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Wortmeldungen des Abgeordneten Emil K. Hartwig: [1] - [2]

Wir kommen zum nächsten Gegenstand der Tagesordnung, zur zweiten Beratung des von den Abgeordneten Crispien und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes
(Nr. 4203 der Drucksachen).
Mündlicher Bericht des 11. Ausschusses
(Nr. 4768 der Drucksachen).

Berichterstatter: Abgeordneter Soldmann (Franken).
Als Kommissare sind angemeldet:
Ministerialdirektor Dr. Popttz,
Ministerialräte Kuhn, Dr. Dorn, Dr. Zarden,
Oberregierungsrat Dr. Pissel,
Regierungsräte Vogt, Weltzien, Dr. Rosenbauer.

Zur Geschäftsordnung hat das Wort der Herr Abgeordnete Dr. Curtius.

Dr. Curtius, Abgeordneter: Meine Damen und Herren! Ich möchte bitten, erst darüber Beschluß zu fassen, ob wir heute die zweite Lesung der gesamten Steuergesetze erledigen wollen. Wir haben bisher die gesamten Gesetze zusammen behandelt, und wir möchten sie auch zusammen verabschieden. Ich halte es nicht für richtig, etwa in die Beratung des Einkommensteuergesetzes allein einzutreten, ohne daß wir darüber klar sind, daß wir die gesamten Steuergesetze heute in zweiter Lesung verabschieden.

Präsident: Das läßt sich geschäftsordnungsmäßig schlecht machen, weil das Haus in einem späteren Stadium auch wieder einen andern Beschluß fassen kann, als wir ihn im Augenblick fassen.

Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Koch (Weser).

Koch (Weser), Abgeordneter: Ich bitte dringend, mit der Beratung der Steuergesetze zu beginnen. Wir sind bereit, sie auch zu Ende zu führen. Aber irgendein Versprechen darüber abzugeben, ist ganz unmöglich, da wir gar nicht wissen, wie die Mehrheit sich vielleicht nach 3 oder 4 Stunden zu der Sache stellen wird, wenn es so lange dauern sollte. Wenn man versuchen will, die Geetze noch zu verabschieden, ist es das beste, alsbald in die Beratung einzutreten.

Präsident: Einen solchen Antrag, wie er gestellt war, kann ich nicht zur Abstimmung bringen. Ich könnte höchstens über einen Antrag abstimmen lassen, die Verhandlungen jetzt abzubrechen; aber ein solcher Antrag ist nicht gestellt. Wir müssen versuchen, soweit wie möglich in der Beratung voranzukommen.

Das Wort hat der Berichterstatter, Herr Abgeordneter Soldmann (Franken).

Soldmann (Franken), Abgeordneter, Berichterstatter:

Das seit dem 1. Juli 1920 in Kraft befindliche Einkommensteuergesetz ist- bereits sechsmal einer Abänderung unterzogen worden, das letztemal im Dezember 1920.

8614 Reichstag. — 252. Sitzung. Sonnabend den 15. Juli 1922.
(Soldmann (Frankens Berichterstatter.)

Bereits ein im Mai dieses Jahres eingebrachter Antrag Crispien, der dem Reichstage unter Nr. 4203 der Drucksachen zugegangen war, war Anlaß, erneut in eine Beratung über die Änderung des Einkommensteuergesetzes einzutreten. Es möge mir gestattet sein, von dieser Stelle aus hervorzuheben, daß sämtliche Parteien des Hauses im 11. Ausschuß den Standpunkt einnahmen, daß eine Änderung des Einkommensteuergesetzes notwendig sei.

Von seiten des Reichsrats hat der Vertreter Bayerns, und zwar in Gemeinschaft mit andern Vertretern der größeren Länder des Reichs, darauf hingewiesen, daß vom Standpunkt der Länder und Gemeinden gegen eine Änderung des Einkommensteuergesetzes durch Senkung der Steuertarife, vor allem aber gegen eine Rückwirkung dieser Maßnahmen erhebliche Bedenken erhoben werden müßten. Durch eine neue Änderung werde ihnen wiederum jeglicher Überblick über ihre Einkünfte auf absehbare Zeit unmöglich gemacht. Die Länder müßten es sich daher vorbehalten, gegen das Reich Ansprüche auf anderweitige Entschädigung für den ihnen und den Gemeinden entstehenden Ausfall an Einkünften zu stellen. Diesen Einwänden wurden von seiten des Vertreters des Reichsfinanzministeriums entgegnet, daß die Änderung des Tarifs eine wirtschaftliche Notwendigkeit sei, daß dagegen eine Rechtsgrundlage für die Erhebung von Ersatzansprüchen seitens der Länder und Gemeinden an das Reich nicht gegeben sei. Auch Mitglieder des Ausschusses haben sich dem Bedenken nicht verschlossen, daß es nicht ohne weiteres so ganz einfach läge, hier den Ländern und Gemeinden eine nicht unerhebliche Steuerquelle wegzunehmen. Dennoch hat sich der Ausschuß nahezu einstimmig auf den Standpunkt gestellt, daß eine Änderung des Einkommensteuergesetzes nicht mehr zu umgehen sei.

Die Änderungen, die nunmehr im Gesetz vorgenommen sind, betreffen in erster Linie den § 12. Dort ist eine ziemlich bedeutungslose Änderung vorgenommen, indem in Nr. 6 hinter den Worten „Orts- und Teuerungszulagen" die Worte „nebst Teuerungszuschüssen" angefügt sind. In Nr. 7 desselben Paragraphen ist ein Passus geschaffen, der besagt, daß Militärpensionen usw. künftig unbegrenzt steuerfrei sein sollen. Dies traf bisher nur bis zu einem Betrage von 8000 Mark zu.

Im § 13 sollen nach den Beschlüssen des Ausschusses in Abs. 1 Nr. 4 die Worte „hundert Mark" durch die Worte „eintausend Mark" ersetzt werden. Das betrifft die Beträge, die für Sterbekassen aufzuwenden sind. Im Abs. 1 Nr. 5 sollen die Worte „dreitausend Mark" durch die Worte „achttausend Mark" ersetzt werden, wobei es sich um die Lebensversicherungen usw. handelt.

Neu geschaffen ist ein § 5 a, und zwar auf Grund eines Antrages Merck, der in der ersten Lesung des elften Ausschusses abgelehnt, in der zweiten Lesung aber zum Beschluß erhoben wurde. Dieser Abs. 5 a lautet:
Spareinlagen bis zu einem Betrage von 8000 Mark jährlich, sofern die Rückzahlung des Kapitals nur für den Todesfall oder für den Fall des Erlebens innerhalb einer Zeit von nicht weniger als 20 Jahren vereinbart ist und die Vereinbarung unter Verzicht beider Vertragsteile auf eine Abänderung oder Aufhebung dem zuständigen Finanzamt angezeigt wird.

Dieser Antrag ist in zweiter Lesung, nachdem er in erster Lesung «belehnt war, angenommen worden. Neu ist ein Absatz § 13 Ziffer 6 a,, der die Religionsgemeinschaften, wie im Art. 137 der Reichsverfafsung vorgesehen ist, steuerfrei belassen will.

Eine redaktionelle Änderung von nicht weittragender Bedeutung hat die Nr. 7 des Abs. 1 erfahren, in der vor den Worten „Beiträge an inländische Vereinigungen" „einmalige und regelmäßige" eingefügt werden soll. Etwas unklar ist eine Bestimmung, laut Beschluß des 11. Ausschusses, daß ein Abs. 3 im § 13 angefügt werden soll, der da lautet:
Die Befreiungen des Abs. 1 Nr. 5 und Nr. 5 a. können nicht nebeneinander geltend gemacht werden.
Es wird dem durch einen Antrag Merck, der dem Hause jedenfalls noch unterbreitet werden wird, abgeholfen, und zwar dahingehend — das kann wohl auch ruhig vom Ausschuß empfohlen werden —, daß die Befreiungen nach Abs. 1, 5 und 5 a den Betrag von zusammen 8000 Mark nicht überschreiten. Das würde eine Klärung geben und irgend welche Irrtümer ausschließen.

§ 21 hat eine weitgehende Änderung erfahren. Ich will gleichzeitig bemerken, daß neben dem Antrag 4203 der Drucksachen auch im Ausschuß ein Ausschußantrag 407 Dr. Fischer (Köln), dann 410 vom Zentrum vorgelegen hat, die teilweise über den ursprünglichen Antrag Crispien hinausgingen, der 80000 Mark in ß 21 als Grundlage nehmen wollte, und zwar, soweit es den lOprozentigen Lohnabzug darstellt. Er wurde erhöht von 80000 Mark auf 100000 Mark und so fort, da die Antragsteller die Formulierung vom Mai als überholt bezeichneten. Dieser Antrag ist abgelehnt worden. An dessen Stelle ist der Antrag Fischer (Köln) zur Annahme gelangt.

