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Präsident: Zur Verlesung der Anfrage Nr. 534, Lambach und Genossen (Nr. 1078 der Drucksachen),
hat das Wort der Herr Abgeordnete Hartwig.

Hartwig, Abgeordneter:

Am 5. Februar 1919 erließ die Reichsregierung eine Verordnung, wonach ab 1. April 1919 Gehilfen, Lehrlinge und Arbeiter an Festtagen und Sonntagen nicht beschäftigt werden dürfen. Am 30. Juli 1919 verfügte aber entgegen dieser Verordnung die bayerische Regierung, daß für Bayern diese Bestimmung durch eine ganze Reihe von Ausnahmen durchbrochen werden soll. Sie stützt sich dabei auf § 15s der Gewerbeordnung, dem sie unveränderte Rechtsgeltung zuschreibt.

Diese Durchlöcherung der Sonntagsruhe hat in der bayerischen Angestelltenschaft lebhafte Erregung hervorgerufen. So haben am 31. Oktober und am 1. November der Gauvorstand und die Geschäftsführertagung des Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verbandes als Vertretung von 17 500 bayerischen Handlungsgehilfen gegen diese Durchlöcherung einer Reichsverordnung seitens der bayerischen Regierung lebhaft Protest (6) erhoben und für alle aus dieser Verfügung sich ergebenden Schwierigkeiten und Störungen des Wirtschaftsfriedens die Verantwortung dafür vielmehr restlos der beteiligten Staatsregierung aufgebürdet.

Sind der Reichsregierung diese Tatsachen bekannt, und was gedenkt sie zu tun, um ihrer Verordnung auch in Bayern Geltung zu verschaffen?

Präsident: Zur Beantwortung der Anfrage hat das Wort Frau Regierungsrat Lüders.

Frau Lüders, Regierungsrat im Reichsarbeitsministerium, Kommissar der Reichsregierung:

Infolge der Anfrage Nr. 470 — Nr. 908 der Drucksachen —, welche die gleiche Angelegenheit betrifft, hat sich das Reichsarbeitsministerium mit der bayerischen Regierung in Verbindung gesetzt. Die bayerische Regierung hat mitgeteilt, daß „die beteiligten Ministerien zurzeit damit befaßt sind, die sämtlichen von den acht Kreisregierungen zu § 105e der Gewerbeordnung erlassenen Vollzugsvorschriften daraufhin zu prüfen, inwieweit sie einer gegenseitigen Angleichung zugeführt werden können; hierbei soll in Verhandlungen mit den beteiligten Organisationen der Handlungsgehilfen, der Gewerbetreibenden und der Verbraucher eine Regelung gesucht werden, die, selbstverständlich im Rahmen der reichsgesetzlichen Bestimmungen, zwischen den verschiedenartigen Interessen einen Ausgleich schafft."

Nicht nur aus Bayern, sondern auch aus anderen Teilen des Reiches laufen beim Reichsarbeitsministertum fortgesetzt Klagen darüber ein, daß die Landbevölkerung, die bei der Auswahl der Zeit für ihre Einkäufe stärker als die Stadtbevölkerung auf die Witterung angewiesen ist, nicht mit den zehn Ausnahmesonntagen auskomme, die aus Grund der Verordnung über die Sonntagsruhe im Handelsgewerbe und den Apotheken vom 5. Februar 1919 (Reichs-Gesetzblatt Seite 176) bewilligt werden können. Das Reichsarbeitsministerium hat eine Umfrage an die Länder gerichtet, ob die Klagen der Landwirtschaft berechtigt sind. Das Ergebnis dieser Umfrage steht noch aus. Das Reichsarbeitsministerium muß sich hiernach seine eigene Stellungnahme zunächst noch vorbehalten.


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