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[Ursula Andreuzzi] München, den 24. Juni 1968

Liebe Frau Hartwig!

Es wird wieder mal Zeit, daß ich von mir hören lasse, finden Sie doch auch?! Eigentlich wollte ich bis zu Ihrem Geburtstag damit warten, aber ich habe auch Sachen zu erzählen, die nicht auf den Geburtstagstisch passen oder vielmehr gehören. Vielleicht haben Sie es auch schon von anderer Seite gehört, wie es ja manchmal der Fall ist, daß Frau Rey am 28 .April verstorben ist. Sie schrieb mir eine Woche davor noch eine Karte und teilte mir mit, daß sie wieder einmal ins Krankenhaus müßte, um sich einer dritten Schilddrüsenoperation zu unterziehen, sie müsse es machen lassen, weil sie sonst erstickt. Die Luftröhre wäre fast schon zu. Sie hatte große Angst davor und man sah es ihrer Schrift auch an. Ich hatte seit Weihnachten nichts mehr von mir hören lassen, wir sahen uns mal kurz zwischen den Festtagen, hatte auch ihren Geburtstag am 18. März vergessen. Leider schrieb ich nicht sofort, sondern richtete es so ein, daß der Brief nach der Operation eintraf, um Sie zu erfreuen, denn vorher hat man ja sowieso keinen Sinn für andere Sachen. So viel ich heraus gehört habe, hat sie es aber gar nicht mehr mitbekommen. Sie ist am Dienstag operiert worden, die Operation gut verlaufen, beste Medikamente bekommen, aber sie hatte keinen Lebenswillen mehr. Bekam eine Lungenentzündung dazu, brachte nicht mehr die Kraft auf tief durchzuatmen, und abzuhusten. Walter schrieb uns zweimal aus dem Krankenhaus, er saß an ihrem Bett und gab ihr alle 1/2 Stunde Sauerstoff. In der Nacht vom Samstag zum Sonntag, den 28.4., um 3.15 Uhr war sie dann erlöst.

Montag hatten wir das Telegramm mit dem Beerdigungsdatum. Am 2. Mai um 11.15 in Trier. Wir hatten lange hin und her überlegt, aber es war uns doch zu teuer für einen Tag. Wir sagten uns, daß Walter bestimmt das Haus voll hat und wir somit ins Hotel gehen müßten, wenn wir am 1. Mai gefahren wären, es war auch ganz gut so, wie wir später erfuhren. Die Berliner Knut und Lothar waren mit der Tante gekommen, glaube auch Knut' s Frau. Lothar ist seit März auch verheiratet und die Frau bekommt in Spätherbst ein Baby. Walter schickte am Dienstag ein Brieftelegramm an Wolfgang in Kanada, damit er wenigstens am Beerdigungstag die Nachricht in den Händen hatte. Als sie am Mittwoch nachmittags am Kaffeetisch saßen, die Berliner waren bereits anwesend, klopfte es und Wolfgang stand in der Tür. Die Post hatte nachgeschaut, ob er Telefon hatte, was nicht der Fall war, da hat sie kurzerhand die Hauswirtin benachrichtigt, die von der jungen Frau Rey die Telefonnr. besaß. Marianne wurde verständigt, die wiederum ihren Mann anrief. Er sofort zum Meister, der ihm sogar anbot ihm mit Geld auszuhelfen, Wolfgang ab zum Flughafen ohne Papiere und als er in Frankfurt aus dem Flugzeug stieg, wurde sein Name aufgerufen, da lagen bereits seine Behelfsausweispapiere und Aufenthaltsgenehmigung für 14 Tage bereit. Es hat ihn 3000.— DM gekostet, aber darauf pfiff er. Ich meine die Reise - nicht die Papiere!

Wir selbst machten folgendes: Wir buchten zu Pfingsten eine fahrt an den Rhein-Mosel, mit unseren Münchner Volksreisen, bei denen wir ja schon Stammkunden sind und fuhren am Samstag früh um 6.30 hier los, durch den Spessart, an Frankfurt und Wiesbaden vorbei nach Rüdesheim wo wir nach 3 Stunden Aufenthalt von einem Rheindampfer nach Ehrenbreitstein Koblenz gebracht wurden. Abends trafen wir uns mit Winfried und seiner Frau Johanna. Meine Tante aus Nassau konnte nicht kommen, da es ihr so schlecht geht, sie ist ja jetzt auch schon 84 Jahre alt. Am 1. Feiertag gings dann an der Mosel entlang nach Trier. Dort hatten wir ebenfalls 3 Stunden Aufenthalt und trafen uns mit Herrn Rey. Zuerst machten wir einen Besuch an Lenchens Grab und fuhren dann anschließend nach Issel, um uns das Haus anzusehen. Es sind ja sehr kleine Räume und ich kann mir denken, daß das für Lenchens Zustand nicht grade das Ideale war. Aber Walter hat eine Lebensaufgabe damit übernommen, was es da noch alles zu werkeln gibt! Für ihn grad das Richtige, um sich abzulenken. Ich war so froh, daß es unsere Zeit erlaubt hatte, noch zu ihm zu fahren denn er ist doch recht verzweifelt und so entsetzlich allein. In Berlin hätte er noch die Kinder und Verwandten. Es ist ihnen doch genau so ergangen wie uns hier. Man hat nur die Kollegen und privat ist man allein. –