In § 26 dreht es sich um das Existenzminimum.
Hier hat eine Erhöhung von 240 auf 480 für den Steuerpflichtigen und für seine nicht selbständig zu veranlagende Ehefrau stattgefunden, und zwar bis zu einem steuerbaren Einkommen von nicht mehr als 100000 Mark gegenüber bisher 50000 Mark, dann eine zweieinhalbfache Erhöhung des steuerfreien Existenzminimums für die Kinder. Hier betrug das steuerfreie Eristenzmininimum nach dem alten Gesetz 360 Mark. Es soll nach den Beschlüssen des Ausschusses 960 Mark für jedes zur Haushaltung des Steuerpflichtigen zählende minderjährige Kind, das nicht selbständig zur Einkommensteuer zu veranlagen ist, betragen, und zwar nicht nur wie bisher bei einem Einkommen von nicht mehr als 200000 Mark, sondern künftig von 300 000 Mark. Im Antrag Crispien wurde gefordert, daß Kinder bis zum 18. Lebensjahr mit abzugsfrei sein sollten. Wegen der technischen Schwierigkeiten, die von seiten der Vertreter der Regierung geltend gemacht wurden, ist der Antrag zurückgezogen worden.

Neu ist im § 26 ein weiterer Absatz, der die Not der Kleinrentner berücksichtigen soll. Künftig soll die Einkommensteuer um 2000 Mark für jene Steuerpflichtigen ermäßigt werden, die über 60 Jahre alt oder erwerbsunfähig oder nicht bloß vorübergehend behindert sind, ihren Lebensunterhalt durch eigenen Erwerb zu bestreiten, sofern das steuerbare Einkommen den Betrag von 50000 Mark nicht übersteigt. Es trägt dies einem Wunsch Rechnung, der von allen Parteien des Ausschusses als berechtigt anerkannt wurde. Die Bestimmung hat auch einstimmige Annahme gefunden.

Im Abs. 2 des § 26 soll die bisherige Zahl 80000 durch 200000 ersetzt werden. Hier handelt es sich um die Berücksichtigung besonderer wirtschaftlicher Verhältnisse. Im § 44 des Gesetzes soll es hinter den Worten „§ 9 Nr. 3" künftig heißen: „oder im § 11 Nr. 1". Der § 9 Nr. 3 bezieht sich auf Wartegeld und Ruhegehälter, Witwen- und Waisenpenstonen und andere Bezüge. Der § 11 Nr. 1 spricht von Leibrenten, Leibgedingen, zeitlichen und vererblichen Renten. Dieser Antrag ist auch einmütig gutgeheißen worden.

Zu § 44 Abs. 2 ist weiter beantragt worden, an Stelle der Worte „10000 Mark" „20000 Mark" und an Stelle der Worte „25000 Mark" „50000 Mark" zu setzen. Es handelt sich hier um die Anrechnung der

Reichstag. — 252. Sitzung. Sonnabend den 15. Juli 1922. 8615
(Soldmann (Frankens, Berichterstatter.)

Kapitalertragssteuer. Dies ist erstmalig im Gesetz vom 17. Dezember 1921 zur Berücksichtigung gekommen. Die Änderung des § 46 ist analog der zum § 26 und betrifft hier den zehnprozentigen Lohnabzug. Sie sieht die Höhersetzung des kleinen steuerfreien Existenzminimums vor. Hier findet dieselbe Verdoppelung statt wie in ß 26, und zwar sind die bisherigen Zahlen 20 für volle Monate auf 40, 4,80 für volle Wochen auf 9,60 Mark, 80 Pfennige pro Tag auf 1,60 Mark und 20 Pfennige für 2 volle Arbeitsstunden auf 40 Pfennige hinaufgesetzt worden.

Der Abs. 2 des § 46 sieht in seiner neuen Fassung auch bezüglich der minderjährigen Kinder vor, daß an Stelle von bisher 30 Mark für ein Kind 80 Mark pro Monat, gegen bisher 7,20 Mark pro Woche künftig 19,20 Mark, pro Arbeitstag bisher 1,20 Mark, künftig 3,20 Mark und für 2 Arbeitsstunden künftig 80 Pfennige statt bisher 30 Pfennige gesetzt werden.

Die Werbungskosten, d. h. die Abgeltung der Abzüge nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 bis 7, haben eine Verdoppelung erfahren, und zwar pro Monat von 45 auf 90 Mark, pro Woche von 10.80 auf 21,60 Mark, pro Tag von 1,80 auf 3,60 Mark und sür zwei Arbeitsstunden von 45 Pfennigen auf 90 Pfennige.

Auch der Satz, der eine Steuerreklamation zuläßt, mußte erhöht werden. Dies bedingt eine Änderung im Abs. 3 des 8 46 von 5400 auf 10800 Mark. Künftig soll nicht mehr bei einem Mehr von 450 Mark, sondern erst dann eine Reklamation zulässig sein, wenn die Beträge 1200 Mark mehr ausmachen.

Für diejenigen, die nicht in regelmäßiger Arbeit stehen, waren bisher 4 Prozent des verdienten Arbeitslohns als 10 prozentiger Lohnabzug vorgesehen. Dafür sollen 5 Prozent gesetzt werden.

Der § 48 erfährt eine Änderung dahingehend, daß die Zahl 50000 durch 100000 ersetzt werden soll. Es handelt sich hier um den Steuerabzug als solchen. In den Abs. 1 und 2 ist eine Änderung der Ziffern von 600 aus 1200 vorgesehen.

§ 49 betrifft die Veranlagung. Hier soll eine besondere Veranlagung künftig bis 100 000 Mark, bisher 50000 Mark, zulässig sein.

Neu ist der § 52o, der seine Fassung dahin erhält, daß die Träger der Reichsversicherung nach der Reichsversicherungsordnung und die Träger der Versicherung nach dem Versicherungsgesetz für Angestellte künftig den Finanzbehörden jedweden Aufschluß geben sollen, damit die obliegende Prüfung und Aufsicht erfolgen kann.

Ein Art. II wurde neu geschaffen, und zwar sieht er einen Ausgleich für jene vor, die das Reichsnotopfer voll bezahlt haben. Es ist dies ebenfalls ein einstimmiger Beschluß des Ausschusses.

Dann hat sich ein Art. III deswegen notwendig gemacht, weil der zehnprozentige Lohnabzug erst am 1. August in Kraft treten kann. Und zwar ist hier vorgesehen, daß anstatt 480 und 960 Mark 340 respektive 610 Mark gesetzt werden. Das ist notwendig, weil mitten im Jahre die Veränderung des Einkommensteuergesetzes erforderlich ist und jedenfalls auch vom Hause in diesem Sinne angenommen werden wird.

Dies wäre in großen Zügen das, was eine Änderung des Einkommensteuergesetzes bedeutet. Der Ausschuß empfiehlt dem Plenum, die eingegangenen Petitionen durch die Beschlußfassung über den Gesetzentwurf für erledigt zu erklären. Im großen und ganzen hat all das Berücksichtigung gefunden, was an Beschwerden und Eingängen teils von Lohn- und Gehaltsempfängern, teils aber auch von Kleinrentnern und sonstigen Bevölkerungsschichten zum Einkommensteuergesetz eingegangen ist.
(Bravo! links.)

Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hartwig.

Hartwig, Abgeordneter:

Meine Damen und Herren! Meine Freunde haben zu diesem Artikel einige Anträge gestellt, für die ich bitte Ihre Aufmerksamkeit nur wenige Zeit in Anspruch nehmen zu dürfen. Die Anträge wollen die Aufmerksamkeit des Hauses auf die brennende Not lenken, die gerade bei den kinderreichen Eltern heute vorhanden ist. Ich bin gewiß, daß ohne Unterschied der Partei unsere Anträge ein lebhaftes Echo im Reichstag finden werden.

Die Not der kinderreichen Eltern macht ja keinen Halt an irgendeiner Parteigrenze. Es ist doch klar zutage getreten, daß allen solchen Anträgen, gleichviel von welcher Seite des Hauses sie kamen, überall fast einstimmige Billigung zuteil wurde. So hoffe ich und meine Freunde, daß auch dieser Antrag Ihre Zustimmung findet. Wenn man sich vergegenwärtigt, wie stark heute der Wert des Geldes gefallen ist, daß die Kaufkraft des Einkommens kinderreicher Eltern sich mit jedem Zuwachs der Familie ungeheuer vermindert, wenn man sich vergegenwärtigt, wie irgendein Unglücksfall in der Familie solche kinderreiche Eltern wirtschaftlich zum Zusammenbruch bringt, dann muß man heute mehr wie je darüber nachdenken und nach Mitteln suchen, ihnen die Existenz zu ermöglichen.
(Sehr richtig! bei den Deutschnationalen.)

Daß gerade hier Hilfe notwendig ist, ergibt sich, wenn man überlegt, daß heute in Groß Berlin etwa 45 000 Familien sind, die man zu den kinderreichen, also mit mehr als vier Kindern, rechnen kann, und daß drei Viertel dieser 45 000 Eltern weit unter 100 000 Mark Einkommen haben. Wenn man sich vergegenwärtigt, was heute ein Familienvater oder eine Mutter bei fünf oder sechs Kindern im Jahre damit anfangen soll (lü bei der heutigen Entwertung des Geldes, wo die Teuerung in stetem Fortschreiten begriffen ist, wenn man weiter beachtet, daß jedes weitere Kind das Einkommen mit einem vielfachen an Umsatzsteuer, an Ausgaben aller Art belastet, so muß man anerkennen, daß das Steuerminimum, das wir hier festgesetzt haben, den kinderreichen Eltern die Existenz nicht garantiert. Helfen Sie den überlasteten Vätern und Müttern und nehmen Sie unsern Antrag, bei mehr als zwei Kindern in jedem Fall den Abzug um 20 Prozent zu erhöhen, an.

