Reichstag. — 143. Sitzung. Donnerstag den 10. November 1921.
Seite 4939
Vizepräsident Dittmann: Das Wort hat der
Herr Abgeordnete Hartwig.
Hartwig, Abgeordneter:
Meine Damen und
Herren!
Die vorliegende Interpellation gibt uns
erwünschte Gelegenheit, die Blicke der Kulturwelt auf
die letzten Konsequenzen des Vernichtungsdiktats von
Versailles zu richten,
(sehr gut! bei den Deutschnationalen)
nämlich auf die Zerstörung jeder werteschaffenden
Tätigkeit der deutschen Volkswirtschaft. Der Interpellant,
Herr Abgeordneter Müller, hat in einem
Kommentar zu den 203 bis 210 der Versailler
Gewaltakte (Herausgeber: Freiherr v. Lersner) ausgeführt,
was alles zerstört werden kann, nur weil es
eventuell zu Kriegszwecken dienen könnte, wieviel
Material und Werkzeug bei den Fabriken, die oft erst
im Kriege auf Kriegsbedarf umgestellt wurden, durchaus
geeignet wäre, für Kriegszwecke verwendet zu
werden. Er weist daraufhin, wie viel Schiffsmaterial
und Schiffsausrüstungsgegenstände unbrauchbar gemacht
werden, die dem Wiederaufbau unserer Handelsflotte
dienen könnten. Er hat in diesem seinem
Kommentar bereits gezeigt, wie sehr der friedliche
Luftverkehr in Deutschland unterbunden werden
könnte und wirklich unterbunden wurde.
Meine Damen und Herren! Die Ausführungen
des Herm Abgeordneten Hoch zeigen uns aber sehr
deutlich, daß die Interpellation zwei Seiten hat.
Meine politischen Freunde können sich ganz auf den
Boden dieser Interpellation stellen.
(Sehr richtig! bei den Deutschnationalen.)
Wir müssen aber auf der anderen Seite feststellen, daß
die Interpellanten die Vorbedingungen dafür geschaffen
haben, daß die Interpellation nötig wurde,
daß nunmehr alles Bitten, alle Vorstellungen und alle
Proteste nichts mehr helfen.
(Sehr richtig! bei den Deutschnationalen. —
Widerspruch bei den Sozialdemokraten.)
Wenn man an die Verhandlungen der Nationalversammlung
denkt, wird jeder wissen, daß damals
selbst bis in die Reihen der Sozialdemokratie viele
waren, die mit zusammengebissenen Zähnen, manche
vielleicht mit Tränen nationalen Schmerzes in den
Augen, das verhängnisvolle Ja abgaben. Aus diesem
Ja zieht Frankreich die Konsequenzen. Femer tragen
die Verantwortung für die Folgen, die Frankreich
aus dem Friedensdiktat zieht, auch diejenigen, die das
Ultimatum unterschrieben haben.
(Sehr richtig! bei den Deutschnationalen.)
Die Wurzeln dieses Unheils aber liegen noch weiter
zurück als die Unterzeichnung des Versailler Friedensdiktats.
Der Herr Kollege Hoch, der die Wurzeln des
Unheils in der Zeit während des Krieges und in den
Machtgelüsten der früheren kaiserlichen Regierung
suchen wollte, irrt sich darin durchaus. Ich stelle fest,
daß die frühere kaiserliche Regierung eine durchaus
konstitutionelle, parlamentarische Regierungsform war,
sich einer Welt von bis an die Zähne bewaffneten
Feinden gegenüber befand und Deutschland nur
gegen Überfälle stark erhielt.
(Zuruf links.)
Der Krieg — das steht heute aktenmäßig fest —
wurde nur deshalb so lange hinausgezogen, weil
Deutschland eine Friedensregierung hatte.
(Sehr richtig! rechts. — Lachen links.)
Das steht unbedingt fest! Es steht weiter fest, daß sich
während des Krieges allmählich bei der Sozialdemokratie
der Eindruck festsetzte: wir müssen jetzt das
Volk aus dem Willen zum Durchhalten herausbringen,
wir müssen nach außen gut Wetter machen, Friedenswillen
zeigen. Da liegen die Wurzeln des ganzen
Unheils. Ich sehe sie auch darin, daß man nicht die
rechten Männer für die Waffenstillstandsverhandlungen
wählte. Hätte man in die Waffenstillstandskommission
S.4940
(Hartwig, Abgeordneter.)
nicht Männer geschickt mit naiv pazifistischen
Neigungen, die in der Behandlung solcher rücksichtslosen
Staatsmänner und Generale, wie sie Frankreich
entsandte, völlig unerfahren waren, so wären andere
Voraussetzungen für das Versailler Friedensdiktat und
für die ganze spätere Entwicklung geschaffen worden.
