Verfasser/Cover
Orginalquelle: ↑  http://www.geschichtsverein-prignitz.de/
http://www.geschichtsverein-prignitz.de/hefte.html
http://www.geschichtsverein-prignitz.de/5.pdf

Aus dem Leben eines Dienstmädchens

von Walter Fritze

Anmerkung der Redaktion: Der nachfolgende Text ist ein Auszug aus der Ortschronik von Rühstädt, die von Walter Fritze in jahrelanger Arbeit in sechs Klemmheftern gesammelt und im Jahre 2001 dem Pfarrarchiv Rühstädt übereignet wurde. Am 27. 9. 2004 konnte Herr Fritze, der sich vor allem als „Storchenvater“ um Rühstädt verdient gemacht hat, seinen 90. Geburtstag begehen. Ihm zu Ehren veröffentlichen wir den 1987 aufgezeichneten, kulturgeschichtlich sehr aufschlußreichen Bericht. Die Sammlung dieser Erlebnisberichte geht auf eine Anregung von Dr. Wolfram Hennies (Perleberg) zurück. Die hier berichtende Person ist Frau Elisabeth Breddin, die am 9. Dezember 1992 in Rühstädt verstarb (Abbildung: Elisabeth Breddin, Aufnahme um 1940).

Ich bin als ältestes Kind des Schiffers Wilhelm Schenk und seiner Ehefrau Emilie am 16. 10. 1905 in Rühstädt geboren. Ich habe noch eine Schwester, ein Bruder ist im 2. Weltkrieg gefallen. Mein Vater fuhr auf der Elbe auf einem Schiff als Bootsmann, später war er im Hamburger Hafen als Lagermeister bei der Reederei Berliner Lloyd beschäftigt. Er kam nur alle vier Wochen sonntags nach Hause. Er ist im Jahre 1943 bei einem Bombenangriff auf Hamburg ums Leben gekommen, 62 Jahre alt. Meine Mutter war Tagelöhnerin bei verschiedenen Bauern und später Arbeiterin auf dem Rittergut Rühstädt. Ostern 1912 wurde ich eingeschult in der einklassigen Dorfschule in Rühstädt. Es gingen etwa 40 Kinder zur Schule. Der Lehrer, Kantor Randow, hatte viel zu tun. Während des Krieges mußte er auch noch nach Gnevsdorf und nach Bälow, weil die Lehrer in diesen Orten eingezogen waren und in den Krieg mußten. Manche Kinder haben nicht viel gelernt, aber Lesen und Schreiben, das kleine Einmaleins und die Zehn Gebote konnte jeder bei der Schulentlassung. Zu Ostern 1920 wurde ich konfirmiert, und unmittelbar darauf wurde ich bei dem Bauern August Stettin als Kindermädchen vermietet. Einen besonderen Arbeitsvertrag über Lohn, Kündigung oder dergleichen gab es nicht. Als Lohn wurden 20,- Mark monatlich bei freier Kost und Wohnung vereinbart. Urlaub gab es nicht. Schlafen mußte ich mit dem ersten Dienstmädchen in einer Kammer. Zwei Betten hintereinander, ein Schrank und eine Kommode standen in dem kleinen Raum, der nicht heizbar war. Es war erst ein kleines Kind da, welches meistens von der Mutter und der Oma versorgt wurde. Somit mußte ich andere Arbeiten machen wie Wäsche waschen, Saubermachen, Arbeiten in der Küche usw. In der Heu- und Getreideernte mußte ich mit aufs Feld, heuen helfen und Getreidegarben aufbinden. Abends bin ich oft mit der 1. Magd zum Melken der Kühe zur Koppel gegangen, morgens brauchte ich nicht mit. Weil ich als Kindermädchen vermietet war, aber meistens andere Arbeiten machen mußte, kündigte meine Mutter zum 1. 10. 1920 und vermietete mich als Kindermädchen an den Bauern Wilhelm Fromm in Rühstädt. Ich erhielt ebenfalls 20,- Mark monatlich bei freier Kost und Wohnung. Geschlafen habe ich auf dem Kellerboden, ein kleiner Raum, in dem nur ein Bett und eine Kommode Platz hatten. Der Raum war nicht heizbar. Hier blieb ich 2 1/2 Jahre und hatte nicht so schwere Arbeiten zu verrichten, sondern beschäftigte mich mit den kleinen Kindern. Ich wurde gut behandelt, das Essen war gut und reichlich. Krank bin ich nie gewesen. Zu Weihnachten gab es kleine Geschenke, meistens Bettwäsche für die Aussteuer und Arbeitskleidung. Da ich nun älter wurde, wollte ich mich verändern. Im Jahre 1923 nahm ich die Stelle bei dem Bauern Paul Zacher in Gnevsdorf als Grootdeern an. Hier bekam ich nach der Inflation 40,- Mark monatlich bei freier Kost und Wohnung. Dafür mußte ich auch alle anfallenden Arbeiten verrichten. Zacher hatte einen Hof von 25 ha Wiesen und Acker, 6 Milchkühe, viel Jungvieh und Pferde. Ein Knecht wurde nur zeitweise beschäftigt. Auf dem Hof arbeitete der Altsitzer, der Vater des Bauern, kräftig mit. Im Sommer bei der Ernte wurden noch Saisonkräfte beschäftigt. Es gab Frauen im Dorf, deren Männer auf Schiffahrt oder beim Wasserstraßenamt als Buhnenarbeiter beschäftigt waren. Diese Frauen arbeiteten als Tagelöhnerinnen bei den Bauern. Sie erhielten dafür eine oder mehrere Kaveln Kartoffelland zur selbständigen Bewirtschaftung. Der Arbeitsablauf war jeden Tag gleich. Im Sommer mußte ich um 5.00 Uhr aufstehen, den Hofhund in den Hundewagen einspannen und zum Melken zur Koppel gehen. Es waren 6 Milchkühe morgens und abends zu melken. Nach der Rückkehr wurde die Milch durchgesiebt, ein Teil wurde mit der Zentrifuge entrahmt zur Butter- und Käseherstellung, der größte Teil ging in die Molkerei. Die Milchkannen wurden vor dem Haus abgestellt, vom Milchkutscher abgeholt und zur Molkerei nach Abbendorf gefahren. Im Sommer kam der Milchkutscher morgens und abends, im Winter nur morgens. Mit der Magermilch wurden die Schweine und kleinen Kälber gefüttert. Die Schweine und das Federvieh fütterte meistens die Bäuerin selbst.