Der Reichstag muß vor allen Dingen einmal den kinderreichen Eltern praktisch den Beweis dafür liefern, daß die Reichsverfassung, die ja in verschiedenen Artikeln — ich richte Ihre Aufmerksamkeit auf die Artikel 119 und 155 — gerade den kinderreichen Familien eine „ausgleichende Fürsorge" bestimmt zusagt, auch in Anwendung gebracht Wird. Das ist bisher nicht in dem notwendigen Maße geschehen.

Es ist auch jetzt wieder im Ausschuß versucht worden, den Familien zu helfen. Aber ich möchte doch nochmals besonders betonen, daß hier Weiteres geschehen muß, um dem bei jedem Familienzuwachs sich vergrößernden Elend entgegenzuwirken. Darum möchte ich an Sie den Appell richten: seien wir doch, meine Damen und Herren, in dieser Frage im hohen .Hause nur eine Partei, helfen wir den kinderreichen Eltern! Es handelt sich wirklich um die Zukunft unseres Volkes, denn in unseren Kindern sehen wir letzten Endes die Hoffnung Deutschlands.
(Bravo! bei den Deutschnationalen.)

Präsident: Das Wort hat der thüringische Finanzminister Hartmann.

8616 Reichstag. — 252. Sitzung. Sonnabend den 15. Juli 1922.

Hartmann, thüringischer Finanzminister:

Meine Damen und Herren! Der Herr Berichterstatter hat schon darauf aufmerksam gemacht, daß in den Ausschußverhandlungen von seiten der Ländervertreter die schwersten Bedenken gegen die Anträge zum Einkommensteuergesetz und die daraus entstandene Vorlage vorgebracht worden sind. Ich halte mich für verpflichtet, im Aufträge der thüringischen Regierung noch einmal eingehend die ganzen Verhältnisse klarzulegen, die aus der Änderung des Einkommensteuergesetzes für Länder und Gemeinden entstehen müssen.

Die Ursache dieser Vorlage ist die Geldentwertung. Man sagt, das Einkommensteuergesetz muß der Geldentwertung angepaßt werden, damit es gerade für die Ärmsten nicht allzu hart wirken soll. Ich bin nun der Meinung, wenn man schon Steuern der Geldentwertung anpassen will, dann gibt es in Deutschland noch Steuern, die ungerechter wirken und die dann viel eher der Geldentwertung angepaßt werden müssen.

Ich will nur zwei herausgreifen. Wir haben die Kohlensteuer, die den Hausbrand für die Bewohner, auch für die allerärmsten, ganz außerordentlich belastet, und ich befürchte, daß, wenn die Kohlenverteuerung und die schlechte Belieferung so weiter geht, wie sie augenblicklich steht, wir in den Waldgegenden im kommenden Winter eine Katastrophe für unser kostbarstes Nationalvermögen, für unseren Waldbestand bekommen. Die Kohlensteuer ist im Jahre 1916 eingeführt, mit einem Prozentsatz von 20. Damals kosteten 10 Tonnen Braunkohlenbriketts, also des häufigst vorkommenden Brennstoffs, 160 Mark, einschließlich Steuern. Die Steuer betrug demnach damals etwa 27 Mark auf 200 Zentner. Im Juni dieses Jahres kosteten dieselben 200 Zentner, einschließlich Steuern, M) 7300 Mark.
(Hört! Hört! auf der äußersten Linken.)
[200zt sind umgerechnet 10t. wh]

Die Kohlensteuer beträgt 40 Prozent, das heißt, sie beträgt zurzeit nicht mehr wie damals 27 Mark, sondern 2100 Mark auf 200 Zentner.
(Hört! Hört! auf der äußersten Linken.)

Sie hat sich als versiebenundsiebzigfacht.
(Zuruf rechts: Steht denn das zur Debatte?)

— Ob das zur Debatte steht? Wir haben von den Ländern aus nachzuweisen, daß es Steuern gibt, die viel dringender der Geldentwertung angepaßt werden müssen als die Einkommensteuer.
(Zuruf rechts: Also Sie reden gegen die Reichsregierung!)

Dann möchte ich als zweites die Umsatzsteuer herausgreifen, die noch den Nachteil hat, daß sie die Kohlensteuer wieder mitbesteuert, daß sie ebenso auch alle anderen indirekten Steuern erhöht, die bereits auf Lebensmitteln und Verbrauchsartikeln ruhen. Die Umsatzsteuer ist 1916 mit 1/2 vom Tausend eingeführt; augenblicklich beträgt sie 20 vom Tausend, 2 Prozent, das ist eine Vervierzigfachung. Die Preise sind für alle Verkaufsartikel und Lebensmittel seit dem Jahre 1916, rund gerechnet, mindestens auf das Fünfzigfache gestiegen. Das beides zusammen bedeutet eine Verzweitausendfachnng der Umsatzsteuer seit dem Jahre 1916.

Meine Damen und Herren! Wir von der Thüringer Regierung sind der Meinung, daß es viel dringender wäre, eine solche Steuer der Geldentwertung anzupassen, das heißt, erheblich herabzusetzen, weil sie direkt ungeheuer verteuernd auf alle Lebensmittel und Produkte wirkt.

Wir haben auch sonst von Reichsbehörden Abgaben zu tragen, die viel schlimmer als die Einkommensteuer wirken. Ich will nur ein Beispiel bei der Eisenbahn herausgreifen. Ich fand in dem Betriebe, dem ich bis zum Oktober vorgestanden habe, ein Schreiben der Eisenbahndirektion vor, das eine Abgabe für eine kleine Tätigkeit neu festsetzt. Sie betrug 1920 50 Pfennige, 1921 1 Mark und vom 1. Juli dieses Jahres ab 63,50 Mark. Das ist eine Verhundertsiebenundzwanzig« fachung seit dem Jahre 1920.

Wir sehen also, daß nicht die Einkommensteuer allein eine solche Erhöhung infolge der Geldentwertung erfahren hat. Bei der Einkommensteuer liegt es so, daß, wenn jemand im Jahre 1916, zu der Zeit, für die ich die anderen Steuern angeführt habe, ein steuerbares Einkommen von 1800 Mark gehabt hat und jetzt ein solches von 60 000 Mark hat, nach den damaligen Steuersätzen in den einzelnen Ländern mit den Zuschlägen der Gemeinden bei einer Lohnverdreiunddreißigfachung eine 53 fache Steuer eingetreten ist, das heißt also, die Steuer ist nach dem jetzt geltenden Gesetz im Verhältnis zur Steigerung der Einkommen um reichlich 50 Prozent höher als 1916, der Geldentwertung angemessen.

Diese Last werden wir in Deutschland, wenn wir wieder hochkommen wollen, wahrscheinlich dauernd tragen müssen. Wir werden erheblich mehr Steuern zahlen müssen als vor dem Kriege. Dafür haben wir ja die ungeheuer viel höheren Lasten bekommen. Wenn man alles in Rechnung setzt, findet man aber, daß die Einkommensteuer nicht diejenige ist, die zuerst abgeballt werden muß.

Wenn man dann die zweite Frage auswirft, ob die Steuerherabsetzung den Steuerzahlern auch allgemeinen Vorteil bringen soll, so muß man zunächst sagen, daß eine allgemeine Erhöhung der steuerfreien Beträge und eine allgemeine Herabsetzung der Prozentsätze keinen Erfolg haben kann. Man kann nach meiner Überzeugung eine kleine Gruppe von Steuerpflichtigen herausnehmen, die besonders übel daran sind, und deren Sätze er- ^ mäßigen; dann wird man ihnen Vorteil bringen. Wenn man aber im allgemeinen allen Steuerzahlern die gleiche Ermäßigung gewährt, so bleibt zwar in allen Händen Geld in größerer Menge, aber die Waren, die Gebrauchsgüter, die Lebensmittel, die in Deutschland vorhanden sind, vermehren sich in keiner Weise. Lediglich die Geldvorräte vermehren sich, das Angebot des Geldes wird noch stärker gegenüber der vorhandenen Ware und eine allgemeine Verteuerung der Waren wird die Folge dieser Maßnahme sein. Aus diesem Grunde vor allem kann ich einer solchen allgemeinen Änderung nicht zustimmen.

Sie ist jetzt ganz besonders gefährlich. Die ganze Geschäftswelt ist von einer Nervosität erfaßt, daß derjenige, der im Wirtschaftsleben und im Handel Bescheid weiß, überzeugt ist, daß heute jeder Geschäftsmann, schon um sein Betriebskapital zu retten, so viel als möglich an Gewinn aufzuschlagen sucht, um die später zu kaufenden, viel teureren Waren noch bezahlen zu können. Wenn man also heute mehr Geld auf den Markt wirft, so sucht unter allen Umständen der Warenbesitzer dieses Geld möglichst rasch durch überteuerte Preise an sich zu ziehen.

Wenn man dann fragt, welche Wirkung die Änderung auf Länder und Gemeinden haben wird — die Einkommensteuer bildet heute das Rückgrat der Hapshalte der Länder und Gemeinden —, und wenn man sagt, die Erhöhung der Löhne und Gehälter in der Zukunft wird die Herabsetzung der Steuer schnell wieder ausgleichen, so bin ich der Meinung, das genügt absolut nicht; denn die Ausgaben, namentlich die laufenden, bei Ländern und Gemeinden haben sich seit dem Vorjahr? verdreifacht, vielleicht schon vervierfacht, wenigstens die meisten sachlichen Ausgaben. Gemeinden und Länder

Reichstag. — 252. Sitzung. Sonnabend den 15. Juli 1922. 8617
(Hartmann, thüringischer Finanzminister.)

müssen also nicht nur denselben Betrag an Steuern einbekommen, sondern sie müssen 3- bis 4 mal soviel einzunehmen suchen, wenn sie überhaupt ihren Haushalt ins Gleichgewicht bringen wollen.