(Sehr richtig! rechts. — Zuruf links.)
Darum haben wir auch heute diese Interpellation
zu beklagen. Wir stellen uns auf den Boden derjenigen,
die diese furchtbare Lage jetzt beklagen, und
begrüßen deshalb auch in dieser nationalen Frage die
Front, die wir von rechts bis ganz links bilden. Aber
das ändert nichts daran, daß die Interpellanten tue
Schuld nicht von der eigenen nach der anderen Seite
verschieben dürfen. Das deutsche Volk hat alle
Ursache, sich zu fragen, ob eine Politik weitergeführt
werden soll, wie sie von der Sozialdemokratie immer,
und während des Krieges im Stillen, von 1917 an
offen gefördert worden ist, und die dann zum Zusammenbruch
des nationalen Willens und in ihren
Konsequenzen zu dieser Behandlung unseres Volkes
und der Deutschen Werke geführt hat.
Lassen Sie mich nun aus die hier zur Behandlung
stehende Frage eingehen. Bereits im Juni d. Js. ist
die Regierung von der Leitung der Deutschen Werke
aufgefordert worden, die Werke gegen die willkürliche
Zerstörungswut der Ententekommission zu schützen.
Damals schon führte die Werksleitung aus, daß die
schikanöse willkürliche Zerstörung der Spandauer Werkzeugmacherei,
dann die Niederlegung wichtiger
Gebäude, Kraftzentralen und Arbeitsmaschinen von
der Ententekommission angeordnet worden sei. Die
Öffentlichkeit hat von diesen Vorgängen damals fast
nichts oder nur sehr wenig erfahren. Nicht einmal
die Parlamentarier haben davon erfahren, wie schwer
bereits im Juni die Deutschen Werke belästigt wurden.
Es ist der Öffentlichkeit durchaus nicht zum Bewußtsein
gekommen, ob die Regierung damals überhaupt auf
den Hilferuf der Deutschen Werke reagiert hat. Aber
das war nur ein Fall.
Die Deutschen Werke haben dann im Juli und
ebenso im August erneut stark auf die drohende
Erdrosselung von großen Werksteilen hingewiesen. Die
Werksteitung legte scharfen Protest ein gegen die
Anordnungen der Ententekommission. Sie hat damals
schon ausgeführt, daß diese Maßnahmen zur
Schließung des Erfurter Werkes führen würden.
(Hört! Hört! rechts.)
Die Entente beanspruchte damals, daß ihr 133 Maschinen
ausgeliefert würden, und zwar nicht etwa
Spezialmaschinen für die Anfertigung von Jagd- und
Waffenmunition, sondern andere, Werkzeugmaschinen
und ähnliche. Im übrigen bezeichnete damals die
Ententekommission schon den ganzen Maschinenpark des
Werkes Erfurt als zerstörungspflichtig. Auch dagegen
hat die Direktion Protest eingelegt und mitgeteilt, daß
die Durchführung dieser Anordnung unabwendbar zur
Stillgegung des Werkes führen würde. Da muß man
doch fragen: warum ist nicht damals schon im stärksten
Matze die Öffentlichkeit auf die drohende Gefahr aufmerksam
gemacht worden, und warum hat die Regierung
nicht fortwährend die Schritte, die sie beim
Feindbund, bei der alliierten Militärkommission unternommen
hat, der Öffentlichkeit und dem Parlament mitgeteilt.
Wir haben nichts erfahren.
Zur selben Zeit verlangte die Entente, daß alle zerstörungspflichtigen
Maschinen bis zum 1. Dezember —
es handelte sich um etwa 6000 — verkauft sein müßten.
Allein im Monat August sollten 1500 verkauft werden.
Wenn man den kurzen Zeitraum beachtet und bedenkt,
daß kein Markt vorhanden war, also das Material verschleudert werden mußte, erkennt man die Unvernunft des Befehls.
(Sehr richtig! rechts.)
Auch darüber ist die Öffentlichkeit nicht orientiert
worden.
Ich füge hinzu, daß die Ententekommission für den
Fall, daß die Werke diesem Gebot nicht nachkamen, anordnete,
daß dann 200 Maschinen zerschlagen werden
müßten, also eine Sanktion ihrer Anordnung gleich
beifügte.
(Hört! Hört! rechts.)