Im Winter war das Vieh im Stall, da konnte ich eine halbe Stunde länger schlafen. Zuerst wurde der Kuhstall entmistet und die Kühe frisch eingestreut, dann wurde gemolken. Nach dem Füttern des Viehs gab es das erste Frühstück. Es war jeden Tag die gleiche Arbeit mit dem Vieh, ob Sonntag oder Feiertag, das Vieh mußte immer versorgt werden. Einen arbeitsfreien Tag gab es selten, nur zu bestimmten wichtigen Anlässen, Urlaub gab es gar nicht. Die weitere Arbeit richtete sich nach der Jahreszeit und dem Wetter. Im Sommer mußte geheut werden, es wurden 40 bis 50 Fuder Heu eingefahren. Ich habe jedes Fuder geladen und mußte auch beim Abladen auf dem Heustall helfen. Das Getreide wurde schon mit dem Ableger gemäht und in Garben abgelegt, die aufgebunden und in Stiege aufgestellt werden mußten. Das Getreideladen und abladen helfen in der Scheune war ebenfalls meine Arbeit. Die nächste Arbeitsspitze war die Hackfruchternte, wo jeder tüchtig mit anpacken mußte. Bei der Kartoffelernte halfen die Frauen aus dem Dorf. Es wurde ausschließlich mit der Hand gerackt und die Kartoffeln in Säcke geschüttet.

Im Winter wurde es ruhiger im Dorf. An den langen Winterabenden kamen die Dienstmädchen aus dem Dorf abwechselnd bei einer Bäuerin zusammen, brachten ihr Spinnrad mit, und es wurde gesponnen oder andere Handarbeiten gemacht. Dabei wurde viel erzählt und Heimat- und Küchenlieder gesungen. Diese Zusammenkünfte gingen reihum. Wenn der Spinnabend bei meiner Bäuerin war, backte sie Pfannkuchen, und jedes Mädchen erhielt zwei Pfannkuchen und eine Tasse Kaffee. Bei manchen Bauern waren im Winter Webstühle aufgestellt, und ich lernte außer stricken und spinnen auch weben.

Mein Dienstherr, der Bauer Paul Zacher, war ein passionierter Jäger. Er hatte die Jagdberechtigung der Gnevsdorfer Feldmark gepachtet. Die Feldmark war ca. 500 ha groß und wurde jedes Jahr öffentlich meistbietend versteigert und kostete rund 1.000,- Mark und manchmal noch mehr im Jahr. So wie es seine Zeit erlaubte, ging der Bauer mit seinem Gewehr zur Jagd und schoß Rehe, Hasen und Wildenten.

