Zur Verlesung der
Anfrage Nr. 562, Hartwig, Schimmelpfennig
(Nr. 1169 der Drucksachen),
hat das Wort der Herr Abgeordnete Hartwig.
Hartwig, Abgeordneter:
Nach Verfügung R.A.M. V.B. Nr. 7291120
vom 8. November 1920 mußte sämtlichen Angestellten
der Lazarette, die Anspruch auf sechswöchige
Kündigung zum Vierteljahrsersten haben,
gekündigt werden mit dem Hinzufügen, daß die
Kündigung bei einem Teile rückgängig gemacht
werde und daß Richtlinien folgten. Die
Kündigung geschah am 15. November zum
31. Dezember.
Die Richtlinien sind am 30. November ausgegeben
worden, sie kamen am 4. Dezember in
die Hand der Dienststellen. Diese waren aber bis
zum 6. Dezember noch ohne die Ausführungsbestimmungen.
Die sachliche Berechtigung der Verfügung
wird nicht in Zweifel gezogen. Die Wirkung der
Verfügung ist eine starke Zusammenlegung der
Lazarette und erhebliche Personalverminderung.
Für das gekündigte Personal, das in diesen
drei Wochen sich in großer Ungewißheit befand,
liegt in dem Verhalten der Regierung eine große
Härte.
Worauf ist es zurückzuführen, daß erst drei
Wochen nach Erlaß der Verfügung die Richtlinien,
und zwar ohne Ausführungsbestimmungen,
erschienen sind? Wie gedenkt die
Reichsregierung den Geschädigten zu helfen?
Präsident: Zur Beantwortung der Anfrage hat
das Wort der Herr Ministerialrat vr. Martineck.
vr. Martineck, Ministerialrat im Reichsarbeitsministerium,
Kommissar der Reichsregierung:
Ein
Abbau des Personals der Versorgungskrankenhäuser
war deshalb erforderlich, weil die Personenzahl im
Durchschnitt mehr als 50 Prozent der Anzahl der
Lazarettinsassen (in einzelnen Fällen sogar bis
180 Prozent) betrug.
Eine Beschleunigung dieses Personalabbaues war
durch die in der Reichsratssitzung vom 14. 10. 20 vorgenommenen
Kürzung des Haushaltspostens für das
Lazarettpersonal (Haushalt 1920) um 30 Millionen
geboten.
Die Durchführung dieser beschleunigten Verminderung
war zum 1. Januar 1921 geplant. Dabei konnte
allen Angestellten mit 6 wöchiger Kündigungsfrist zum
Vierteljahrsersten nur dann rechtzeitig gekündigt
werden, wenn ihre Kündigung spätstens am 15. 11. 20
erfolgte. Durch den Kündigungserlaß vom 8. 11. 20
wurde daher für diese Angestellten allgemein die Kündigung
zum 1. 1. 21 ausgesprochen. Vor der Kündigung
hatten Besprechungen mit den Spitzenorganisationen
der beteiligten Gewerkschaften stattgefunden.
Am 20. 11. 20 folgte ein zweiter Erlaß, der die
weiteren, bei dem übrigen Personal noch erforderlichen
Kündigungen anordnete. Dieser zweite Erlaß enthielt
neben den Ausführungsbestimmungen die im ersten
Erlaß bereits angekündigten Richtlinien. Weitere Ausführungsbestimmungen
zu den beiden Erlassen sind
vom Reichsarbeitsministerium nicht ergangen.
Zwischen dem Erscheinen des ersten Kündigungserlasses
und des zweiten, der die Richtlinien enthielt,
lagen also nicht 3 Wochen, sondern 12 Tage. Eine
schnellere Erledigung der hierzu erforderlichen Vorarbeiten
war nicht möglich, weil die Spitzenorganisationen
der beteiligten Gewerkschaften zunächst Abschrift
der Richtlinien erhalten hatten und ihnen Gelegenheit
zur Äußerung ihrer Wünsche gegeben werden
sollte.
Durch einen inzwischen vor dem Zentralschlichtungsausschuß
geschlossenen Vergleich ist den zu Entlassenden
der Übergang in eine neue Stellung erleichtert
worden, insbesondere dadurch, daß die Entlassung
sämtlicher Lazarettangestellten bis 15. Februar hinausgeschoben
worden ist.
Präsident: Zur Verlesung der
Anfrage Nr. 564, D. Dr. Kahl und Genossen
(Nr. 1196 der Drucksachen),
hat das Wort der Herr Abgeordnete Dr. Kahl.