Wenn die Leitung der Deutschen Werke damals
schon der Ansicht war, daß die Durchführung der
brutalen Anordnungen und Zerstörungen den wirtschaftlichen
Erfolg der Deutschen Werke überhaupt in
Frage stellen würden, dann muß man ernsthafter Verwunderung
darüber Ausdruck geben, daß die Gegenmaßnahmen
der Regierung öffentlich so wenig wahrnehmbar
waren.
(Sehr richtig! rechts.)
Auf der Seite des Feindbundes war und ist überall,
wo es sich in Deutschland um die Zerstörung von
kulturellen und wirtschaftlichen Werten handelte, die
würgende Hand Frankreichs bemerkbar.
Die Haltung der Regierung wäre zu erklären, wenn
sie sich hätte sagen können, die Öffentlichkeit ist überzeugt,
daß die Regierung alles tut, was möglich ist. Meine
verehrten Damen und Herren! Die Sache liegt aber so,
daß die Öffentlichkeit erst aufmerksam geworden ist, als
der Peitschenhieb des Generals Rollet der deutschen
Arbeiterschaft ins Gesicht fuhr.
(Sehr richtig! rechts.)
Erst da ist der Öffentlichkeit gegenüber die Regierung
wach geworden.
Sehen wir uns die Lage an! England, Japan
usw. haben wahrhaftig dem deutschen Volke keinen
Vorteil geschenkt, den sie sich durch das Friedensdiktat
als vereinigte Meute schließlich über das heldenhaft
unterlegene deutsche Volk verschafft haben. Ich brauche
nur auf den Untergang unserer Kriegs- und Handelsmarine
hinzuweisen und auf unsere verlorenen
Kolonien aufmerksam zu machen. Aber das Henkeramt
hat sich Frankreich vorbehalten.
(Sehr richtig! rechts.)
Das muß hier festgestellt werden. Es ist den französischen
Staatsmännern und Politikern eine Lust, in
dem zusammengebrochenen deutschen Staatskörper
herumzuwühlen und ihn noch mehr zu zerfleischen.
(Sehr wahr! rechts.)
Das zeigt sich auch bei der vernunftlosen Zerstörung der
Betriebe der Deutschen Werke.
Meine Damen und Herren! So sehen wir leider
zwei Elemente sich bei der allmählichen Vernichtung
der wirtschaftlichen und nationalen Kraft Deutschlands
in die Hände arbeiten. Auf der einen Seite ist es der
wahnwitzige Vernichtungswille Frankreichs und seiner
Trabanten, auf der anderen Seite der in seiner Konsequenz
nicht weniger vernichtende Erfüllungswille
unserer vorigen und jetzigen Regierung.
(Zustimmung bei den Deutschnationalen.)
Wie haben unsere Gegner geistige und materielle deutsche
Arbeit in der chemischen Industrie vernichtet oder an
sich gerissen! Wie haben sie dem deutschen Handel die
Lebensadern abgebunden! Immer furchtbarer geht den
deutschen Arbeitnehmern die Erkenntnis auf, daß letzten
Endes sie das Wild sind, das von der gold- und machthungrigen
Entente gejagt wird. Hunderttausende von
deutschen Arbeitnehmern kommen durch die Vernichtung
des deutschen Staats- und Privatkredits um Heim und
Reichstag. — 143. Sitzung. Donnerstag den 10. November 1921. 4941
(Hartwig, Abgeordneter.)
Brot. Durch die direkte Erdrosselung deutscher Betriebe,
mögen es die Deutschen Werke in Wolfgang bei Hanau,
in Erfurt, in meinem Wohnort Spandau oder mögen
es die deutschen Luftfahrbetriebe sein, überall geht der
Vernichtungskampf sowohl gegen das deutsche Kapital
wie insbesondere gegen die Lebensbedingungen der
deutschen Arbeiterschaft.
(Sehr richtig! rechts.)
Er trifft am bittersten die Zehntausende von Arbeitnehmern;
ihnen raubt er buchstäblich Heim und Brot.
Der Wirtschafts kämpf im Innern — das möchte
ich hier einfügen — zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern
hat seine Berechtigung, wenn er auf einer
Basis geführt wird, die die gegenseitige auskömmliche
Existenzfähigkeit sichert. Dieser Kampf hat nicht nur
seine Grenze an der Sicherung der nationalen und völkischen
Interessen, nein, die nationale Volks- und Wirtschaftsbehauptung
hat unter allen Umständen den Vorrang.