Daher gab es immer viel Wild zu essen bei uns. Jedes Jahr kurz vor Weihnachten wurde Treibjagd angesetzt, und alle befreundeten Jäger aus der Umgebung waren eingeladen. Von den Treibern und Jägern wurden große Kessel gebildet und das darin befindliche Wild abgeschossen. Jeder Treiber erhielt als Lohn einen Hasen, und jedermann konnte sich noch einen Hasen für 5,- Mark kaufen. In guten Jahren wurden 100 bis 200 Hasen abgeschossen. Die Treibjagden endeten mit einer großen Feier in der Gaststätte mit Essen und Trinken, und jedermann war eingeladen. In Gnevsdorf wurde in jedem Jahr ein Erntefest gefeiert. Die Knechte und Mägde fertigten eine Erntekrone an, die mit Girlanden und Schleifen geschmückt war. Der älteste Knecht oder das Dienstmädchen, welches am längsten bei einem Bauern in Stellung war, durfte die Erntekrone tragen und damit den Umzug im Dorf anführen. Diese Ehre ist auch mir einmal zuteil geworden, und ich durfte im Jahre 1925 die Erntekrone tragen. Zum Erntefest waren alle Einwohner geladen, die in der Landwirtschaft geholfen hatten. Die Bauersfrau trug den großen Korb mit Kuchen zur Gaststätte, und dort wurde Kaffee gekocht. Jeder Bauer saß mit seinen Leuten am Tisch und es wurde gegessen, getrunken und getanzt bis spät in die Nacht.

Während meiner Dienstzeit in Gnevsdorf lernte ich meinen Mann kennen. Otto Breddin, im Jahre 1900 geboren, stammte aus einer kinderreichen Familie aus Quitzöbel. Auch er wurde nach seiner Konfirmation mit 14 Jahren als Lüttknecht vermietet. Im Jahre 1922 kam er als Großknecht zu dem Bauern Friedrich Blum nach Gnevsdorf. Dies war ein Betrieb von 40 ha, und Blum beschäftigte zwei Knechte und zwei Mägde. Otto verdiente auch 40,- Mark monatlich. Der 1. Knecht hatte die Aufgabe, die Pferde zu füttern, zu putzen und die Pferdeställe auszumisten. Der 2. Knecht hatte den Kuhstall zu versorgen, mußte die Kühe füttern, putzen und die Ställe saubermachen. Die Dienstmädchen mußten melken. Blum hatte 10 Milchkühe und etwa 30 Kopf Jungvieh und 8 bis 10 Pferde.

Während die Dienstmädchen im Wohnhaus des Bauern in einer Kammer wohnten, mußten die Knechte in der Zelle wohnen und schlafen. Sie kamen nur zum Essen in die Küche des Bauern. Die „Zelle“ war ein abgeteilter Raum zwischen Kuhstall und Pferdestall mit einer Stalltür davor. Zwei Betten übereinander, ein kleiner Tisch, zwei Schemel und ein Schrank waren das Mobiliar. Gewaschen haben sich die Knechte an der Hofpumpe. Die Wäsche wurde zwar mitgewaschen, aber ausgebessert wurde sie nicht. Dazu mußte sich der Knecht eine Frau suchen, die diese Arbeiten übernahm, falls er keine Mutter hatte.

Wenn die Dienstboten willig und fleißig waren, war das Verhältnis zwischen den Bauersleuten und den Dienstboten gut. Der Bauer redete seine Leute mit „Du“ an, während die Knechte und Mägde „Sie“ sagen mußten. Das Essen war bei den meisten Bauern gut. Gegessen wurde in der großen Küche an einem Tisch mit der Herrschaft zusammen. Jeder hatte immer am selben Platz zu sitzen. Das Essen wurde von der Bäuerin gekocht. Die Mägde gingen ihr zur Hand und lernten so nebenbei auch das Kochen. Der Lohn wurde monatlich gezahlt. Bei besonderen Anlässen gab es Trinkgelder, wenn zum Beispiel ein Pferd verkauft wurde, gab es 5,- Mark, bei einer Kuh oder tragenden Sterke 3,- Mark „Schwanzgeld“.

Das religiöse Leben war jedem freigestellt. Tischgebete waren nicht üblich. In der Kapelle in Gnevsdorf war etwa alle 4 bis 6 Wochen Gottesdienst. Wer hingehen wollte, konnte hingehen, einen besonderen Platz hatte niemand in der Kapelle. Mit politischen Fragen sind wir als Dienstboten nicht konfrontiert worden. Um Politik haben wir uns nicht gekümmert. Die Bauern waren deutschnational / konservativ eingestellt, und somit waren wir es auch. Es galt der Grundsatz: Wessen Brot ich esse, dessen Lied ich singe. Ich mußte hart und schwer arbeiten als Dienstmädchen, aber wenn ich so zurückdenke, kommt es mir gar nicht mehr so vor. Es gab auch viele vergnügliche Stunden und viel Gemütlichkeit. Es war keine Hetze und kein Streß. Fleißige und anständige Dienstmädchen waren ebenso angesehen im Dorf wie die Söhne und Töchter der Bauern. Ich hatte nie das Gefühl, ein Mensch zweiter Klasse zu sein.