Ich will Ihnen nicht im einzelnen an Zahlen nachweisen, wie ungeheuer schwierig für die einzelnen Gemeinden die ganze Änderung wirken muß; aber sie trifft die Gemeinden um so härter, weil sie heute mit den Ländern zusammen die Wohlfahrtspflege und namentlich die Fürsorge für jene unglücklichen Menschen übernehmenmüssen, die nicht imstande sind, ihr Einkommen zu vermehren, die nicht arbeitsfähig sind, die dem Elend preisgegeben sind, und der Herr Berichterstatter zu Punkt 3 der Tagesordnung hat ja ausgeführt, daß es die Ärmsten in Deutschland sind, die heute noch einer gewissen Armenfürsorge anheimgegeben sind. Es ist unbedingt notwendig, daß diese auf dem Wege der Wohlfahrtspflege versorgt werden und nicht durch die polizeimäßige Armenfürsorge. Wie soll das geschehen, wenn nicht Gemeinden und Ländern erheblich größere Einnahmen zufließen, als es bisher der Fall gewesen ist? Daneben sind es hauptsächlich die Kulturaufgaben, die in den Gemeinden und Ländern leiden müssen, wenn die Einnahmen weder vorn noch hinten reichen. Dazu kommt, daß wir gegenwärtig eine Anzahl Monate hinter uns haben, wo die Erwerbslosenfürsorge fast gar keine Aufwendungen notwendig gemacht hat. In dem Augenblick, wo eine Krise über uns hereinbricht, werden die Erwerbslosenziffern wieder steigen, werden die Gemeinden und Länder in noch schlimmere Zustände kommen.

Meine Damen und Herren! Ich könnte Ihnen von dem Elend der Gemeinden ein Lied singen. Ich bekomme zurzeit täglich Depeschen und Briefe, daß nicht nur Kulturfragen liegen bleiben müssen, sondern daß auch der Wohnungsbau seinem Bankrott entgegengeht.
(Hört! Hört!)

Der Kämmerer von Jena hat in diesen Tagen bekannt gemacht, daß die angefangenen 73 Kleinwohnungen zum Teil liegen bleiben müssen, weil die Gemeinde nicht mehr imstande ist, irgendwelche Mittel, auch nicht auf dem Anleihewege, zu beschaffen.
(Hört! Hört! bei den Sozialdemokraten.)

Ich habe drei Depeschen in zwei Tagen bekommen von größeren Gemeinden, namentlich in den Bergwerksgegenden, wo durch Zuzug der Familien die Kinderzahl gestiegen ist und neue Schulen gebaut werden müssen, zu denen wir den dritten Teil von Landes wegen beitragen. Diese Schulbauten müssen eingestellt werden, weil es den Gemeinden, auch nicht auf dem Anleihewege, auch nicht zu 7 Prozent Zinsen, gelingt, die Mittel dafür aufzubringen.
(Hört! Hört! bei den Kommunisten.)

So sieht es draußen aus. In dieses furchtbare Finanzelend der Gemeinden Paßt am allerschlechtesten eine solche Entziehung von Einnahmen hinein, wie sie durch diese Gesetzesänderung vorgesehen ist. Ich sehe mit Schrecken den Tag kommen, wo die Gemeinden vor der Frage stehen: was soll werden? wo sie dahin kommen, daß sie städtische und gewerbliche Arbeiter in größerer Zahl entlassen müssen, weil sie nicht mehr bezahlt werden können, und wo sie vielleicht auch die Gehälter für Beamte und Angestellte nur noch in beschränktem Maße werden zahlen können.

Nun wundert es mich ja immer — das hat mich schon bei der Ermäßigung vom 20. Dezember gewundert —, daß die Städteverbände und ebenso auch die Beamtenorganisationen gerade die Reichssteuergesetzgebung nicht besser verfolgen. Ich bin der Ueberzeugung: je knapper die Einnahmen fließen werden, desto früher werden gerade diese Körperschaften auch die Schwierigkeiten empfinden, die für den Mangel an Kapital und an Einnahmen bei den Gemeinden und Ländern zutage treten müssen.

Nun wird ja gesagt, daß der Einnahmeausfall bald ausgeglichen sein wird. Damit ist aber nichts geholfen. Denn die Gemeinden und Länder brauchen eben das Drei- bis Vierfache von früher. Das ist dann nicht zu schaffen. Schuld daran ist aber dann, daß das Reich jede Möglichkeit -er direkten Besteuerung genommen hat. Es geht auf die Dauer nicht an, daß der Reichstag den Ländern und Gemeinden Einnahmen wegstreicht, ohne Ersatz oder auch nur die Möglichkeit eines Ersatzes zu schaffen. Wenn in dieser Beziehung auf die Änderung des Landessteuergesetzes verwiesen wird, so weiß ich im voraus, daß das Reichsfinanzministerium ein sehr starkes Rückgrat gegen die Forderungen der Länder und Gemeinden bei den kommenden Verhandlungen haben wird. Es wird dann für die Länder und Gemeinden auf keinen Fall ein Ersatz für das, was ihnen jetzt genommen wird, herauskommen. Deshalb muß in Zukunft, wenn so einschneidende Steuergesetze und Gesetzesänderungen vorgenommen werden, mit den verantwortlichen Ministerien der Länder und den Vertretern der Städteverbände verhandelt werden. Erst dann, wenn auf diese Weise eine Einigung herbeigeführt ist, dürfen solche Änderungen vorgenommen werden.

Ich fasse mich dahin zusammen: Die Einkommensteuer ist nach meiner Überzeugung die ehrlichste ungerechteste Steuer. Diese sollte jeder lieber zahlen als irgendwelche indirekten Steuern — diese Bitte richte ich besonders an die Linksparteien —, durch die die ärmere Bevölkerung am härtesten und ungerechtesten betroffen wird.

Ferner betone ich noch einmal: eine Ermäßigung für alle Steuerzahler nützt der großen Masse nichts, weil sie unabänderlich zur Verteuerung der Waren führen muß, eine weitere Geldüberfüllung auf dem Markt erfolgt und so im großen und ganzen zu weiterer Geldentwertung und weiterem Notenumlauf führt. Den Ländern und Gemeinden werden damit die dringendst benötigten Einnahmen eingeschränkt, und so ihre Zahlungsunfähigkeit beschleunigt.

Ich habe die Empfindung, daß sich alle Parteien bei dieser Vorlage viel zu sehr von ihrem guten Herzen leiten lassen. Gewiß weiß jeder von uns, daß, wenn ein Familienvater mit soundso viel Kindern von seinem Lohn einen erheblichen Steuerbetrag abliefem soll, der Mann das als ungerecht empfindet, und daß man ihm gern helfen möchte. Ob dieser Weg aber der richtige ist, das bestreite ich ganz entschieden. Sie glauben auch, mit ihrem guten Herzen durch größere Berücksichtigung der ganzen sozialen Verhältnisse der Familie auf diesem Wege helfen zu können. Ich bestreite, daß das möglich ist.

Ich möchte deshalb den Reichstag dringend bitten, solange für Länder und Gemeinden für den Einnahmeausfall, der durch diese Änderungen herbeigeführt wird, kein Ersatz geschaffen ist, diese Vorlage abzulehnen.

Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kahmann.

Kahmann, Abgeordneter:

Meine Damen und Herren! Wir haben volles Verständnis für die ungemein schwierige Lage, in der sich Länder und Gemeinden befinden, und wünschen aus dem Grunde, daß, wenn wieder an der Einkommensteuer Veränderungen

8618 Reichstag. — 252. Sitzung. Sonnabend den 15. Juli 1922.
(Kahmarm, Abgeordneter.)

vorgenommen werden, das Reichsfinanzministerium vorher Veranlassung nimmt, mit den Ländern und den kommunalen Körperschaften engere Fühlung zu nehmen und zu prüfen, wie den berechtigten Wünschen entgegengekommen werden kann. Gewiß war Eile geboten, aber durchaus nicht so große Eile, daß die in Betracht kommenden Wünsche nicht einmal angehört werden konnten. So bleibt uns nach dem durchaus berechtigten Klagelied, das uns hier vorgesungen worden ist, nur übrig, eine Regelung im Landessteuergesetz, und zwar bald, vorzunehmen und nach Auswegen zu suchen, wie den berechtigten Wünschen der Länder und Gemeinden, soweit es die Finanzverhältnisse des Reiches zulassen, entsprochen werden kann.

Noch einige Worte zu den von den Deutschnationalen eingebrachten Anträgen. Ich bin verwundert, daß in den Ausschußverhandlungen von solchen Anträgen absolut nicht die Rede war, daß sie hier im Plenum erst im letzten Augenblick eingebracht werden. Das erklärt sich Wohl daraus, daß man sie aus rein agitatorischen Gründen einzubringen sich veranlaßt gesehen hat;
(oho! rechts)

denn die materielle Wirkung, die damit erzielt wird, ist eigentlich kaum der Rede wert. Die Ersparnis beläuft sich, sofern mehr als zwei Kinder vorhanden sind, für das Kind wöchentlich auf 3,84 Mark. Aber auch technisch ist der Antrag kaum durchführbar oder nur dann, wenn die Finanzbehörden und die Unternehmer in denkbar stärkster Weise mit neuen Arbeiten belastet werden. Wäre es den Herren darum zu tun, die unteren Schichten, die Familien mit vielen Kindern zu entlasten, dann hätten sie, da sie der Landwirtschaft so nahe stehen, allerbeste Gelegenheit, darauf hinzuwirken, daß namentlich die Preise für Milch möglichst niedrig gehalten werden, darüber hinaus aber die Preise auch für alle sonstigen (L) notwendigen Nahrungsmittel, für Kartoffeln, Getreide usw., so bemessen werden, daß sie für diese Familien erschwinglich sind. Namens der Mitglieder der sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft des Reichstags kann ich Ihnen nur erklären, daß wir diese Anträge ablehnen werden.
(Bravo! links.)

Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Koenen.

Koenen, Ageordneter:

Meine Damen und Herren! Wir müssen, da wir im Ausschuß nicht vertreten waren, uns zunächst darüber beschweren, daß uns die Ausschußdrucksache erst heute nachmittag unterbreitet wurde und daß uns infolgedessen eine Stellungnahme zu dem Gesetz im einzelnen nicht möglich ist, so daß ich mich auf einige prinzipielle Bemerkungen beschränken muß. Ich glaube, daß es richtig wäre, wenn sich die sozialdemokratischen Parteien den sehr bewegten Ausführungen des thüringischen Finanzministers anschließen würden, wenn sie insbesondere erkennen würden, was wir in früheren Reden zu ähnlichen Tagesordnungspunkten wiederholt gesagt haben, daß es bei der Anpassung an die Geldentwertung zunächst darauf ankommt, die indirekten Steuern, die durch ihre Prozentzuschläge ganz besonders geeignet wären, bei der Geldentwertung berücksichtigt zu werden, in erster Linie herabzusetzen. Aber das geschieht nicht. Der thüringische Finanzminister hat mit Recht darauf hingewiesen, daß die Lawinensteuern, die Kohlensteuer und die Umsatzsteuer, die die breiten Volksschichten auf das allerempfindlichste belasten, mit der Geldentwertung in der rasendsten Weise weiter steigen. Sie wirken gerade jetzt bei der Geldentwertung wie Lawinensteuern. Wenn Sie umgekehrt bei der Einkommensteuer das Prinzip der Anpassung an die Geldentwertung durchführen wollen, so muß ich dem Finanzminister recht geben, daß das allerdings das ungeeignetste Objekt ist. Wir standen schon früher auf dem Standpunkt, daß hier nicht die einfache Anpassung an die Geldentwertung am Platze ist, sondern daß es für die sozialdemokratischen Parteien darauf ankommen müßte, die unteren Grenzen steuerfrei zu machen, die unteren Einkommen von der Steuer überhaupt zu befreien. Wenn nach oben hin, wo mit der Geldentwertung ja auch die Gewinne steigen, infolgedessen von einer Anpassung an die Geldentwertung gar keine Rede sein dürfte, dieses Prinzip angewendet wird, so am falschen Platze. Es ist sehr zu bedauern, daß man es gerade hier anwendet, während man das bei den indirekten Steuern, insbesondere bei der Kohlen- und Umsatzsteuer nicht will. Das Gesetz bekommt dadurch, daß man als Begründung anführt: Wir müssen den kleinen Leuten entgegenkommen — einen, man möchte fast sagen: demagogischen Charakter. Denn tatsächlich haben ja den größten Profit von diesem Gesetz nicht die kleinen Leute, zu deren Gunsten man es hier angeblich machen will und zu deren Gunsten die sozialdemokratischen Fraktionen für dieses Gesetz eintreten, den größten Nutzen haben vielmehr die hohen Einkommen. Das ist ja aus den Statistiken, mit denen dieses Gesetz begleitet worden ist, ganz deutlich zu ersehen. Wenn die Herrschaften der Rechten eine gemeinsame Beratung aller drei Steuergesetze verlangen, so steckt darin ein gut Stück Heuchelei. Sie wissen genau, daß das Einkommensteuergesetz für sie ein gutes Geschäft bedeutet. Der thüringische Finanzminister ist im Irrtum, wenn er von dem guten Herzen spricht, das etwa diese Herrschaften leitet. Nein, sie leitet nur der Profit. Das werde ich im einzelnen ganz kurz zeigen müssen. Wenn Sie aber so tun, als ob eine gemeinsame Beratung mit der Zwangsanleihe und der Erbschaftssteuerermäßigung unerläßlich sei, so ist das eine Art Erpressung, die noch dazu mit der Absicht verbunden ist, sich selbst Geschenke zuzuschanzen. Diese Geschenke bestehen darin, daß der Steuertarif, den zu ändern wir in der kurzen Zeit dieser Plenarverhandlungen natürlich nicht imstande sind, keine Durchstaffelung, sondern eine Irreführung der Bevölkerung bringt, wie sie bei allen Steuergesetzen üblich ist. Wir müssen dagegen auf das energischste protestieren. Die Bevölkerung ist, wenn sie den Steuertarif liest, der Ansicht, daß tatsächlich jemand, der eine Million steuerbares Einkommen hat, 60 Prozent dieses Einkommens abliefert, was in Wirklichkeit gar nicht der Fall ist. Ein ehrlich durchgestaffelter Tarif wäre zunächst ein unbedingtes Erfordernis für eine Änderung des Einkommensteuergesetzes. Diese Durchstaffelung ist aber nicht erfolgt, und so kommen wir zu der Tatsache, daß zwar unten kleine Vergünstigungen gemacht werden, daß aber die Anpassung an die Geldentwertung oben den besitzenden Klassen einen viel größeren Profit gibt.

Die „Frankfurter Zeitung" hat festgestellt, daß der ganze Vorteil bei einem Einkommen von 60 000 Mark künftig nur 500 Mark, das heißt 0,83 Prozent bedeutet, daß bei einem Einkommen von 80 000 Mark der steuerliche Vorteil 2500 Mark, das heißt 3,12 Prozent ausmacht. Da aber die Arbeiter in der größten Mehrzahl weniger als 80 000 Mark, sogar weniger als 60 000 Mark im Jahre haben, müssen sie sich mit einem Vorteil von 3,12 und sogar nur 0,83 Prozent begnügen. Dagegen machen Einkommen von 200 000 Mark bereits einen Gewinn von 18 000 Mark im Jahre, das heißt von 9 Prozent. Bei einem Einkommen von einer Viertelmillion beläuft sich das Geschäft bereits auf 23 250 Mark, das heißt 9,3 Prozent, während ein Prolet durch das gute Herz, von dem der thüringische Finanzminister

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(Koerrer», Abgeordneter.)

sprach, noch nicht ganz 1 Prozent zugewendet bekommt. Das ist ein feines Geschäft, und vom guten Herzen kann man hier wahrlich nicht mehr reden, sondern nur von der schwarzen kapitalistischen Seele, die dieses Gesetz schafft, um sich hohe Profite in die Taschen zu bringen.

Diese hohen Gewinne halten an bis zu einem Einkommen von ungefähr 600 000 bis 800 000 Mark. Erst bei mehr als einer Million werden schließlich nur 4 Prozent und 3 Prozent den Herrschaften zugeschanzt, immerhin noch mehr als dem einfachen Arbeiter, der nur 4/5 Prozent seines steuerbaren Einkommens erspart. Man soll uns also nicht damit kommen, daß man etwa hier den Arbeitern eine ganz besondere Erleichterung zuwende. Die Erleichterung ist nur für die Besitzenden fühlbar, die mehr als 100 000 oder 200 000 Mark Einkommen haben. Das haben wir zunächst gegenüber diesem Gesetz auszuführen.

Wir machen darauf aufmerksam, daß dieselben Ausführungen, die wir jetzt hier machen müssen, schon bei der vorigen Einkommensteuergesetznovelle vom Dezember notwendig waren, die dann im Januar nach dem Eisenbahnerstreik noch einmal hier zur Erörterung stand. Damals machten wir die Sozialdemokratische Fraktion darauf aufmerksam, daß der Eisenbahnerverband es war, der ausdrücklich feststellte, daß bei den niederen Einkommen fast gar keine Erleichterungen eingetreten sind, die Empfänger von großen Einkommen dagegen durch diese Angleichung an den Geldwert Zuwendungen erhalten, die das Einkommen eines unteren Beamten ausmachen. Der Eisenbahnerverband erklärte damals: diese Verbesserungen betragen bei einem — damaligen — Jahreseinkommen unter 24 000 Mark fast nichts; sie sind kaum fühlbar; aber bei Einkommen von 100 000 Mark in der Besoldungsgruppe XIII beträgt die Verbesserung rund 17 000 Mark. Er fügte hinzu: diese wenigen Zahlen wirken geradezu aufreizend; denn den höheren Beamten wird an Steuerersparnis jährlich so viel geschenkt, wie ein Diätar an Gesamteinkommen hat. Dasselbe Spiel wird bei der Staffelung, die uns jetzt vorliegt, wiederum getrieben.
(Sehr wahr! bei den Kommunisten.)