Nur wenn die nationale Volkswirtschaft, der
nationale Zusammenhang in der Volksgemeinschaft gesichert
ist, kann überhaupt erst ein menschenwürdiges
Arbeitnehmer- und Standesdasein erreicht und gesichert
werden. Es muß daher, sowohl von den Arbeitgebern
wie von den Arbeitnehmern, der innere Kampf auf das
denkbarste eingeschränkt werden. Als internationale
Arbeitssklaven — das sind heute Arbeitgeber wie Arbeitnehmer
in Deutschland — müssen wir die nationale
und wirtschaftliche Abwehrfront nach außen finden.
(Sehr richtig! rechts.)
Dazu muß sich deutsches Kapital, deutsche Arbeit,
deutscher Handel und deutsche Wissenschaft verbinden!
(Erneute Zustimmung.)
Der deutsche Gewerkschaftsbund hat durch seinen Vertreter
im Vorläufigen Reichswirtschaftsrat, den christlichen
Metallarbeiter Kreil, einen scharfen Protest gegen
in) die Strangulierung der Deutschen Werke begründen
lassen. Wenn dieser Protest der deutschen Arbeiterschaft
die ganze Verworfenheit des gegen die deutsche Wirtschaft
sich abspielenden Erwürgungsverfahrens klarmachen
soll, dann müssen die deutschen Gewerkschaften,
ganz gleich welcher Richtung, dafür sorgen, daß den
deutschen Arbeitnehmern die Ententestaaten, insbesondere
Frankreich, als die Ausbeuter und Unterdrücker
gezeigt werden, die sie in Wirklichkeit sind.
(Lebhafte Zustimmung rechts.)
Die Spandauer Arbeitnehmer haben kräftige Abwehrworte
gefunden und ein entsprechendes Verhalten angekündigt.
Dieser Vorgang läßt der Hoffnung Raum, daß die
deutsche Arbeitnehmerschaft erkennt, daß die Sicherung
von Vaterland, Kultur und Heim in der nationalen
Organisationsform beruht. Ich möchte wünschen, daß
die deutsche Arbeitnehmerschaft sich politisch immer mehr
dem deutschnationalen Gedanken zuwendet,
(sehr gut! bei den Deutschnationalen)
daß immer stärker die Loslösung der falschunterrichteten
Arbeitnehmermassen von den sozialistischen Organisationen
erfolgt.
(Bravo! bei den Deutschnationalen. — Lachen links.)
Die deutsche Arbeiterpolitik der letzten drei Jahre
ist unter dem Einfluß der sozialistischen Führer unheilvoll,
den wirtschaftlichen und nationalen Interessen der
Arbeiter oft geradezu tödlich gewesen.
(Sehr wahr! bei den Deutschnationalen.)
Während die Sozialdemokratie im inneren Wirtschaftskampf
den utopistischen Forderungen der Straße, oft
unter Außerachtlassung jeder vernünftigen Berücksichtigung
der Tragkraft unserer Wirtschaft, nachkommt —
ich brauche dazu Wohl einzelne Beispiele nicht zu geben,
sie liegen allzunahe bei der Hand —, hat sie gleichzeitig (6)
alles, was an realen Werten vorhanden war und die
Durchführung berechtigter Forderungen der Arbeiter ermöglicht
hätte, durch ihren hemmungslosen Erfüllungswillen
zum Versailler Diktat, durch ihre Unterschrift
unter das Ultimatum und auch durch ihre Zustimmung
zu dem Wiesbadener Abkommen dem Feindbund ausgeliefert.
Von dieser sozialistischen Politik muß sich der
deutsche Arbeiter frei machen.
(Zuruf bei den Sozialdemokraten: Wer hat Ihnen das aufgeschrieben?)
— Herr Abgeordneter Keil, Sie haben es nicht besorgt.
Ich arbeite mit Eigenem.
(Bravo! bei den Deutschnationalen.)
Solch zuverlässige Marxisten, wie Sie einer sind, wollen
wir gar nicht bekehren.
In den letzten drei Jahren ist die Politik der
millionenstarken christlich - nationalen Arbeiterschaft
gegen die sozialdemokratische Negation nicht so aktiv
gewesen, wie Hunderttausende ihrer Anhänger es
wünschen. Es besteht aber volle Hoffnung, daß auch in
dieser Mission die Führung kräftig wieder aufgenommen
wird. Es ist meine feste Überzeugung, daß die nationale
und produktive Zukunft des Vaterlandes auf der Durchführung
der großen Ziele der christlich-nationalen
Arbeiterbewegung beruht.
Warum erhebt sich — so möchte ich an dieser Stelle
einmal fragen — bei der fürchterlichen Drangsalierung
unseres Volkes durch Frankreich und die anderen Ententestaaten
nicht in der neutralen Welt ein wirksamer
Widerspruch gegen die furchtbaren Ungerechtigkeiten?