D. Dr. Kahl, Abgeordneter:
Durch die Presse ging die Notiz, daß in
Türkismühle a. d. Nahe vor einigen Tagen — die
Anfrage ist vom 16. Dezember 1920 — in einem
deutschen Eisenbahnwagen, der nach Frankreich
geschickt und wieder zurückgekommen war, folgender
Notschrei eines deutschen Kriegsgefangenen,
mit Bleischrift geschrieben, entdeckt wurde:
„Ich bin seit 1914 in französischer Gefangenschaft
und zu 20 Jahren Zwangsarbeit
verurteilt. Ich darf meinen Eltern
keine Nachricht geben. Ich bitte, wenn
dieser Wagen in Deutschland ankommt,
meinen Eltern Nachricht zu geben, daß ich
noch am Leben bin, und sofort Anzeige zu
erstatten. Georg Weihrich, Rohrbach, Pfalz.
Dasselbe gilt von meinem Freunde
Ludwig Rammo."
Auf Erkundigung bei der Bürgermeisterei
Rohrbach bei St. Ingbert kommt der Bescheid:.
„Anfrage mit dem Beifügen zurück, daß
es hier eine Familie Weihrich gibt, deren
Sohn seit September 1914 vermißt ist.
Dieser ist mit dem, der den Notschrei geschrieben
hat, identisch."
Wir fragen an:
Ist die Reichsregierung bereit zu untersuchen,
welche Tatsachen dieser Zeitungsmitteilung zu
Grunde liegen, gegebenenfalls wenigstens dafür
zu sorgen, daß die schwer bekümmertem Eltern
Gewißheit über das Schicksal ihres Sohnes erhalten?
Präsident: Zur Beantwortung der Anfrage hat
das Wort Herr Oberst Bauer.
Reichstag. — 53. Sitzung. Freitag den 21. Januar 1921. S.1973
Bauer, Oberst a. D. in der Reichszentralstelle für
Kriegs- und Zivilgefangene, Kommissar der Reichsregierung:
Die Reichszentralstelle für Kriegs- und
Zivilgefangene als zuständige Behörde, der die Nachricht
über die aufgefundene Inschrist durch das
Zollamt Türkismühle bereits vor der Veröffentlichung in
der Presse zugegangen war, hatte die erforderliche Untersuchung
sofort eingeleitet.
Es hat sich bisher nicht feststellen lassen, ob der
Schreiber der Inschrift in dem Eisenbahnwagen mit dem
Vermißten identisch ist. Ein Vermißter Ludwig Rammo
hat sich bisher überhaupt nicht feststellen lassen.
Georg Weihrich ist am 25. August 1914 schwer verwundet
in Gefangenschaft geraten und hat aus der Geangenschaft
niemals Nachricht gegeben, so daß anzunehmen
st, daß er nicht mehr unter den Lebenden weilt. Unter
einem Namen und mit seinen Papieren befand sich im
Jahre 1914/15 im französischen Gefangenenlager Castres
ein Mann, der nach Meldung des französischen Lagerkommandanten
vom 25. August 1915 ein Schwindler war
und sich die Papiere Weihrichs angeeignet hatte. Er war
angeblich weder deutscher Reichsangehöriger noch Kriegsgefangener.
Nach Aussage von Kameraden hat dieser
Mann meist italienisch gesprochen und nicht mit ihnen
verkehrt. Georg Weihrich konnte nach Mitteilung seiner
Eltern nicht italienisch sprechen, kann also mit diesem
Mann nicht identisch gewesen sein.
Das Internationale Rote Kreuz, Genf, hat seinerzeit
den Verbleib des vermißten Weihrich nicht feststellen können.
Durch das Auswärtige Amt ist nunmehr die französische
Regierung um Ermittelungen nach dem Verbleib
des vermißten Weihrich ersucht worden und ist insbesondere
gefordert, daß der falsche Weihrich darüber vernommen
werde, wie er in den Besitz der Papiere des Georg Weihrich
gekommen ist und was er über seinen Verbleib weiß.
Sobald ein Ergebnis feststeht, werden die Eltern
davon in Kenntnis gesetzt.
Präsident: Zur Verlesung der
Anfrage Nr. 567 Pieper (Westfalen), Ernst
(Nr. 1199 der Drucksachen),
hat das Wort der Herr Abgeordnete Pieper (Westfalen).
Pieper (Westfalen), Abgeordneter:
Durch das Abkommen von Spa wurde der
deutschen Regierung von der Entente für die abzuliefernde
Kohlenmenge pro Tonne eine Prämie
von fünf Goldmark zugesichert, welche restlos
zur Aufbesserung der Lebensverhältniffe der Ruhrbergarbeiter
benutzt werden sollte. Die durch die
Regierung informierte Presse behauptete am
3. Dezember 1920, die Prämie sei restlos für
die festgelegten Zwecke verwendet worden.