Ich warne Sie dringend davor, das Spiel fortzusetzen und sich so irre führen zu lassen, wie es der thüringische Finanzminister tat, und vom guten Herzen zu reden. Hier wütet nichts anderes als die schwarze, profithungrige Seele der Kapitalisten, die sich durch dieses Gesetz wiederum einen ganz besonderen Vorteil zuschanzen wollen. Wenn Sie eine gute Seele haben, dann beweisen Sie das bitte durch die Änderung des Umsatzsteuergesetzes, durch die Änderung des Kohlensteuergesetzes. Da könnten Sie wirkliche Erleichterungen für die besitzlosen Klassen schaffen. Ich glaube, daß es noch einen anderen Weg gäbe, um das gute Herz zu betätigen. Ich machte schon früher darauf aufmerksam, daß in England Leute mit einem Einkommen bis zu 3000 Schilling — das ist eine Summe, die heute fast 200 000 Mark ausmachen würde — frei von der Einkommensteuer find. Wollten sie wirklich das gute Herz betätigen, dann müßte man in Deutschland dazu kommen, nicht 10 Prozent bei Einkommen bis zu 100000 Mark zu erheben, sondem alle Einkommen unter 100000 Mark steuerfrei zu lassen. Wenn Sie einen solchen Beschluß faßten, dann brauchten Sie die Komödie der Anpassung an die Geldentwertung gar nicht erst aufzuführen, und Sie hätten wirklich etwas getan, um den Arbeitern und Angestellten ein Entgegenkommen zu zeigen, wie es der Etsenbahnerverband beim Eisenbahnerstreik im Januar gefordert hat. Aber dieses Entgegenkommen zeigt man nicht, sondern man macht wieder am § 46 einige Flickschustereien, um so zu tun, als hätte man ein Entgegenkommen gezeigt.

Eine andere Möglichkeit den Arbeitern und Angestellten entgegenzukommen, enthält § 46 in seinem ersten Absatz. Wir haben wiederholt darauf hingewiesen, daß die Arbeiter durch die Bestimmung des § 46 Abs. 1 gezwungen werden, im Gegensatz zu der besitzenden Bevölkerung dem Reich auf Vorschuß ihre Steuern zu zahlen. Die vorliegende Novelle ändert an diesem Zustande wiederum nichts. Wir müssen sagen: will man ein Entgegenkommen zeigen, dann soll man endlich diesen Absatz streichen und dafür sorgen, daß das Ausnahmegesetz gegen die Arbeiter, das der erste Absatz des § 46 des Einkommensteuergesetzes bedeutet, beseitigt wird. Denn durch diese Bestimmung werden die Arbeiter gezwungen, auf Vorschuß ihre Steuern zu zahlen, während die Besitzenden, wie wir wiederholt festgestellt haben, jahrelang ihre Steuern schuldig bleiben. Der Erfolg dieses § 46 ist der, daß die Arbeiter zum vollen Kurs ihr Geld hergeben müssen, während die Besitzenden erst nach zwei und drei Jahren endlich ihre Einkommensteuern zahlen und dann inzwischen ein sehr gutes Valutageschäft gemacht haben. Sie zahlen ihre Steuern, die sie im Jahre 1920 oder 1921 hätten zahlen müssen, nachdem sie schon soundsoviel mal reklamiert und soundso viel mal gemogelt haben,
(Zuruf im Zentrum: Habt Ihr Erfahrung darin?)
erst dann, wenn inzwischen die Valuta so sehr gesunken ist, daß sie tatsächlich nur noch den vierten oder fünften Teil des Wertes bezahlen, den sie dem Reich schuldig sind. Das haben wir wiederholt rechnerisch nachgewiesen, und Sie als christlicher Arbeitervertreter (zum Zentrum gewandt) sollten sich auch einmal um diese Angelegenheit kümmern. Aber das paßt Ihnen nicht in den Kram! Wenn Sie das ehrlich Ihren Arbeitern sagen müßten, müßten Sie zugeben, daß Sie hier Gesetze zugunsten der Besitzenden und gegen die Arbeiter machen.
(Erneuter Zuruf im Zentrum.)
Wir haben wiederholt solche Feststellungen gemacht und müssen sie, nachdem Sie wiederum den Besitzenden gegenüber ein Entgegenkommen zeigen wollen, wiederholen. Sie als christlicher Arbeitervertreter werden jetzt dafür stimmen, daß der Arbeiter, der unter 60 000 Mark Einkommen hat, 500 Mark Nachlaß erhält, daß aber der Besitzende, der 1/4 Millionen Mark hat, einen Profit von 23 500 Mark macht. Das nennen Sie dann alles christliche Nächstenliebe und soziale Gerechtigkeit!
(Lachen.)
Wir beantragen, um den Arbeitern bei dieser Gelegenheit offen und ehrlich ein Entgegenkommen zu zeigen, den ersten Absatz des § 46, der die Zwangszahlung und Vorschußzahlung bei Arbeitern und Angestellten verlangt, zu streichen. Wenn Sie diesen Antrag annehmen, würden Sie damit deutlich zeigen, daß Sie den Arbeitern gegenüber ein Entgegenkommen beweisen wollen. Am Schlusse noch eine Bemerkung darüber, wie die Industrie es versteht, aus diesen ganz winzigen Steuerermäßigungen, die Sie für die Arbeiter durchführen — 500 Mark im ganzen Jahre bei 60000 Mark Einkommen —, noch ihren besonderen Profit zu ziehen. Nach der letzten Änderung des Steuergesetzes hat am 31. Januar die nordwestdeutsche Gruppe des Vereins deutscher Eisen und Stahlindustrieller ein Rundschreiben herausgegeben, in dem sie genau auf Heller und Pfennig ausrechnet, wie viel die Ermäßigung der damaligen Steuersätze und die Anpassung an die Geldwerte für den einzelnen Arbeiterlohn ausmacht. In diesem Rundschreiben heißt es-: Die Steuerermäßigung ist also gleichzusetzen einer Erhöhung des Stundenlohnes um 20 Pfennig, einer Erhöhung des Frauengeldes um 40 Pfennig und des Kindergeldes um 60 Pfennig pro Tag. Die Industriellen rechnen also hier in Pfennigbeträgen

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(Koenen, Abgeordneter.)

die Steuerermäßigung aus und versenden Rundschreiben an die angeschlossenen Firmen mit folgender Mitteilung:

Wir bitten Sie, diese Tatsache bei etwaigen Lohnverhandlungen zu benutzen.

Es steht also fest, daß dieses kleinste, allerwinzigste Entgegenkommen, das durch dieses Gesetz den Arbeitern gezeigt wird, durch die Unternehmer bei den nächsten Lohnverhandlungen wieder ausgeglichen wird,
(hört! hört! bei den Kommunisten)

so daß letzten Endes sich die Arbeiter bei allen diesen Reformen die Nase wischen können. Eine weitere Verelendung der Arbeiter auf der einen Seite setzt ein, auf der anderen Seite aber eine weitere Bereicherung der Besitzenden, derjenigen, die Millionen an Einkommen haben.
(Sehr wahr! bei den Kommunisten.)

Wir machen dringend auf die schweren Schädigungen aufmerksam, die das Gesetz mit sich bringen muß, und ersuchen, zum mindesten der Streichung des § 46 Abs. 1 zuzustimmen, damit wenigstens der Vorschußzahlung für die Arbeiter endlich ein Ende gemacht und diese Ausnahmebestimmung gegen die Arbeiter beseitigt wird.
(Bravo! bei den Kommunisten.)

Präsident: Das Wort hat Herr Abgeordneter Hartwig.

Hartwig, Abgeordneter:

Meine Damen und Herren! Dem Herrn Kollegen Kahmann muß ich wegen seiner Behauptung, daß unsere Anträge aus rein agitatorischen Gründen heraus gestellt worden seien, entgegentreten. Ich gebe durchaus zu: im Ausschuß habe ich diese Anträge nicht gestellt. Ich bin erst heute in meiner Fraktion mit dem Antrag hervorgetreten, den kinderreichen Familien auf irgendeine Weise noch zu helfen, und zwar deshalb, weil gerade in den letzten 8 Tagen eine Reihe von Eltern mit ihren sehr dringenden Wünschen an mich herangetreten sind, und weil gerade in der letzten Zeit die Not so furchtbar gestiegen ist. Ich bedaure außerordentlich, daß Herr Kollege Kahmann es fertig bringt, mir solche Motive zu unterstellen. Ich muß dagegen aufs entschiedenste protestieren. Ich habe das ganze Haus gebeten, in dieser Frage nur eine Partei zu sein. Es wäre dringend wünschenswert gewesen, bei dieser Gelegenheit alle Parteigegensätze zurückzustellen.

Wenn Herr Kollege Kahmann sagt, daß die Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft geschlossen gegen unsern Antrag stimmen würde, dann beginnt sie ihre parlamentarische Existenz mit einer Leistung, die in der Öffentlichkeit wohl kaum Verständnis finden wird.
(Zuruf von den Sozialdemokraten.) — Das will ich gern tun; diese Leistung überlasse ich Ihnen gern.

Daß man in Ihrer Partei, Herr Kollege Kahmann, sehr wohl anderer Meinung sein kann, beweist ein Schreiben, das unser verehrter Herr Präsident an den Bund der Kinderreichen vor kurzem gerichtet hat; er schreibt:
Dem Bund der Kindereichen.
Ich würde Ihnen dankbar sein, wenn Sie mir etwaige Beschlüsse der Versammlung zur Kenntnis bringen würden; denn daß bei der heutigen ungeheuerlichen Teuerung gerade die kinderreichen Familien am furchtbarsten leiden und die Gesetzgebung hier auf einen Ausgleich bestehen muß, scheint mir dringend notwendig.

Wenn der Herr Präsident Löbe auf diesem Standpunkt steht, dann, glaube ich, darf ich mir wohl erlauben, das hohe Haus aufzufordem, unserem Antrag beizutreten. Damit ist auch der Vorwurf gerichtet, den der Herr Abgeordnete Kahmann gegen mich erhoben hat.
(Bravo! bei den Deutschnationalen.)

Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hertz.

Dr. Hertz, Abgeordneter:

Wäre der Notstand so dringend, den der Herr Abgeordnete Hartwig als Ursache dieses deutschnationalen Antrages hinstellt, dann wäre es ja sehr erstaunlich, daß die Herren während der beiden Lesungen, die über das Einkommensteuergesetz im Ausschuß stattgefunden haben, und die durchaus genügend Zeit für eingehende Beratungen ließen, nicht von selbst auch dort auf die Notwendigkeit hingewiesen haben. Daß sie jetzt im Plenum, nachdem die Beratungen im Ausschuß abgeschlossen sind, mit einem solchen Antrag hervortreten, vermag uns nicht davon zu überzeugen, daß nur rein sachliche Gründe für die Stellung dieses Antrages in diesem Augenblick maßgebend waren.

Zu den Ausführungen des Herrn Abgeordneten Koenen möchte ich nur wenige Sätze sagen. Seinen Antrag, den § 46 des Einkommensteuergesetzes zu streichen
(Zuruf von den Kommunisten: Absatz 1!)

beziehungsweise den Abs. 1, lehnen wir ab. Wir müssen diesen Antrag ablehnen, weil er sich in seiner Wirkung gegen die Arbeiterklasse wenden würde. Die Steuerpflicht der Lohn- und Gehaltsempfänger beseitigt er nicht, denn sie ist festgelegt durch § 26. Er würde nur bedeuten, daß in das jetzt geordnete Verfahren des Lohnabzugs eine völlige Unsicherheit hineingetragen würde, daß an Stelle der geordneten Ablieferung der von den Arbeitern zu zahlenden Steuerbeträge die Notenpresse in weitere und schnellere Wirksamkeit versetzt würde, die viel schärfere und unsozialere Folgen gerade für diesen Teil unserer Bevölkerung zutage fördern würde, als das jetzt der Fall ist.

Zu den übrigen Ausführungen des Herrn Abgeordneten Koenen bezüglich der Ergebnisse der Ausschußberatungen nur einige Worte! Seine Darlegungen beruhen auf einem sehr einfachen Rechenfehler. Der Herr Abgeordnete Koenen hat nämlich bei seiner Berechnung vollkommen übersehen, welche Ermäßigung für die unteren Etnkommensteuerstufen durch die Heraufsetzung der steuerfreien Beträge einsetzt. Ich will nur darauf hinweisen, daß bei einem Einkommen von 50000 Mark und einem Familienstand von Mann, Frau und zwei Kindern die abzugsfreien Beträge bisher 17400 Mark betrugen, daß sie bei der neuen Novelle auf 39 600 Mark steigen. Das bedeutet, daß an die Stelle eines Lohnabzugs von bisher 6,52 Prozent ein solcher von 2,8 Prozent tritt, also ein Minus von 4,44 Prozent und nicht von 0,83 Prozent, wie der Abgeordnete Koenen meinte.
(Hört! Hört! rechts.)

Wir haben keinen Zweifel daran gelassen, daß wir die Milderung des Steuertarifs auch bei den hohen Etnkommenempfängern durchaus nicht billigen, wie das unser ursprünglicher Antrag zeigt. Aber wir haben zu wählen zwischen der Milderung der Einkommensteuer überhaupt oder der Ablehnung einer solchen Milderung; und in dieser Situation entscheiden wir uns gemäß dem immer von uns vertretenen Standpunkt für das kleinere Übel.

Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Koenen.

Koenen, Abgeordneter:

Ich möchte gleich eingangs feststellen, daß sich die Parteien nicht für das kleinere Übel entscheiden, sondern für die größeren Geschenke an die großen Einkommen. Denn auch nach der Berechnung des Herm Abgeordneten Hertz, der hier ausdrücklich feststellte, daß 4,44 Prozent — das ist wahrscheinlich die günstigste Berechnung, die er aufmachen konnte — den Arbeitern als Entgegenkommen gewährt werden, stehen

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(Koenen, Abgeordneter.)

dem bei den Höheren Einkommen unwidersprochen acht und neun Prozent gegenüber.
(Abgeordneter Dr. Helfferich: Ziehen Sie einmal von 4,5 Prozent 9 Prozent ab! — Heiterkeit.)

— Auch prozentual wird den Besitzenden der doppelte Betrag gewährt.
(Lebhafter Widerspruch rechts und bei den Sozialdemokraten.)

Jetzt aber kommt in Betracht, daß die Höhe der Beträge, die den Herrschaften zufließen, die Tausende, das Entscheidende sind, also nicht so sehr das prozentuale Verhältnis als die Tatsache, daß Zehntausende von Mark den Besitzenden zugewendet werden. Wenn aber jetzt der Herr Abgeordnete Dr. Hertz vor der Notenpresse Angst hat, so sage ich: nicht durch die Ermäßigungen, die Sie unten einführen, sondern durch die Ermäßigungen, die Sie oben einführen, fördern Sie die Gefahr, daß die Notenpresse in stärkerem Maße tätig sein muß. Man müßte mit aller Rücksichtslosigkeit die Ermäßigungen, die für die Besitzenden eintreten, bekämpfen, wenn man keinen schnelleren Gang der Notenpresse wollte. Aber dieser schnellere Gang der Notenpresse muß immer dann herhalten, wenn es gegen die Arbeiter geht. Gegen die Besitzenden wird dieses Argument nicht angewandt. Nun das letzte Argument. Der Herr Abgeordnete Dr. Hertz meint, man müßte diesem Gesetz deswegen zustimmen und dürfe den Abs. 1 des § 46 nicht streichen, weil die Unsicherheit der Steuereinziehung an die Stelle des geregelten Verfahrens trete. Also geregeltes Berühren, rücksichtsloses Verfahren gegen die Arbeiter, aber Insicherheit gegenüber den Besitzenden. Wie das vom sozialdemokratischen Standpunkt aus gerechtfertigt werden soll, ist mir unerfindlich. Andererseits aber ist ganz klar, daß das Argument, das die Unsicherheit eintreten würde, bei den Arbeitern angewandt wird, daß man aber aus diesem Argument nicht die Folgerung zieht, mit ebenso rücksichtslosen Mitteln auch gegen die Besitzenden vorzugehen. Sie wissen, welche Drückebergerei die Besitzenden getrieben haben. Sie wissen, wie sie jahrelang ihre Steuern schuldig geblieben sind. Sie wissen ganz genau, daß nichts getan wurde, um von ihnen schneller die hohen Zahlungen hereinzubekommen. Also nur gegen die Arbeiter gilt dieses Argument, während Sie nicht verstehen, es gegenüber den Besitzenden anzuwenden. Und da Sie es einseitig anwenden, so können wir dieses Argument nicht anerkennen.

Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hertz.

Dr. Hertz, Abgeordneter:

Meine Herren! Nur einen Satz! Ich glaube zwar, in der Richtigkeit des Rechnens dem Herrn Abgeordneten Koenen überlegen zu sein. Ich gebe ihm aber ohne weiteres zu, daß ich den Wettkampf mit ihm aufgeben muß, da er unbestritten in der Fixigkeit des Falschrechnens einen ungeheuren Vortritt hat.
(Heitere Zustimmung.)

Präsident: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung.

Die Debatte hat über den Art. I stattgefunden. Zu der Ziffer 1, die dazu gehört, sind Anträge nicht gestellt. Ich darf diese Ziffer für angenommen erklären.

Zu der Ziffer 2 ist nur eine redaktionell andere Fassung von Herrn Kollegen Merck beantragt, nämlich unter g soll es nicht heißen wie in der gedruckten Vorlage, sondern es soll heißen:
Im § 13 wird folgende Vorschrift als Abs. 3 eingefügt:
die Abzüge gemäß Abs. 1 Nr. 5 und 5a dürfen zusammen den Betrag von 8000 Mark jährlich nicht übersteigen.
Es ist das nur eine redaktionelle Änderung, die den Sinn des Paragraphen klarer hervorhebt. Ich nehme an, daß das Haus dieser Änderung zustimmt. — Das ist der Fall. Ziffer 2 ist mit der Änderung angenommen.

Ich rufe auf Ziffer 3, die den § 21 betrifft. Hier ist von dem Herrn Abgeordneten Koenen eine getrennte Abstimmung für die einzelnen Staffeln beantragt, und zwar in der Weise, daß zunächst über den Satz abgestimmt wird:
Die Einkommensteuer beträgt für die ersten angefangenen oder vollen 100 000 Mark des steuerbaren Einkommens 10 vom Hundert,
daß das übrige dann getrennt abgestimmt wird.
Ich bitte also die Damen und Herren, welche dem von mir vorgelesenen ersten Satz des § 21 zustimmen wollen, sich vom Platze zu erheben.
(Geschieht.)
Das ist die Mehrheit; er ist angenommen.
Nunmehr bitte ich die Herren, welche für die übrigen Absätze des § 21 stimmen wollen, also für die höheren Einkommen, sich zu erheben.
(Geschieht.)
Das ist auch die Mehrheit; der Rest des § 21 ist angenommen.

Zu Ziffer 4 liegt der erste der Anträge des Herrn Kollegen Hartwig auf Drucksache Nr. 4790 Ziffer 1 vor. Ich bitte diejenigen Damen und Herren, die diesem Antrage zustimmen wollen, sich zu erheben.
(Geschieht.)
Das ist die Minderheit; er ist abgelehnt.