Mit der Stelle, die mein Mann im Januar antrat, hat es sich so entwickelt, wie er es schon vorher geahnt hatte, es war unmöglich die Forderungen zu erfüllen, die von seiten der neuen Chefs gestellt wurden und somit verlief die Sache im Sande. Seit Mai ist mein Mann nun bei Rodenstock-optische Werke, uns schräg gegenüber. Es ist nicht das, was er sich erträumt hatte, aber alle anderen Versuche schlugen fehl, ob das nun Berlin, Düsseldorf oder Köln war, Absagen über Absagen. Mit 53 Jahren zählt man heutzutage schon zum alten Eisen. Alles will junge Leute. "Wir sind ein junges Team"! hieß es oftmals. Auch das Arbeitsamt konnte da nicht helfen. Den Job, den er jetzt inne hat, ist, wie ich schon sagte nicht der idealste, aber es gefällt ihm trotzdem, und das ist ja die Hauptsache. Das schönste an der ganzen Sache ist die Arbeitszeit, nämlich von 7 - 15.45, freitags von 7 - 15.30 und Samstags frei. 12 Minuten Brotzeit und 1/2 Stunde Mittag - in der Kantine für DM 1.-- Essen. Ich bin dadurch nun wieder nachmittags frei, muß mich aber beeilen, falls ich einen Einkaufsbummel mache, denn kurz nach 3/4 4 Uhr ist mein Mann ja schon zu Hause, während ich, bei Halbtagsarbeit erst um 2 Uhr zu Hause bin, da ich ja erst um 8.30 Uhr anfange. Durch diese ganze Misere haben wir bisher wenig Fahrten unternommen, erst seit Mai haben wir nun wieder Schwung in die morschen Knochen bekommen. Mit Urlaub ist es in diesen Jahr nun nichts. Ich werde allerdings im Herbst für eine gute Woche nach Berlin kommen. Tante Frieda fühlt sich nämlich gar nicht und will nur bis Berlin kommen, um ihren diesjährigen WestUrlaub dort zu verbringen.

Ich muß erst einmal hören, ob Silvia zu ihrem Geburtstag dort sein wird, denn Gerhard war über 3 Monate krank und sie wußten nun noch nicht, wann er Urlaub nehmen kann. Wenn ich nach dort komme, will ich ja, daß ich alle antreffe. Daher kann ich also jetzt noch gar nichts bestimmtes sagen. Anfang Oktober sind wieder Aldo und Ingrid in Urlaub. Ich möchte auch zu einer Zeit hin, wo ich mich nicht um die Öfen zu kümmern brauche, sonst geht mir zuviel Zeit verloren. ––

Und wie sieht es nun bei Ihnen aus? Was gibt es Neues? Wo werden Sie Ihren Urlaub verbringen? Mit Winfried? Oder werden Sie in unsere Gegend kommen? Dann ist doch noffenlich auch ein Besuch bei uns mit eingeplant, oder? –

Ich vergaß noch zu sagen, daß wir nach unserem Besuch in Trier, abends noch nach Nassau fuhren und meine Tante besuchten. Ich hätte mir schwere Vorwürfe gemacht, so nahe bei ihr zu sein und nicht mitranzufahren. Am 2.Feiertag gings dann über Heidelberg - 3 Stunden Aufenthalt - nach hier zurück. Wir waren von der ganzen Fahrt hellbegeistert. Am 15.-17. waren Aldo und Ingrid bei uns und wir feierten mit Ingrids Eltern und Verwandten ihren 3.Hochzeitstag. über Ostern war Silvia bei uns und da sie am Mittwoch vor dem Fest zu uns kam, überraschenderweise, und wir bereits eine Fahrt nach Bayr. Eisenstein/Bayr.Wald gebucht hatten, kam sie mit uns. Es waren herrlich Tage gewesen. Gerhard ist gestern 30 Jahre alt geworden.

In der Hoffnung auch mal wieder etwas von Ihnen und Ihrer Familie zu hören verbleibe ick mit den allerherzlichsten Grüßen, auch von meinem Mann.

Ihre Ursula Andreuzzi

Sivia hat Telefon: 730749, Dienstags und Donnerstags zu Hause und Montags vormittags.


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