Vor der Kammerkommisston für auswärtige
Angelegenheiten des französischen Parlaments gab
der französische Ministerpräsident Leygues die Erklärung
ab, daß Deutschland die Prämie in keiner
Weise zur Hebung der Lebenshaltung der Ruhrbergarbeiter
benutzt hat. daß im Gegenteil die
deutsche Regierung die Goldmarkprämie zu finanzielten
Transaktionen benutzte, an der sogar ausländische
Kapitalisten stark profitierten.
Ist die Reichsregierung bereit, genaue Angaben
über die Höhe der eingegangenen Goldmarkprämie
zu geben? Ist sie bereit, eine genaue Aufstellung
dem Reichstag zu übermitteln, in welcher
Weise die Goldmarkprämie Verwendung fand?
Ist sie ferner bereit, einer Kontrollinstanz aus
selbstgewählten Vertretern der Ruhrbergarbeiter
regelmäßig Einsicht in die Verwendung der Goldmarkprämie
zu gewähren?
Präsident: Zur Beantwortung der Anfrage hat (0)
das Wort Herr Ministerialrat Dr. Sitzler.
Dr. Sitzler, Ministerialrat im Reichsarbeitsministerium,
Kommissar der Reichsregierung:
Die Reichsreqierung
ist jederzeit bereit, genaue Angaben über die Höhe der
eingegangenen Goldmarkprämien zu geben.
Bisher sind folgende Beträge eingegangen:
1. von Frankreich:
für Augustlieferungen . . .19 198 311,
für Septemberlteferungen. . 17 680 472 und
für Oktoberlieferungen . . 23 164 950 Franks
insgesamt........................ 60 043 733 Franks,
die einen Gegenwert von 266 585 765,6? Mark
ergaben.
2. von Belgien:
für Augustlieferungen . . . 2 728 000 und
für Septemberlieferungen . . 3 123 000 Franks
insgesamt........................ 5 851 000 Franks
mit einem Gegenwert von 26 329 500 Mark.
Weitere Zahlungen sind bisher von Frankreich und
Belgien nicht eingegangen; von Italien sind überhaupt
noch keine Beträge gezahlt worden.
Insgesammt sind also bisher an Papiermark eingegangen:
292 915 265,67 Mark.
Uber die Art der Verwendung, insbesondere über
Art und Umfang der zu beschaffenden Lebensmittel, ist mit
den Bergarbeitern nach eingehenden Aussprachen stets
eine Verständigung erzielt worden.
Für die Verbilligung dieser Lebensmittel hat das
Reich in Erwartung der Einnahmen aus der Fünfgoldmarkprämie
Beträge aufgewendet, die die bisherigen Zahlungen
der Entente bei weitem überschreiten.
Es sind bisher verausgabt worden:
zur Herstellung von Bergarbeiterwurst und
Beschaffung von Förderprämienspeck bis 30. November
1920 rund
240 000 000 M
für Überschichtenfett und Zuckereinkäufe
131 000 000 M
An Zahlungen für bereits gelieferte,
aber noch nicht abgerechnete Waren sind
vom Reich noch zu leisten:
für Bergarbeiterwurst und Förderprämienspeck
in den Monaten
Dezember und Januar
rund
144 000 000 M
für Überschichtenfett, Zuckerlieferungen
und andere Lebensmittelvergünstigungen
rund
174 000 000
insgesamt 689 000 000
gegenüber einer Einnahme von
bisher rund 293 000 000 M.
Außer diesen Beträgen hat das Reich aus den Einnahmen
des sogenannten Zweimarkfonds, der durch einen
Aufschlag von 2 Mark auf die Tonne Inlandskohle gewonnen
wird, zur Verbilligung von Lebensmitteln, Textilien und Schuhen für Bergarbeiter die Summe von
267 160 966 Mark verausgabt.
Die Lieferung von Bergarbeiterwurst und des Förderspecks
erfolgt unter Mitwirkung der Reichsfleischstelle durch
die Provinzialfleischstellen, die Lieferung des Zuckers durch
die Reichszuckerausgleichs-Gesellschaft. Das Überschichtenfett
wird teils durch die Reichsfettstelle, teils durch Erteilung
besonderer Einfuhrgenehmigungen an die Bergbauvereine
oder deren Beauftragte beschafft. Der Einkauf
von Textilien und Schuhwaren geschieht durch eine aus
Arbeitgebern und Arbeitnehmern bestehende Kommission
unter Mitwirkung von Regierungsvertretern.