Uns darüber klar zu werden, ist notwendig, wenn wir
in der neutralen Welt die Überzeugung von der vollen
Aufrichtigkeit unseres Willens zum Wiederaufbau der
deutschen Volkswirtschaft, und dadurch zur Erfüllung
von übernommenen durchführbaren Pflichten, wachrufen
wollen. Verehrte Anwesende! Jetzt ist das gar nicht
möglich.
(Abgeordneter Keil: Sprechen Sie dort
hinüber (nach rechts)!)
— Ich spreche mit Ihnen Herr Keil, wehren Sie sich
dagegen!
(Abgeordneter Kuhnt: Eine besondere Ehre!)
— Jawohl, Herr Kuhnt!
Die Ursache ist zu suchen in der raffinierten Verleumderischen
Macht der französischen und englischen
Propaganda. Aber auch durch die sozialdemokratische
internationale unheilvolle pazifistische Agitaion der
letzten Jahre, die immer einen Teil der Schuld am
Kriege auf Deutschland schob und das deutsche Volk und
seine Führer als mitschuldig am Kriege hingestellt hat.
Dadurch ist bewirkt worden, daß man in der neutralen
Welt der Ansicht ist, daß das deutsche Volk für das, was
es gesündigt habe, bestraft wird. Eine solche Schuld
liegt nicht auf dem deutschen Volke. Wir haben alle
Veranlassung, dafür zu sorgen, daß die Schuldfrage
endlich einmal völlig aufgerollt und vor der ganzen
Welt dargestellt wird, wo die eigentlich Schuldigen
sitzen.
(Zuruf von den Unabhängigen Sozialdemokraten.)
— Darum ist es notwendig, Herr Präsident außer Dienst,
(Heiterkeit)
daß wir feststellen, wo die wirklich Schuldigen sitzen,
und da sind Sie einer der hauptsächlichsten.
Ich möchte aber nicht unterlassen, noch auszusprechen,
daß die Staatsmänner und das Volk in Frankreich
daran denken mögen, daß die Weltgeschichte einmal
für die allen menschlichen und göttlichen Gerechtigkeits-
Reichstag. — 143. Sitzung. Donnerstag den 10. November 1921.
S.4942
(Hartwig, Abgeordneter.)
geboten hohnsprechende Handlungsweise Rechenschaft
fordern wird.
(Sehr richtig! bei den Deutschnationalen.)
Aber es ist hier auch festzustellen, daß die übrigen
Ententestaaten, England, Italien, Amerika, doch daran
denken müssen, daß sie mit Frankreich, dessen Rachegelüsten
sie freien Lauf lassen, verantwortlich sind.
Wir haben keine Machtmittel, ist hier gesagt worden,
uns dagegen zu wehren. Wir haben die Machtmittel,
wir haben auch die berechtigten Proteste, wir haben
jede Erklärung, die in der Welt Eindruck machen könnte,
aus der Hand gegeben, weil wir alles unterschrieben
haben.
Meine Damen und Herren! Herr Kollege Hoch
hat zum Ausdruck gebracht, daß es in Deutschland nicht
verstanden wird, wie der Feindbund alles Material,
das zum produktiven Ausbau verwendet werden kann,
zerstört. Er hat davon gesprochen, daß selbst die
Privatbetriebe nicht mehr vor der Vernichtung sicher
seien. Er hat auf die Tatsache hingewiesen, daß dann
kein Kohlenzug mehr in Deutschland rollen könne. Ja,
er hat recht, wenn er uns das vor Augen führt. Aber
kann er sich darüber wundern? Hat nicht Briand im
französischen Senat erklärt, daß das ganze deutsche
Privateigentum für die Erfüllung der französischen
bezw. der Ententeforderungen dienen soll? Bei dieser
Sachlage war die Verwunderung des Herrn Hoch durchaus
überflüssig.
(Abgeordneter Hoch: Ich habe mich gar nicht gewundert!)
Wenn die französischen Staatsmänner Millerand und Briand, ehemalige Sozialisten, auf diesem menschenmörderischen Standpunkt stehen, dann sind solche Vorgänge nicht verwunderlich. Wenn der Herr Kollege Hoch ruft, er habe sich gar nicht gewundert, dann bin ich doch der Meinung, daß seine Freunde sich die Konsequenzen ihrer Handlungsweise schon damals hätten überlegen müssen.
(Zuruf von den Sozialdemokraten: Das haben sie auch getan!)
