Wir kommen nunmehr zur
Anfrage Nr. 998, Hartwig (Nr. 2615 der
Drucksachen).
Zu ihrer Verlesung hat das Wort der Herr Abgeordnete
Hartwig.
Hartwig, Abgeordneter:
Was gedenkt die Reichsregierung zu tun, um
der herrschenden Ungewißheit in den einzelnen
Finanzämtern und der Unsicherheit im bauwilligen
Publikum über den Begriff des „gemeinen
Wertes" im § 59 des Reichseinkommensteuergesetzes
abzuhelfen, da durch das Fehlen
einer bestimmten Anweisung an die Ämter und
die dadurch geschaffene Unklarheit der steuerrechtlichen
Lage im Einzelfall die im Gesetzesparagraphen
vorgesehenen Steuererleichterungen
bei Neubauten illusorisch werden? Der bisherige
Brauch des Finanzministeriums, die Festlegung
der maßgebenden Gesichtspunkte mit der einzigen
Einschränkung der Bindung an § 138 der
Reichsabgabenordnung den einzelnen Finanzämtern
zu überlassen, hat zu Unklarheiten geführt,
da die letzteren zumeist gar nicht in der
Lage sind, Entscheidungen in dieser Hinsicht zu
treffen, sondern sich für gewöhnlich notgedrungen
auf die Gutachten von jeweiligen Sachverständigen
stützen müßten. In Hunderten von Fällen
sind dadurch ernste Bauvorhaben nicht zur Ausführung
gekommen. Eine einheitliche Regelung
durch die Zentralstelle ist daher dringend erforderlich,
um den Willen des Gesetzgebers, der
im § 59 des Reichseinkommensteuergesetzes ausgesprochen
ist, auch zur tatsächlichen Auswirkung
kommen zu lassen.
Präsident: Zur Beantwortung der Anfrage hat
das Wort der Herr Ministerialrat Kuhn.
Kuhn, Geheimer Regierungsrat, Ministerialrat
im Reichssinanzministerium, Kommissar der Reichsregierung:
Nach Lage der gesetzlichen Vorschriften
ist der Reichsminister der Finanzen nicht
ermächtigt, zur Ausführung des § 59 Abs. 1a des Einkommensteuergesetzes
bestimmte Anordnungen über die
ziffernmäßige Höhe des gemeinen Wertes der Kleinwohnungsbauten
und damit über die Höhe der steuerfreien
Überteuerungskosten zu erlassen. Bei der Verschiedenartigkeit
der örtlichen Verhältnisse im Reich ist
es aber auch für den Reichsminister der Finanzen nicht
möglich, im Wege von Ausführungsbestimmungen
irgendwelche ziffernmäßigen Grundlagen für die Veranschlagung
dieses gemeinen Wertes zu geben. Die
Feststellung des gemeinen Wertes der errichteten Kleinwohnungsbauten
muß unter diesen Umständen im einzelnen
Falle den Veranlagungs- und gegebenenfalls den
Rechtsmittelbehörden überlassen werden, die dabei von
den Vorschriften des § 138 der Reichsabgabenordnung
auszugehen haben. Als Anhaltspunkte könnten hierbei
wohl unter anderen die beim Bau von gleichartigen
Wohnungen für die gleiche Ortschaft oder für benachbarte
Ortschaften mit annähernd gleichen Wirtschaftlichen
Verhältnissen im Baukostenzuschußverfahren ermittelten
sogenannten rentierlichen Werte in Betracht
gezogen werden.
Um den Steuerpflichtigen, die die Errichtung von
Kleinwohnungsbauten planen, Gelegenheit zu geben,
schon vor Inangriffnahme des Baues sich ein ungefähres
Bild von der Höhe der steuerfreien Abzüge im
Sinne von § 59 Abs. 1a des Einkommensteuergesetzes
zu verschaffen, werden die Finanzämter angewiesen
werden, etwaigen Anfragen von Steuerpflichtigen über
die Höhe dieser Abzüge, mit deren Zulassung bei der
Veranlagung zu rechnen ist, eine möglichst eingehende
Auskunft zu erteilen, sofern hierfür ausreichende Unterlagen,
wie Baukostenanschläge, Sachverständigengutachten
u. dergl., beigebracht werden.
(Sehr gut! rechts.)
Dabei wird jedoch darauf hingewiesen, daß die endgültige
Entscheidung über die Höhe der steuerfreien
Abzüge den Steuerausschüssen und gegebenenfalls den
Rechtsmittelinstanzen zusteht.
Präsident: Zur Verlesung der
Anfrage Nr. 1001, Behrens (Nr. 2618 der
Drucksachen),
hat das Wort der Herr Abgeordnete Behrens.
Behrens, Abgeordneter:
Durch die Abtretung eines Teils von
West-Preußen an Polen ist die Stadt Bischofswerder
im Kreise Rosenberg, soweit sie bei Deutschland
geblieben ist, von jeglichem Bahnverkehr abgesperrt.
