich befriedigt ist der Verfasser von der Landschaft, von den prachtvollen Wäldern mit Hirschen und Rehen, dann denkt er sich zurückversetzt an den Puget Sound; er ist froh, wenn er ein glorious sail gemacht hat, lernt grobe und gute Menschen kennen. Mit großer Zähigkeit überwindet er Hindernisse in den oft engen Kanälen und sein Urteil über die Rückständigkeit des norddeutschen Kanalwesens ist zutreffend. Von den alten malerischen Städten wie Lüneburg, Lübeck, Neubrandenburg u. s. w. ist er entzückt. Mecklenburg, wo Mr. Doughty sich am längsten aufhielt, scheint in bezug auf seine Kultur ihm nicht große Eindrücke gemacht zu haben: Civilisation in these regions seems sadly in arrear. Indessen das Teil des sehr unterhaltenden Buches geht nirgends in die Tiefe.

R. Andree.


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Erstellt am 11.12.2016 - Letzte Änderung am 11.12.2016.