— Ihre Freunde, Herr Hoch, haben Herrn Briand und
Herrn Millerand besser gekannt als alle anderen. Sie
sind so oft international mit diesen Herrschaften zusammengekommen,
daß sie sich wohl hätten überlegen
können, wessen diese Menschen fähig waren. Sie haben
geglaubt, wenn sie regierten und unterschrieben, würde
man ihnen nachher Entgegenkommen zeigen.
(Zuruf von den Sozialdemokraten.)
Wessen sie fähig sind, das sehen Sie ja jetzt.
Herr Hoch hat ferner ausgeführt, daß letzten Endes
auch die Menschen dazu gehörten. Jawohl, die will
man auch treffen. Herr Clemenceau hat ja erklärt, in
Deutschland sind 20 Millionen Menschen zuviel.
(Zuruf links: Das war Ihr Parteigenosse Gruber!)
— Das ist Wohl aus verschiedenen Ursachen heraus erfolgt.
Hier handelt es sich um den Vernichtungswillen
Frankreichs gegenüber dem deutschen Volke,
(sehr richtig! rechts)
während Herr Gruber ausgeführt hat, daß die Maßnahmen
Englands, die Blockade und alle die Krankheitsfolgen
des Krieges unsere deutsche Volkswirtschaft
in die Lage gebracht haben, daß Millionen zuviel
da seien.
Es ist schon so, meine Damen und Herren, die
Sozialdemokratie kann sich nicht darauf berufen, sich
nicht damit verteidigen, daß sie mit ihrer Haltung, ihren
Unterschriften Gutes gewollt habe, daß sie nun Gerechtigkeit
erwarte. Sie haben unterschrieben, Sie
haben die Vorbedingungen dafür geschaffen, und Sie
laden deshalb auch die Verantwortung nicht mehr von
sich ab.
(Lebhafte Zustimmung rechts.)
Meine Damen und Herren! Was muß nun
mindestens getan werden? Die Regierung muß in viel
stärkeren Abwehrkampf gegen die Interalliierte Militärkommission
und ihre unberechtigten Anordnungen eintreten.
Zu dieser Aktion muß sie auch das Volk mit
heranziehen. Mit dem Versailler Friedensdiktat und
dem Ultimatum haben wir unterschrieben, daß wir
nicht mehr verhandlungsfähig sind. Verhandelt wurde
weder in Versailles noch in London, weder in Paris
noch in Spa. Wir haben uns überall die Forderungen
der Gegner diktieren lassen müssen. Die Regierung muß
nicht nur im Fall der Deutschen Werke fordern, daß
Deutschland von Volk zu Volk wieder als voll verhandlungsfähig
anerkannt wird. Sonst hat alles
Protestieren keinen Zweck.
(Lebhafte Zustimmung rechts.)
Welches Ansehen genießt denn heute die deutsche Regierung
im Auslande? Sehen wir uns einmal die Antwort
an, die der Delegierte der Interalliierten Militärkommission
in Frankfurt a. M. der Direktion des
Werkes Wolfgang gegeben hat!
(Sehr wahr! rechts.)
Der Schlußpassus war: es bleibt dabei!
(Sehr richtig! rechts.)
Sehen wir uns die Antwort an, die General Nollet der
Direktion der Deutschen Werke gegeben hat! Auch sie
geht dahin: es bleibt dabei! Als Herr Nollet in Paris
Herrn Briand Bericht erstattete und Briand ihn fragte,
ob er einen Widerstand der deutschen Regierung befürchte,
antwortete Nollet: Nein, die deutsche Regierung
wird in dieser Frage ebenso nachgeben, wie sie es in
allen andern Fragen getan hat.
(Lebhafte Rufe rechts: Hört! Hört!)
Es wäre wünschenswert, wenn die Regierung, wenn
der Herr Reichsschatzminister Bauer von dieser Stelle
aus Herrn Briand die Antwort gäbe.
(Lebhafte Zustimmung rechts.)
Zum zweiten ist notwendig, daß kein deutscher
Arbeitnehmer sich dazu hergibt, Anordnungen der
Interalliierten Militärkommission auszuführen, insbesondere
Anordnungen auf Zerstörung von Werten, bei
denen nicht unzweifelhaft feststeht, daß die Zerstörung
nach den bisherigen Verträgen zu Recht verlangt wird.
Solange Frankreich seinen Vernichtungsfeldzug
gegen uns fortsetzt, muß es Ehrenpflicht deutscher
Männer und Frauen sein, französische Erzeugnisse zu
meiden.
(Zuruf links: Kognak und Sekt!)