Ziffer 4 ist genehmigt.

Zu Ziffer 5 sind keine Anträge gestellt; er ist genehmigt.

Ziffer 6 betrifft den § 46. Hierzu liegen zwei Anträge vor. Ein handschriftlicher Antrag Koenen: „Der Abs. 1 des § 46 ist zu streichen", und der zweite der Anträge des Herrn Abgeordneten Hartwig auf Nr. 4790 der Drucksachen.
Ich bitte zunächst diejenigen Damen und Herren, die dem Antrage Koenen zustimmen wollen, sich zu erheben.
(Geschieht.)
Das ist die Minderheit; er ist abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, welche dem Antrage Hartwig auf 4790 Ziffer 2 zustimmen wollen, sich zu erheben.
(Geschieht.)
Der Antrag ist abgelehnt, weil die Minderheit steht.
Ziffer 6 ist angenommen.
Ich rufe auf Ziffer 7, — 8, — 9. — Angenommen.

Zu Art. II sind Anträge nicht gestellt. Ich darf ihn für angenommen erklären.

Zu Art. III liegt der Antrag Herold, ten Hompel auf Drucksache 4785 vor, der über die einheitliche Erledigung der Steuergesetze handelt. Ich bitte diejenigen Damen und Herren, die diesem Antrage zustimmen wollen, sich vom Platze zu erheben.
(Geschieht.)
Das ist die Mehrheit; der Antrag ist angenommen und mit diesem Zusatze der Art. III.

Ich rufe auf Einleitung und Überschrift — und erkläre sie für angenommen.

Ich eröffne die Debatte über die Petitionen, —
schließe sie, da Wortmeldungen nicht vorliegen. Die Abstimmung erfolgt in dritter Lesung.

Damit ist die zweite Beratung des Gesetzes erledigt.

Ich rufe auf den nächsten Gegenstand der Tagesordnung: zweite Beratung des von den Abgeordneten Dr. Curtius, Dr Becker (Hessen)

8622 Reichstag. — 252. Sitzung. Sonnabend den 15. Juli 1922.
(Präsident.)

und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Erbschaftssteuergesetzes (Nr. 4479 der Drucksachen) in Verbindung mit der zweiten Beratung des von den Abgeordneten Hergt und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Erbschaftssteuergesetzes (Nr. 4480 der Drucksachen). Mündlicher Bericht des 11. Ausschusses (Nr. 4767 der Drucksachen).

Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Curtius.
Als Kommissare sind angemeldet:
Ministerialdirektor Dr. Popitz,
Ministerialräte Kuhn, Dr. Dorn, Dr. Zarden,
Oberregierungsrat Dr. Pissel,
Regierungsräte Vogt, Weltzten, vr. Rosenbauer.

Zur Geschäftsordnung hat das Wort der Herr Abgeordnete Koenen.

Koenen, Abgeordneter: Ich bitte jetzt das Haus, sich zu vertagen, da es nicht möglich ist, zu einem so komplizierten Gesetz wie der Erbschaftssteuer in dieser vorgerückten Stunde noch Stellung zu nehmen. Uns scheint die Erbschaftssteuer sehr geeignet, ausgebaut zu werden. Da wir an den Ausschußberatungen nicht teilnehmen konnten und es uns in der kurzen Zeit nicht möglich war, die entsprechenden Anträge vorzulegen, raten wir dringend, um höhere Beträge aus der Erbschaftssteuer im Interesse des nahezu bankerotten Reichs herausholen zu können, diesen Tagesordnungspunkt in dieser vorgerückten Stunde nicht zu behandeln.

Präsident: Es ist ein Antrag auf Vertagung gestellt. Derselbe bedarf der Unterstützung von 30 Mitgliedern des Hauses.
(Heiterkeit.)

Ich bitte die Damen und Herren, die für Vertagung stimmen, sich zu erheben.
(Geschieht. — Heiterkeit.)

Die Unterstützung reicht nicht aus.

Wir treten in die Beratung ein. Das Wort hat der Berichterstatter, Herr Abgeordneter Dr. Curtius.

Dr. Curtius, Abgeordneter, Berichterstatter: Meine Damen und Herren! Ich kann mich wirklich kurz fassen. Ich hatte vom 11. Ausschuß den Auftrag, einen ausführlichen mündlichen Bericht zu erstatten. Damals gingen wir davon aus, daß wir bereits am Sonntag auseinandergehen würden. Nun hat sich die ganze parlamentarische Lage inzwischen verschoben. Es ist sicher, daß wir bis zum Dienstag tagen werden. Unter diesen Umständen hat der Vorsitzende des 11. Ausschusses beschlossen, eine neue Sitzung auf Dienstag morgen einzuberufen, um einen schriftlichen Bericht über die Erbschaftssteuer festzustellen. Ich kann daher heute darauf verzichten, einen mündlichen Bericht zu erstatten. Ich empfehle namens des Ausschusses die Vorlage zur Annahme.
(Beifall.)

Präsident: Weitere Wortmeldungen zu Art. 1 liegen nicht vor.
(Zuruf von den Kommunisten.)

Der Herr Abgeordnete Heydemann hat das Wort.

Hehdemann, Abgeordneter: Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist nicht nötig, sich vorzubereiten, um auch bei dieser Gelegenheit auf Grund der Erbschastsfteuerpolitik Ihnen einmal zu zeigen, in welcher Weise auch heute noch, um mich eines Ausdrucks des Abgeordneten Helfferich zu bedienen, die Scham scheinbar verloren gegangen zu sein scheint.
(Heiterkeit.)

Vor drei Wochen haben Sie anders hier gestanden, und wenn Sie nicht bloß leere Worte machen wollten, sondern wenn Sie so, wie Sie es mit den Lippen bekannt haben, den Toten mit seinen eigenen Ideen ehren wollten, dann würden Sie gerade hier die Worte und Gedanken Walther Rathenaus, der bereits während der Kriegszeit gegenüber dieser einzigen in der Welt dastehenden Steuerpolitik, die wir in Deutschland in der Besteuerung der Erbschaften erlebt haben, seine Stimme erhoben hat, in die Tat umsetzen. Ich will nicht darauf eingehen, wie in den Jahren 1908 und 1909 es geradezu zu einem Weltkulturskandal geworden war, wie Ihre Steuerscheu und Ihre Steuerdrückebergerei derartige Orgien feierte, daß die damaligen Wulle-Leute in der konservativen Partei ihre anständigeren Elemente, wie es dem alten greisen Professor Adolph Wagner begegnet ist, direkt niederbrüllten.

Vergleichen Sie die Zahlen, die in dem Steuergesetz vom September 1919 als Tarifzahlen vorliegen mit den jetzigen Tarifzahlen des § 28 der Vorlage, wie sie aus dem Ausschuß hervorgegangen ist. Sie werden zum mindesten auf der Linken alle mit mir einer Meinung sein müssen, daß es angesichts der furchtbaren finanziellen Misere, daß es inmitten der immer mehr zunehmenden Not der breitesten Schichten unseren Volkes unerhört ist, diese Steuerquelle immer mehr versiegen zu lassen. Am Freitag vor drei Wochen, als der Herr Abgeordnete Helfferich hier seine Rede über die Scham, über den Staatsgerichtshof und über die Verachtung, die keine Worte habe, hielt, hat der Abgeordnete Höllein bereits auf den ungeheueren Unterschied in der Erbschaftsbesteuerung zwischen England und Deutschland, nicht nur während der Kriegszeit, sondern bis auf den heutigen Tag, hingewiesen.

Während sich in der Kriegszeit sämtliche sozialdemokratischen Vertreter im Reichstage für einen Ausgleich dieses Gegensatzes einsetzten, sehen heute die Sozialdemokraten diese Ungerechtigkeit ruhig mit an. In England ging bereits Jahr für Jahr eine Milliarde an Erbschaftssteuern ein, während es trotz aller Kämpfe der Jahre 1908 und 1909 und trotz der Erbschaftssteuer von 1912 bis in das dritte Kriegsjahr hinein nicht möglich war, mehr als 60 Millionen Mark aus der Erbschaftssteuer in Deutschland herauszuholen.

Damals war die Linke übereinstimmend der Überzeugung, daß dem heuchlerischen Gerede der Konservativen gegenüber endlich dem Übel an die Wurzel gegangen werden müsse. Die Konservativen sprachen von den beiden Grundlagen der Gesellschaft, der Familie und dem Eigentum, die durch die Erbschaftssteuer gefährdet seien. Diesem Gerede gegenüber ist damals vom Abgeordneten Keil und anderen darauf hingewiesen worden, daß es volkswirtschaftlich, finanzpolitisch und sozial von der größten Bedeutung sei, gegen die Züchtung von Parasiten vorzugehen, die auch in der Not schwerster Zeit glauben, Rechte geltend machen zu können, um ohne Arbeit durch den Schweiß anderer Leben zu können.

Jetzt erleben wir, daß es der Besitz in noch viel groteskerer Form als bei der Einkommensteuer verstanden hat, im Ausschuß seine Interessen zu vertreten. Die Erbschaftssteuer ist verwässert. Im Jahre 1919 wurde ein Vermögen von 1 Million immerhin in der Steuerklasse 1 noch mit 35 Prozent Steuer belegt, während man jetzt nur noch 17,5 Prozent erheben will. Wenn man die irreführenden Tabellen mit den Grundsteuern von 3,5 bis 14 Prozent, je nach den ver-


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