Im Jahre 1926 haben wir geheiratet. Wir zogen nach Rühstädt, wurden Gutsarbeiter und erhielten eine Arbeiterwohnung, die zuerst noch klein war. Aber der Gutsbesitzer ließ ein neues Wohnhaus mit Stallgebäude bauen, und mein Mann und ich konnten dort einziehen und mietfrei wohnen. Ich wohne noch heute in dem Haus, es ist bei der Versiedlung des Gutes in unser Eigentum übergegangen. Mein Mann wurde Gespannführer und hatte vier Pferde zu versorgen. Im Sommer mußte er um 5.00 Uhr die Pferde füttern und putzen, um 7.00 Uhr wurde angespannt zur Feldarbeit - pflügen, eggen, säen und dergleichen. Von 12.00 bis 14.00 Uhr war Mittagsstunde, die Pferde wurden gefüttert, und dann wurde wieder angespannt und geakkert bis 19.00 Uhr. Die Arbeit auf dem Gut teilte der Inspektor ein. Er hatte noch zwei Verwalter (Eleven) zur Seite, die die Arbeiter auf den Feldern beaufsichtigten.

Ich wurde als Tagelöhnerin auf dem Gut beschäftigt und habe alle anfallenden Arbeiten verrichtet. Im Sommer Heu und Getreide laden, Kartoffeln racken usw. In der Waschküche habe ich gearbeitet, beim Brotbacken geholfen, im Milchkeller habe ich die Milch für die Arbeiter ausgegeben. Ein Teil des Lohnes bestand aus Naturalien. Mein Mann erhielt als Deputat: 1.) Mietfreie Wohnung, Reparaturen am Haus oder der Wohnung wurden von betriebseigenen Handwerkern kostenlos ausgeführt; 2.) Fünf Meter Holz und 20 Zentner Kohlen jährlich; 3.) Drei Zentner Getreide monatlich und 4.) täglich 3 Liter Milch. Wieviel Bargeld verdient wurde, ist mir entfallen, es war auch jahreszeitlich verschieden, je nach den anfallenden Arbeiten.Von den Sonderprämien und Akkordlöhnen weiß ich noch einiges. Beim Heu- und Kornladen waren zwei Frauen auf dem Wagen, um das Heu bzw. das Korn richtig zu stapeln. Für jedes Fuder Heu gab es 20 Pfennig, und für jedes Fuder Korn 10 Pfennig für jede Frau extra zum sonstigen Lohn. Beim Kartoffelrakken mit der Hand gab es für einen Korb mit 35 kg Inhalt 12 Pfennig. Wenn die Ernte schlecht war und es weniger Kartoffeln gab, wurden 15 Pfennig bezahlt.

Wenn ein Arbeiter krank wurde und zu Hause bleiben mußte, gab es keinen Lohn und soviel ich weiß auch kein Krankengeld. Falls ein Arzt benötigt wurde, bezahlte die Gutsverwaltung bzw. die Krankenkasse die Kosten. Ich hatte einmal eine komplizierte Geburt, und die Hebamme ließ einen Arzt holen, da mußte ich 30,- Mark zuzahlen. Die normalen Geburten versorgte die Hebamme im Dorf, und das kostete nichts. Einige Wochen nach der Geburt habe ich wieder gearbeitet. Es war jedem selbst überlassen, wann eine Frau nach der Geburt eines Kindes wieder zur Arbeit kam.

Von 1926 bis 1945 haben mein Mann und ich auf dem Gut gearbeitet. Wir haben zwar keine Reichtümer ansammeln können, aber schlecht ist es uns auch nicht gegangen. Politisch haben wir uns nicht betätigt. Der Gutsbesitzer war deutschnational eingestellt, und danach richtete sich das ganze Dorf. Die Nationalsozialisten hatten nicht viel Anhänger im Dorf. Besondere Sitten und Gebräuche gab es nicht auf dem Gut. Es wurde jedes Jahr ein Erntefest mit der Gutsherrschaft zusammen gefeiert. Außerdem veranstaltete der Kriegerverein ein Schützenfest im Sommer und einen Kriegerball im Winter. Wir waren überall eingeladen und machten alles mit.

Im Herbst 1945 wurde das Gut aufgesiedelt, und wir bekamen eine Vollsiedlung, 3 ha Acker und 3 ha Wiesen. Bis zur Gründung der LPG haben wir selbständig gewirtschaftet. Im Jahre 1958 wurden wir Mitglied der LPG, bis zur Erreichung des Rentenalters haben wir nun in der LPG gearbeitet. Mein Mann hat auch darüber hinaus noch mit ausgeholfen, soweit es in seinen Kräften stand.
Seite 134
Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Prignitz 5 (2005)


zum Anfang nach oben