Aus der MorgenWelt 12/98

Daten von der Rolle

Wird ein unscheinbarer Gebrauchsgegenstand zum Speichermedium der Zukunft?

von Volker Lange

Im Zweifelfalle Tesa Freitag, der 13 März 1998 war ein wahrer Glückstag für zwei Mannheimer Forscher. Im Keller des Physikalischen Instituts der Mannheimer Universität klebten Steffen Noehte und sein Kollege Matthias Gerspach einen Streifen Tesafilm auf einen Glasträger. Ein roter Laserstrahl wird justiert, dann tauchen auf einer weißen Wand plötzlich Bilder auf. Das grob gerasterte Foto eines Mannes und eine flüchtig gezeichnete Comic-Figur, die ihnen ein freundliches "Hallo" zuwinkt.

Die digitalen Daten, die der Laser da auf die Wand projiziert, hatten die Forscher zuvor ebenfalls mit einem Laser in die Kunstsstoffstruktur des Tesafilms gebrannt. Das war eher eine Schnapsidee gewesen. Schon seit langem hatten sie nach geeigneten Kunststoffen gefahndet, um digitale Hologramme abzuspeichern. Kein Material stellte sie so richtig zufrieden. Doch da lag eine Tesarolle, - warum sollte man es nicht mal probieren? Jetzt klappte plötzlich alles auf Anhieb. "Wir wußten eigentlich gar nicht genau, was wir da machten", so Noehte im Rückblick. "Und plötzlich stellten wir fest, daß sich Tesafilm ganz hervorragend dazu eignet, um digitale Hologramme einzuspeichern."

Was aber sind digitale Hologramme? Optische Hologramme, also dreidimensionale Bilder kennt inzwischen jeder. Sie werden mit Laserstrahlen aufgenommen. Ein Laserstrahl wird mit einem Spiegel in zwei Strahlen aufgefächert. Der eine Strahl tastet das Motiv, also zum Beispiel ein Auto ab. Der zweite Strahl dient gewissermaßen als Referenz und wird direkt auf den Sensor geschickt.

Zusammen erzeugen die Laserstrahlen ein sogenanntes Interferenzmuster, aus dem sich später das Auto wieder dreidimensional rekonstruieren läßt. Grob gesagt: In einem Foto wird das Motiv Punkt für Punkt gespeichert. Ein Hologramm ist dagegen wie ein Fenster, das die Lichtstrahlen einfrieren kann, die von dem Auto auf das Glas treffen.

Und wie bei einem Fenster kann man an jeder beliebigen Stelle hindurchsehen. Mal wird man das Auto leicht von unten sehen, mal von oben oder von der Seite. Je nachdem, wie man sich vor der Glasscheibe bewegt, wird sich die Perspektive verschieben. Aber stets wird das Auge genug Informationen haben, um das Auto zu erkennen. Das heißt: an jeder Stelle des Hologramms sind Teile des ganzen Bildes gespeichert. Selbst aus einem defekten Bild läßt sich so das Motiv rekonstruieren.

Für die Datenspeicherung ist so ein Verfahren ideal, da es sehr fehlertolerant ist. Bleibt das Problem: Wie fotografiert man mit einem Laser Daten? Theoretische könnte man die Daten von einem Bildschirm abfotografieren. Ein sehr umständlicher Weg. Deshalb wird bei digitalen Hologrammen das Fotografieren von einem Computer simuliert. Er errechnet das Interferenzmuster das beim Fotografieren mit einem Laser entstehen würde. Dieses virtuelle Interferenzmuster kann dann per Laser Punkt für Punkt in einen Datenträger gespeichert werden. Das digitale Hologramm ist fertig.

Digitale Hologramme eignen sich immer dann, wenn große Datenmengen sehr schnell und fehlertolerant ausgelesen werden sollen. Zum Beispiel bei Sicherheitssystemen, die auf digitalen Fingerabdrücken oder gar Gesichtererkennung basieren. Oder bei elektronischen Enzyklopädien. Kein Wunder, daß rund um den Globus nach dem idealen Speichermedium für digitale Hologramme gesucht wird.

Daß es auch bei einem solchen Allerweltsprodukt wie Tesafilm klappt, hatte zuvor niemand vermutet. Vor allem die Speicherdichte des Materials verblüffte die Forscher: Immerhin 10 Gigabyte, das ist die Datenmenge von fünfzehn CDs, passen auf eine handelsübliche 10-Meter-Rolle. Konkurrenzprodukte, so hat Stefan Noehte herausgefunden kleben zwar auch, eignen sich aber nicht als Datenspeicher.

(MorgenWelt) Tesa-Rom

Warum sich ausgerechnet der Tesafilm-Kunststoff so gut zur Datenspeicherung eignet, ist immer noch nicht ganz geklärt. Sicher ist nur, daß der Klebstoff für die Datenspeicherung eine entscheidende Rolle spielt. Dr. Jörn Leiber von Tesa-Hersteller Beiersdorf erklärt, warum: Wenn man eine Folie einfach aufeinanderwickelt, dann kann man schon nach wenigen lagen nicht mehr hindurchsehen, weil das Licht an jeder dieser Lagen gebrochen wird. Das läßt sich nur verhindern, wenn man ein Material dazwischen hat, das der Folie ähnlich ist. Und das ist in diesem Falle die Klebmasse.