Die Preußische Staatsregierung hat
bereits im Februar 1920 in einem Staatsministerialbeschluß
das feierliche Versprechen gegeben,
die Stadt solle eine neue Bahn für die
verlorene bekommen, wenn die Stadt und Umgebung
bei Deutschland verbleiben. Bischofswerder
und Umgebung ist bei Deutschland verblieben,
aber das Versprechen der preußischen
Staatsregierung ist bis zur Zeit noch nicht eingelöst.
Die Lage der Stadt und Umgebung, infolge
des Mangels an Bahnverbindung, wird
immer unerträglicher.
Ich frage den Herrn Reichskanzler, ob ihm
diese mitgeteilten Tatsachen bekannt sind und ob,
seitdem die Preußischen Staatsbahnen auf das
Reich übernommen sind, die Pflicht des Reichs
anerkannt wird, das von Preußen gegebene Versprechen
einzulösen. Wann soll eventuell mit dem
Bau der Bahn begonnen werden?
Präsident: Zur Beantwortung der Anfrage hat
das Wort der Herr Ministerialrat Mellin.
Mellin, Ministerialrat im Reichsverkehrsministerium,
Kommissar der Reichsregierung:
Die Vorgänge, betreffend
die Entstehung des Planes einer neuen Bahn
für die Stadt Bischosswerder, sind der Reichsregierung
bekannt. Mit Rücksicht auf diese Vorgänge ist das Reich
bereit, eine Lösung der Frage der Bahnverbindung der
Stadt Bischofswerder unter der Beteiligung Preußens
herbeizuführen. Die Frage aber, auf welche Weise das
geschehen soll, ist noch nicht genügend geklärt, da die
Baukosten einer Nebenbahn ohne die Kosten des Grunderwerbs
und der Betriebsmittel bei der allgemeinen
Entwurfsbearbeitung auf mehr als 50 000 000 Mark geschätzt
worden sind und die Beteiligten mit Rücksicht auf
die sich hieraus ergebenden Schwierigkeiten statt der
Ausführung der Nebenbahn die Herstellung einer Kleinbahn
angeregt haben. Es sind deshalb erneute Ermittlungen
durch die Eisenbahndirektion in Königsberg erforderlich
geworden, vor deren Beendigung, die möglichst
beschleunigt werden soll, die Entschließung der
Reichsregierung nicht erfolgen kann. Unter diesen Umständen
läßt sich heute ein Zeitpunkt noch nicht angeben,
wann mit dem Bahnbau begonnen werden wird.
Präsident: Zur Verlesung der
Anfrage Nr. 1006, Künstler (Nr. 2623 der
Drucksachen),
hat das Wort der Herr Abgeordnete Künstler.
Künstler, Abgeordneter:
Die Presse brachte vor einigen Tagen die
Meldung, daß die Hoch- und Landesverräter aus
dem Kapp-Putsch, die Marineoffiziere Löwenfeldt
und Ehrhardt, sich der besonderen Gunst unseres
republikanischen Reichswehrministers erfreuen.
So soll nach dem „Vorwärts" der Kappist
Löwenfeldt als Fregattenkapitän in der „schwarzrot-
goldenen republikanischen Marine" Dienst
tun, ferner auf „höheren Befehl" zum Kommandanten
der Schifssstammdivision Ostsee ernannt
worden sein.
Desgleichen wird behauptet, daß der „angeblich"
steckbrieflich verfolgte Rebell Ehrhardt mit
voller Pension entlassen sei.
Ich frage daher an:
I. Hält der Reichswehrminister die Beförderung
von monarchistischen Rebellen mit
seiner Stellung als „republikanischer Minister"
vereinbar?
II. Wie heißt die „amtliche Stelle" und „Verfügung",
die dem Ehrhardt auf Kosten der
Republik eine volle Pension zugesprochen hat?
III. Wie erhebt nun der steckbrieflich Verfolgte
seine Pension?
Präsident: Das Wort zur Beantwortung der Anfrage
hat Herr Korvettenkapitän Heusinger v. Waldegg.
Heusinger v. Waldegg,
Korvettenkapitän, Kommissar
der Reichsregierung:
Die Anfrage 1006 wird
wie folgt beantwortet:
Zu I. Nein.
Zu II und III. Die Pension des Korvettenkapitäns
Ehrhardt ist bestimmungsgemäß errechnet worden, aber
selbstverständlich gesperrt bis zur Entscheidung durch
das Reichsgericht.
Präsident: Zur Ergänzung der Anfrage hat das
Wort der Herr Abgeordnete Künstler.
Künstler, Abgeordneter:
In Ergänzung frage ich
an, ob, nachdem durch zuverlässige Meldungen der
Aufenthaltsort des Ehrhardt in München festgestellt
war, von seiten des Reichswehrministeriums alles
unternommen wurde, um diesen Bandenführer dingfest
zu machen. Wenn ja, welche Schritte sind unternommen
worden, und warum haben sie bisher nicht
zum Erfolg geführt?
Präsident: Wird das Wort noch verlangt?
(Korvettenkapitän Heusinger v. Waldegg: Nein!
Ich habe keinen Auftrag zur weiteren Beantwortung.)
Diese Anfrage müßte auch an den Justizminister
gerichtet werden.