— Jawohl, auch französischen Kognak und Sekt. —
Die deutsche Arbeitnehmerschaft — das ist Voraussetzung,
um zu einer gesunden deutschen nationalen
Politik zu kommen — muß sich von der marxistischen
Politik abkehren und sich christlichen und nationalen
Ideen zuwenden, einer Politik, die uns allein wieder
zu einer gesunden deutschen Volksgemeinschaft führen
kann.
(Bravo! rechts.)
Dazu ist schließlich notwendig, daß das deutsche Arbeitgebertum
sich ebenfalls auf diesen Boden stellt und sich
auf diesem Boden solidarisch erklärt.
Meine Damen und Herren! Ich bin überzeugt, daß
wir ohne ideale Erneuerung in noch tieferes Elend
hineinkommen werden. Ich bin aber auch davon überzeugt,
daß der Vorfall mit den Deutschen Werken dem
deutschen Volke die Augen dafür öffnen kann, daß die
bisherige Politik nicht weiter geführt werden darf.
Reichstag. — 143. Sitzung. Donnerstag den 10. November 1921. 4943
(Hartwig, Abgeordneter.)
Daher hoffe ich doch, daß die furchtbare Drangsalierung,
die unsere Feinde uns fortwährend angedeihen lassen,
deren Opfer immer mehr die deutsche Arbeiterschaft
wird, dazu führen, daß bald der Tag kommt, von dem
der Interpellant, Herr Abgeordneter Müller, in seinem
schon angeführten Kommentar spricht, daß er den Tag
begrüßen würde, wo die Interalliierte Kommission aus
dem Lande ginge. Sie (nach links) haben sie uns hineingeführt.
Mit Ihrer Politik führen Sie sie nicht heraus,
wohl aber wird sie durch eine deutsche und nationale
Politik wieder aus dem Vaterlands herausgeführt
werden.
(Lebhaftes Bravo bei den Deutschnationalen.)
Vizepräsident Dittmannr Das Wort hat der Herr
Abgeordnete Brüninghaus.
Brüninghaus, Abgeordneter-.
Meine Damen und
Herren! Die Ausführungen der Herren Vorredner und die
sehr klare und erschöpfende Darlegung des Herrn Reichsschatzministers
haben wohl jeden von uns davon überzeugt,
daß der Eingriff der Interalliierten Militärkommission
in das deutsche Wirtschaftsleben durch nichis
gerechtfertigt ist und auch keinerlei Begründung in den
Bestimmungen des Versailler Friedensoertrages finden
könnte.
Ich kann es mir nach den ausgiebigen Darlegungen
des Herrn Interpellanten, des Herrn Abgeordneten Hoch,
ersparen, auf Einzelheiten einzugehen, möchte nur noch
ans meiner Kenntnis der Dinge heraus eins hinzufügen,
nämlich, daß diese unendlich vielen Kommissionen, hohe,
mittlere und niedre und Kommissiönchen, wenn man in
den Wust von Verfügungen, der über das deutsche
Wirtschaftsleben ausgeschüttet wird, etwas näher hineinsteigt,
anscheinend nur den Zweck haben, zum großen
Teil wenigstens, ihre Existenzberechtigung beweisen zu
wollen.
(Sehr richtig!)
Ein derartiger Wust von sich widersprechenden Verfügungen
ist erlassen worden — das gilt auch in Beziehung auf
die Deutschen Werke Aktiengesellschaft —, daß man sich
an den Kopf faßt und fragt: wie kommt es, daß diese Verfügungen
überhaupt erlassen werden konnten? — und dann
zu dem Schluß kommt: sie wurden erlassen, damit die
betreffenden Inhaber der Kommissionsämter darlegen, daß
sie überhaupt irgendeine Existenzberechtigung haben.
(Sehr gut! im Zentrum und rechts.)
Meine Damen und Herren! Ich habe es bedauert,
daß der Herr Abgeordnete Hoch, der sich im ersten Teile
seiner Rede rein sachlich geäußert hat — und diese seine
sachlichen Ausführungen können auch von mir und meinen
Parteifreunden unterschrieben werden —, es für richtig
gehalten hat, in dieser Frage die Rechtsparteien, wie er
sich ausdrück e — offenbar also auch die Partei, der anzugehören
ich mir zur Ehre anrechne —, bet dieser Gelegenheit
in einer geradezu hetzerischen Weise anzugreifen, die
ich nicht unwiderspi ochen lassen möchte. Herr Hoch hat es
für richtig gehalten, auf die Kriegsursache und auf Borgäuge
im Krieae zurückzugehen, die er nach meiner Auffassung
in vollständig falscher Weise dargestellt hat.
(Sehr richtig! rechts.)