Der hochtransparente Kleber wurde ursprünglich entwickelt, damit der Klebefilm möglichst durchsichtig ist. Jetzt sorgt er dafür, daß man auch mit einem Laser sehr gut hindurchstrahlen kann. Und nicht zuletzt hat die Klebmasse auch die Eigenschaft, im Verbund mit der Folie einzelne Schichten zu bilden. "Damit bekomme ich eine Rolle", so Leiber, "die nicht ein Kunststoffblock ist sondern einen Schichtenaufbau hat. Und damit habe ich so eine Art Vorformatierung, wie ich das beispielsweise auch bei einer Diskette habe, damit ich später beim Beschreiben oder beim Auslesen meine einzelnen Schichten schneller wiederfinden kann."

Jetzt soll der Datenspeicher von der Rolle für seine neue Aufgabe noch optimiert werden. Ob chemische oder physikalische Struktur, alles muß im Labor noch einmal unter die Lupe genommen werden. Für die Klebeforscher bei Beiersdorf hat sich unvermutet ein völlig neues Geschäftsfeld aufgetan. Da derzeit die Menge der produzierten Informationen weltweit förmlich explodiert, könnte der Datenspeicher von der Rolle zu einem gewaltigen Geschäft werden. Hinzu kommt: Das gedruckte Wort verliert zunehmend an Bedeutung. Der Trend geht zu speicherhungrigen Animationen und Videos.

Der Wettlauf um immer mehr Daten auf immer kleinerem Raum ist deshalb in vollem Gange. Und die Konkurrenz der T-ROM-Forscher schläft nicht. Die Norwegische Firma "Opticom" hatte schon für den Sommer 98 den Prototyp eines neuen Speichersystems angekündigt, bei dem theoretisch Daten in Terabytegröße auf einer einzigen Scheckkarte Platz fänden. Bisher ist allerdings auf die Ankündigungen nichts greifbares gefolgt. Sehr zum Ärger der Opticom-Aktionäre, die meinten, mit den Aktien eine Lizenz zum Gelddrucken erworben zu haben. Auch der Compact-Disc-Erfinder James Russel arbeitet an einem neuartigen optischen Speichersystem. OROM (Optical Read-Only Memory) heißt es und ist für Mitte 1999 angekündigt.

Aber auch in den herkömmlichen Speichermedien ist noch viel Entwicklungspotential. So arbeiten etwa Forscher an der Universität Würzburg in scharfer Konkurrenz zu japanischen Forschern an neuartigen blauen und grünen Diodenlasern für den CD-Spieler. Sie haben eine deutlich kürzere Wellenlänge als die üblichen roten Laser und können deshalb Informationen sehr viel feiner abspeichern und auslesen. Noch brennen diese neuen Laser zu schnell durch. Aber wenn dieses Problem erst gelöst ist, wird sich die Speicherkapazität einer CD vervierfachen.

Vielleicht kommt ja auch alles ganz anders. An der Hamburger Universität arbeiten Forscher daran, Daten nicht per Laser in den Kunststoff zu schreibe, sondern mit einer hauchdünnen Nadel einzugravieren. Das Ergebnis: Eine so feine Schrift, daß dagegen die Informationseinheiten auf einer CD wie gewaltige Krater wirken. Das Ziel der Forscher: Ein Nano-Plattenspieler, gegen den CD und Datenrolle ganz schön alt aussehen.

Die Orginal-Präsentation im Netz (http://www.villa-bosch.de/eml/english/research/optimem/optimem.html)

(Quelle: ©1998, Volker Lange, MorgenWelt Medienproduktion, Hamburg)


Erstellt am 08.02.99 - Letzte Änderung am 16.04.2000.



https://de.m.wikipedia.org/wiki/Tesa#Tesa_als_Datenspeicher


Tesa als Datenspeicher Wikipedia

Die beiden Physiker Steffen Noehte und der damalige Diplomand Matthias Gerspach entdeckten im März 1998 an der Universität Mannheim kurz vor einer CeBIT-Präsentation durch Zufall, dass sich üblicher Tesafilm besonders gut zum Einbrennen von Strukturen mit Lasern und somit auch als Datenspeicher nutzen lässt.[9] Eine erste Förderung erfuhr das Forscherduo durch das frühere SAP-Vorstandsmitglied Klaus Tschira in dessen European Media Laboratory (EML). Die Tesa SE griff diese Grundlagenforschung auf und startete mit den Forschern zunächst eine Entwicklungskooperation. Im Dezember 2001 gründeten sie gemeinsam die Tesa Scribos GmbH in Heidelberg, an der die Forscher zu 25 %, die Tesa SE zu 75 % beteiligt sind. Im Jahr 2007 übernahm allerdings die Tesa SE die Anteile der übrigen Gesellschafter und wurde Alleingesellschafter. In der gegründeten Gesellschaft konnte das Team die Erfindung im eigenen Labor weiterentwickeln. Zunächst konzentrierte man sich allerdings auf ein System zur Produktverfolgung und für den Fälschungsschutz von Markenprodukten. Das so genannte Tesa Holospot-System ist seit 2003 auf dem Markt.[10] Bislang wird Tesafilm also nicht als Massendatenspeicher verwendet.

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