Der Herr Abgeordnete Hoch hat sich dabei wieder in
jenen Gedankengängen bewegt, die die Herren von der
Sozialdemokratie und von der Linken während des
Krieges immer leiteten, daß nämlich eine Verständigung
mit unsern Gegnern ohne weiteres möglich gewesen wäre,
ohne dabei zu berücksichtigen — wie ich annehme, unwissentlich
und ohne Absicht —, daß zum Verständigen
immer zwei gehören.
(Sehr gut! rechts.)
In diesem Zusammenhange ist es interessant, daß (0)
gerade ganz vor kurzem Prinz Sixtus von Parma, der
ja ein bekannter — reckt unrühmlich bekannter! — Mann
ist, seine Denkwürdigkeiten herausgegeben hat, und zwar
unter dem Titel: Österreichs Sonderfriedensangebot vom
5. Dezember 1916 bis 12. Oktober 1917.
In diesen Aufzeichnungen bringt er zum Ausdruck,
daß er im Mai 1917 mit dem französischen Präsidenten
Poincars eine Unterredung gehabt hat, und daß Poincars
— Herr Hoch, hören Sie, bitte, nur zu! Sie können dabei
vielleicht etwas lernen! —
(Unruhe und Zurufe bet den Sozialdemokraten)
bei dieser Gelegenheit folgendes geäußert hat:
Frankreich führt den Krieg um die Gebiete, die
es 1814 nach dem Zusammenbruch des ersten
Kaiserreichs — des ersten! — verloren hat.
(Lebhafte Hört-Hört-Rufe rechts)
Rußland führt den Krieg um Konstantinopel.
(Hört! hört! rechts)
England verlangt nichts von Österreich. Frankreichs
Interesse ist, Österreich zum Schaden
Deutschlands zu vergrößern. Das kann dadurch
gescheben, daß wir den Habsburgern ganz Schlesien
und Bayern geben.
(Hört! hört! rechts und bei der Bayerischen Volkspartei.)
Mit Deutschland schließen wir keinen Verständigungsfrieden
(Lebhafte Rufe rechts: Hört! hört!)
Das sagt Herr Poincaré im Mai 1917; dieser selbe Herr
Poincaré. der in seinen Reden, die er in Paris, in der
Akademie, an der Universität hält, sich hinstellt und erklärt,
Frankreich wäre allein für die Erhaltung der heiligsten
Güter und für die Ideale des Rechts, der Freiheit usw.
in den Krieg gezogen, dieser selbe Herr Poincaré, der
natürlich dabei die Taktik jenes Diebes verfolgt, der, als
er gefaßt werden sollte, wegläuft und dann schreit: Haltet
den Dieb! Herr Poincars, der wörtlich in einer seiner
Reden gesagt hat:
Ihr. Ihr Franzosen, müßt immer bedenken, daß
der Friede von Versailles seine sittliche Grundlage
nicht in dem Ausgange des Krieges, sondern in
der Entstehung des Krieges hat.
(Hört! hört! rechts )
Nun haben wir ja mit Ingrimm und Schmerz im
Herzen die oberschlesische Entscheidung vor einigen Wacken
entgegennehmen müssen, und gerade die Denkwürdigkeiten
des Prinzen Sixtus von Parma, eines gewiß unverdächtigen
Zeugen, geben uns auch nach der Richtung hm Aufschluß,
daß bereits im Jahre 1917 Frankreich fest entschlossen
war, Oberschlesien an Polen fallen zu lassen.
(Sehr richtig! und hört! hört! rechts.)
Meine Damen und Herren! Den politischen Machthabern
an der Seine schwebt nach meiner Auffassung immer jenes
Wort Napoleons I. vor, das er in seinem politischen
Testament in St. Helena geschrieben hat:
Ich habe Preußen nicht genug geschwächt, und
ich habe Polen nicht stark genug gemacht.
Nun sagt Prinz Sixtus von Parma über die Verhandlungen
der französischen und der österreichischen Regierung:
schließlich wurde in einer diplomatisch zurechtgestutzten
Note folgendes gesagt:
Die Entente muß alle Mittel anwenden, Österreich
von Deutschland loszubringen und Deutschland heimzuzahlen, was es durch die Beseitigung
Rußlands uns getan hat. Frankreichs einziger
Feind ist Deutschland. Preußen muß zu völliger
Machtlosigkeit herabgedrückt werden. Die Entente
muß also einen starken Bund im Osten schaffen
mit slawischer Majorität unter Einbeziehung
Polens, das von Danzig bis zu den Karpathen
----- Ende des Auszugs -----